- Teil 29 -

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"Du fehlst mir und ich liebe dich. Ich liebe dich noch immer so sehr..." murmelte ich leise und strich mit dem Finger über die Marmor-Einfassung vor mir. "Ich hätte es dir öfter sagen sollen - so viel öfter. Ich hatte immer Angst davor, dass du mich irgendwann verlassen wirst und dann ist es passiert und ich..." sprach ich weiter und seufzte leise, als der altbekannte Schmerz sich sich wieder in mir ausbreitete "Ich habe mich so schuldig gefühlt und so... verloren. Du warst mein bester Freund und...". Ich schüttelte den Kopf und zwang mich zu einem Lächeln "Was erzähle ich denn da? Du kennst diese Rede ja nun zur Genüge." ich wechselte die Sitzposition und winkelte meine Beine zum Schneidersitz an "Weißt du, ich frage mich manchmal wie du darauf reagieren würdest, dass ich nun mit Stark und Banner in diesem irren Tower arbeite." sprach ich weiter und begann gedankenverloren, die einzelnen Grashalme zwischen dem Lavendel heraus zu zupfen.


Lavendel...



Tom hatte ihn geliebt und Dottie hatte ihn höchstpersönlich hier eingepflanzt und pflegte ihn seitdem liebevoll. Er überwucherte inzwischen Tom's Grab fast vollständig und duftete einfach himmlisch - er hätte es geliebt."Sie vermisst dich sehr." wechselte ich das Thema und lächelte traurig "Dottie." fügte ich hinzu, damit mein toter Mann auch wusste über wen ich sprach "Sie hat dich so geliebt. Mindestens genauso sehr wie ich.". Ich erinnerte mich noch genau daran, wie schnell Tom Dotties Herz gewonnen hat - vermutlich noch vor meinem. Noch heute sehe ich ihr Gesicht vor mir, als uns der Anruf mit der Nachricht von seinem Tod erreichte. Während ich in stillem Schock Alles über mich ergehen ließ, brach für sie eine Welt zusammen. Sie litt nicht nur unter Tom's Ableben, sie litt vor Allem, weil ich litt - schon wieder. Tom war meine erste, große Liebe und wenn es nach mir ginge, auch die letzte. Ich konnte mein Herz nicht schon wieder verschenken. Immerhin gehörte es ja noch Tom.



Eine Gänsehaut überzog mich, als der Himmel zuzog und ein kühler Wind über den Friedhof fegte, auf dem Tom neben seinen Eltern begraben war. Erst jetzt, als ich den Kopf hob und Anstalten machte vom Boden aufzustehen, bemerkte ich den Mann, der einige Meter weiter in meine Richtung blickte. Verstohlen sah ich in seine Richtung und fragte mich, was er hier tat - immerhin stand er zwischen zwei Gräbern, die Hände in den Jackentaschen vergraben und den Blick fest auf mich gerichtet.Wieder begann meine Haut zu kribbeln und irgendwas in meinem Inneren wurde unruhig. "Ich weiß, Bauchgefühle sind dazu da, um auf sie zu hören.." murmelte ich leise die Weisheit meines toten Mannes und strich mit der flachen Hand über die Marmorplatte, auf dem sein Name stand.



Was sollte ich denn jetzt tun?



Plan A: entweder tat ich so, als wäre er nur ein normaler Besucher und zog mich zurück, bis ich im Auto war und ruhig und gesittet zum Labor fahren konnte.Plan B: ich könnte mich in meinen Verfolgungswahn hineinsteigern und wie eine Geisteskranke über den Friedhof rennen, bis ich außer Atem am Auto ankam, vor lauter Nervosität zwei Mal die Autoschlüssel fallen ließ und dann sämtliche Geschwindigkeitsrekorde brach, in dem ich das Gaspedal durchdrückte und vom Gelände raste.



Plan A wäre erwachsen, normal und auf jeden Fall vernünftig.



Doch ich entschied mich für Plan B.Natürlich entschied ich mich für Plan B.



