35. Zu viele Wahrheiten für einen Tag

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Die Tür fiel hinter Rhea zu und ließ Regulus und Augusta alleine in der Toilette zurück. Auf dem blutverschmierten Boden liegend richtete sich Augusta wieder etwas auf und drehte den Kopf zu Regulus, dieser hatte sich mittlerweile auf dem Boden gesetzt und musterte die Muster des Facettenglases der Fenster. Keiner wollte so richtig etwas sagen.

"Was ist los?", fragte Regulus schließlich leise, ohne den Blick vom Fenster zu nehmen. "Du verschwindest einfach, du änderst deine Meinungen und deinen Freundeskreis, du kannst lautlos zaubern, du tust Dinge, die du noch nie zuvor getan hast. . ."
"Wir verändern uns", erwiderte Augusta. "Du bist viel in Gedanken und hast dich zurückgezogen." Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihm von den Horkruxen zu erzählen, aber sie konnte nicht. Je weniger davon wussten, desto sicherer war ihre Mission.
Doch Regulus ließ das Thema nicht einfach ändern. "Du weißt Dinge und kennst Zaubersprüche, die über unserem Level sind. Wer hat dir das beigebracht? Auf was für Missionen mit schwarzmagischen Gegenständen gehst du?"
"Ich habe es mir selbst beigebracht", verteidigte sich Augusta, es entsprach der Wahrheit.
"In den Sommerferien in dem Haus, in dem du nicht zaubern darfst?" Er hatte seinen Blick immer noch nicht vom Fenster genommen. Sie hatten beide Geheimnisse, die Frage war nur, wer zuerst brach.

Augusta änderte ihre Sitzposition, sie spürte, wie das Adrenalin langsam nachließ und sie müde wurde. "Der Krieg macht mir Angst, ich habe Familie und Leute, die ich beschützen will, koste es, was es wolle", antwortete sie. "Hast du das Gefühl, ich bin ein verdammter Todesser?"
Regulus schloss die Augen. "Nein", sagte er lautlos. "Das würde ich wissen."
Sie kniff die Brauen zusammen und suchte sein Gesicht nach einem Anhaltspunkt für die Deutung des eben Gesagten ab, aber sie fand nichts. Regulus sah auf seine um die Beine geschlungenen Arme.
"Wieso würdest du das wissen?", fragte Augusta mit erstickter Stimme. Sicherlich sprachen seine Eltern über solche Dinge oder Rabastan hätte ihm das bestimmt erzählt oder er hätte es irgendwo aufgeschnappt in den Reinblüter-Kreisen oder. . . oder. . .

Er sah auf, als sich ihre gesunde Hand um sein linkes Handgelenk legte. Sie konnte den festen Stoff unter ihren Fingern spüren, der sorgsam zugeknüpft um sein Handgelenk lag. Er hatte die Angewohnheit, bei Zaubertränke immer die Ärmel hochzukrempeln, wie lange hatte er das nicht mehr getan?

Sie musste ihre verletzte Hand zu Hilfe nehmen, um den Knopf zu öffnen. Ein roter Handabdruck zeichnete sich auf dem weißen Hemdsärmel ab, wo sie seinen Unterarm umfasste. Er ließ es kommentarlos geschehen.
Er zog nicht zurück, als sie ihre Hand um seinen nackten Unterarm schloss und sie den Ärmel hochschob.

Das dunkle Mal zeichnete sich schwarz und prominent auf seiner bleichen Haut ab. Der Schädel wirkte, als würde er Augusta angrinsen.
Ihr wurde schlecht, mehr noch als zuvor. Galle stieg ihr in den Mund. . .

Als hätte sie sich plötzlich verbrannt, ließ sie seinen Arm los und kam stolpernd auf die Beine. "Du bist ein Todesser", ihre Stimme drohte zu versagen. "Ich. . . wie konnte ich das nicht sehen?" Sie machte ziellos ein paar Schritte zurück und auch Regulus erhob sich. War sie so blind gewesen? "Ich habe Rabastans Bemerkungen gehört, aber ich dachte, das sind bloß Sticheleien. . . wie konntest du das tun?" Wo war der Regulus, der ihr Geheimnis sieben jahrelang bewahrt hat, wo war der Regulus, dem sie in den letzten Wochen näher gekommen war, wo war der Regulus, mit dem sie in den Weihnachtsferien über die Herrschaft des dunklen Lords gesprochen hatte?