Diese Situation gepaart mit den dunklen Wolken über mir, den dicken Regentropfen, die vom Himmel fielen und dem Gespräch gestern mit Scott, der mir mehrmals versicherte, dass meine Angst und Besorgnis wegen dieses Einbrechers absolut berechtigt sei, ließ mir quasi keine andere Wahl.Also ballte ich meine Hände zu Fäusten, drehte mich ruckartig um und begann zu rennen. Ich rannte so schnell mich meine Füße trugen und wagte es nur ein einziges Mal, mich umzusehen.Dieser gruselige Typ rannte mir zwar nicht direkt nach, aber er hatte sich ebenfalls in Bewegung gesetzt und folgte mir schnellen Schrittes.



Wusste ich es doch!



Just in diesem Moment stolperte ich über eine glitschige Baumwurzel und machte unsanft Bekanntschaft mit dem feuchten Friedhofsboden. Keuchend landete ich auf allen Vieren und ignorierte dabei den spitzen Stein, der sich mehr als unangenehm in mein Knie bohrte. Das Adrenalin schoss durch meine Adern und ich rappelte mich ruckartig wieder auf, um die letzten Meter zum Auto zurück zu rennen und dabei meinen Autoschlüssel mit aller Kraft umklammerte. Mit zitternden Fingern betätigte ich die Zentralverriegelung, riss die Tür auf und rammte den Schlüssel ins Schloss, um augenblicklich vom Parkplatz zu rasen. Erst als ich einige Meter weit gekommen war, dachte ich daran den Sicherheitsgurt anzulegen und langsam durch zu atmen."Fuuuuuck..." stöhnte ich und warf einen schnellen Blick in den Rückspiegel "Fuckfuckfuckfuckfuck". Nun gut, hinter mir waren mehr als nur ein Fahrzeug zu sehen - fraglich, ob der Freak unter ihnen war oder nicht. Wenn ich Glück hatte, konnte ich in der Menge verschwinden und kam ohne weitere Blessuren im Tower an.



...



"Du hättest uns anrufen sollen, wir wären sofort da gewesen." bemerkte Banner, als ich zehn Minuten später im Labor vor ihm stand. Ich war nass, voller Dreck und blutete an den Händen und am Knie, doch das war mir in diesem Augenblick mehr als egal."Igitt." bemerkte Tony, als er in dieser Sekunde zu uns stieß und warf mir dabei einen abschätzigen Blick zu, den ich vorerst ignorierte.Erst als Banner ihm mit einem stummen Kopfschütteln zu verstehen gab, dass jetzt nicht die Zeit für schlechte Witze war, wurde Tony's Miene ernster.



"Okay, warum die Leichenstimmung hier?" wollte er wissen und verschränkte die Arme vor der Brust, während Bruce sich wie selbstverständlich daran machte, die Wunde am Knie zu säubern."Ich war bei..." begann ich, brach dann jedoch ab, um einen zweiten Versuch zu starten "...ich war auf..." wieder stockte ich. Warum war es nach zwei Jahren noch immer so schwer die Worte laut auszusprechen? Stark hob die Augenbrauen und starrte mich abwartend an, was meine Situation nicht gerade besser machte. Immerhin hatte ich ihn gestern vor meinem Haus gesehen und auch wenn es mich in den Fingern juckte, zu erfahren was er dort getan hat - ich würde ihm nicht den Gefallen tun und danach fragen.



"Ich war bei Tom.. Tom's Grab. Er ist... Heute ist..." unschlüssig wie viel ich erzählen sollte, brach ich ab und verzog ein wenig verzweifelt den Mund. Doch statt eines dämlichen Kommentares oder geschmacklosen Witzes, nickte Tony lediglich und versuchte sich an einem vorsichtigen, fast verständnisvollem Lächeln "Verstehe.".Banner's irritierter Blick sprach Bände, doch er hatte eindeutig zu viel Anstand, um Fragen zu stellen. Tatsächlich war es ein Segen, dass ich zumindest Tony nicht erzählen musste, wer Tom war und was geschehen war. Andererseits entschied ich durchaus gern selbst, wem ich was aus meinem Leben preisgeben wollte.



"Tom ist..." ich schüttelte langsam den Kopf "WAR mein..." Bruce tätschelte meinen Arm "Schon gut du musst nicht..." warf er ein, doch irgendwas zwang mich dazu, diesen Satz beenden, wenn auch mit kaum hörbarer Stimme "Mann.".

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