"Hast du das Gefühl, ich wollte ein Todesser werden?", fragte Regulus mit belegter Stimme.
"Nein", Augusta schüttelte den Kopf. "Deine Familie wollte es und tust absolut alles, was deine Familie will." Ihr Plan war es, herzukommen, die Horkruxe zu zerstören und Regulus zu retten, aber gerade verbrannte die Hälfte dieses Plans vor ihr zu Asche.
Regulus spannte den Kiefer an, ein Zeichen, dass er seine Wut unterdrückte. Er hatte seine Emotionen schon immer besser im Griff als Augusta. "Du hast eine reinblütige Familie erfunden, aber du hast keine Ahnung, wie es wirklich ist, aus so einer Familie zu kommen! Wie es ist, der Erbe zu sein, der Träger des Familiennamens, all die Erwartungen, die man ertragen muss!" Während er sprach, wurde er lauter.
Augusta reckte das Kinn in die Höhe. "Du hast recht, davon weiß ich nichts, aber ich weiß, dass du dich einem Mann angeschlossen hast, der Leute wie mich hasst und meine Familie ohne zu zögern abschlachten würde."
Regulus schnaubte abfällig. "Haben wir nicht noch in der zweiten Klasse darüber gesprochen, wie es wäre, uns ihm anzuschließen?"

Das war nicht fair, sie waren Kinder gewesen und der Krieg noch nicht losgebrochen. "Ich habe die Fehler dieses Weges eingesehen und ich dachte, du auch. Was war mit unserem Gespräch in den Winterferien? War das eine Lüge?", rief sie und ihre Stimme, etwas höher als normal, hallte von den gefliesten Wänden wider.
"Dinge sind nicht so einfach, Augusta. Das Leben da draußen ist nicht vergleichbar mit dem Leben hier in der Schule." Seine Augen funkelten aufgebracht, aber seine Stimme war unter Kontrolle.
Augusta lachte verzweifelt auf, aber am liebsten hätte sie losgeheult. Von allen Leuten gerade Regulus. Sie wollte ihn doch retten, war er wirklich von Anfang an verloren gewesen? "Ich weiß genug über das Leben da draußen. Du bist eine verdammte Marionette, von ihm und von deiner Familie."
"Du hast keine Ahnung, wie es ist vor ihm zu stehen!", zischte Regulus. "Er kann deine Gedanken lesen, dich zu Dingen bringen, die du nicht willst."
"Und er hat dich dazu manipuliert, dich ihm anzuschließen?" Von ihm gebrandmarkt zu werden?", fragte sie wütend und versuchte die Tränen zurückzuhalten. "Sag mir, hast du Leute in seinem Namen getötet? Gefoltert? Leute wie mich oder meine Eltern? Leute, deren einziges Verbrechen es ist, geboren worden zu sein?" Sie wandte den Kopf ab, dass sie nur noch seine Spiegelung im Fensterglas sehen konnte. "Nein, sag es mir nicht, ich will es nicht wissen." Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wange. Sie sah nicht wieder zu ihm und er erwiderte nichts. Ein paar Sekunden verstrichen, in denen beide wortlos in dem weißen Raum standen, bevor Regulus seinen Ärmel wieder hinunterzog und ging, ohne nochmals zurückzuschauen.

Augusta stützte sich am Waschbecken ab, als sie aufschluchzen musste. Sie presste sich die verletzte Hand auf den Mund in einem Versuch, einen verzweifelten Schrei zu unterdrücken, doch es half nichts. Sie sank zurück auf den blutverschmierten Boden, während sich ihr ganzer Körper vor Weinen schüttelte.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wie reagiert man auf sowas? Hatte sie Regulus wirklich verloren?. . . oder hatte sie ihn nie wirklich gehabt?

Es dauerte eine Weile, bevor Rhea mit dem Verbandszeug zurückkam. "Was ist passiert? Wo ist Regulus?", fragte sie, als sie Augusta alleine auf dem Boden sitzen sah.
"Es waren ein paar zu viele Wahrheiten für einen Tag", erwiderte Augusta schwach mit rot geweinten Augen.



A/N: Augusta ist eine Person, die (meistens) tut was sie will, dementsprechend, ist für sie die Welt manchmal etwas sehr schwarz und weiss. Und auch wenn sie sich Regulus Familie vorstellen kann, so ist kennt sie diesen Druck trotzdem nicht selbst und sie ist in diesem Streit nicht fair zu ihm. Ausserdem sieht Augusta - die gern hätte, dass er sich gegen seine Familie und Gesellschaft stellt für eine gemeinsame Zukunft - in diesem emotionalen Moment die Dinge etwas anders, zudem sie natürlich Sirius als Vergleich hat, der diese getan hat. Das ist auch ein interessanter Kontrast zum Anfang, als sie erwähnte, dass sie Sirius nicht mochte, weil er alles was ihm in die Wiege gelegt wurde (und sie selbst gern gehabt hätte) "weggeschmissen" hat und jetzt wünschte sie sich irgendwie, Regulus würde dasselbe tun.

Ausserdem ist das eine RegulusxOc Geschichte und da geht es nicht, wenn die beiden schon zusammenkommen, bevor wir überhaupt beim grossen Finale sind.

Regulus hat sein Geheimnis preis gegeben, Augusta darf ihres noch ein wenig behalten.

Who wants to live Forever? | Regulus BlackWhere stories live. Discover now