Nichts als die Wahrheit

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Bakker neigte sich vor, seine Augen funkelten im schwindenden Licht. »Um was zu tun?«, fragte er mit schneidender Stimme. »Sag mir: Was wolltest du an Bord der Zeelandia? Ist dein Verlobter unter den Seeleuten? Du schüttelst den Kopf - also nein. Hm. Dann ... warte! Du sagtest, du musstest dich als Junge ausgeben - musstest. Aha! Das bedeutet, da steckt ein besonderes Interesse dahinter. Warum hast du dich so lange verstellt? Um zu spionieren, vielleicht?« Er musterte sie scharf. »So antworte ehrlich: bist du eine Spionin im Dienste Spaniens?«

Sie blinzelte verwirrt. »Ich ... bin ... was?« Sein Vorwurf traf sie tief. Doch seine Nation befand sich seit drei Jahrzehnten im Freiheitskrieg, sein Misstrauen war nur zu verständlich. Er musste damit rechnen, dass die Schiffsbesatzung von Spitzeln unterwandert war. Offenbar hatte Thorsson die Aufgabe übernommen, alle Aktivitäten an Bord mit Argusaugen zu überwachen, und so war er auf sie aufmerksam geworden. Mit Verrätern machte man kurzen Prozess. Jetzt hatte sie den Hals in der Schlinge - und genau das könnte schon bald Realität werden. Die Todesgefahr riss sie aus ihrer Starre. »Das ist das Letzte, was mir in den Sinn käme!«, widersprach sie energisch. »Wenn ich wirklich eine Spionin wäre, würde ich mich viel kaltblütiger verhalten!«

Er spitzte den Mund, dachte eine Weile nach. »Hm. Das stimmt allerdings; eine echte Spionin würde anders reagieren, und nicht so herumstottern«, meinte er schließlich.

Sie atmete auf. Die erste Klippe umschifft!

Dennoch blieb er abwartend. »Nun aber solltest du uns die ganze Wahrheit sagen. Mach es nicht noch schlimmer!«

Sie rang nach Worten ... wo sollte sie anfangen? Der Raum schien sich zusammenzuziehen, jede Sekunde des Schweigens erhöhte das Risiko, dass Bakker sie endgültig verurteilte. Zudem musste sie höllisch aufpassen, was sie ihm antwortete. Seit der Befragung sprach er betont langsam und deutlich, vermied jedes holländische Wort, als wollte er sicherstellen, dass sie ihn nicht missverstehen konnte.

Die Planken knarrten unter Thorssons schweren Schritten. Er ging umher und entzündete die Öllampen. Der Geruch von verbranntem Öl mischte sich mit dem salzigen Duft des Meeres. Nach und nach erhellte ein warmer Schein die Kabine und vertrieb die Dunkelheit. Thorssons schwarze Augen glühten im Licht der Lampen. »Nun, wir warten«, sagte er mit einem leisen, aber unmissverständlichen Ton.

»Wie lautet dein richtiger Name? Nicht Timo Lornsen, sondern ...? «, setzte Bakker nach.

Klick. Plötzlich wusste sie, was sie sagen wollte. Sie würde einfach ihrem Herzen folgen und aufrichtig sein. Keine Ausflüchte mehr. Sie hob den Kopf, ihre Augen suchten seine. »Nennt mich Lyka Eissen«, sagte sie, »diesen Namen gab mir mein Ziehvater. Er hat mich aufgenommen, als ich schiffbrüchig wurde. Außer mir hatte niemand überlebt. Ich erinnere mich nur, dass ich ›Lorena‹ gerufen wurde, und an diesen grässlichen Sturm, in dem das Schiff unterging. Danach lebte ich in den Uthlanden auf der Insel Strand, bevor ich an Bord der Zeelandia kam.«

Bakker sog scharf den Atem ein. »Schiffbruch, so, so. Das klingt nach einer schlimmen Geschichte.«

»Eine Geschichte, wie sie leider häufig vorkommt«, versetzte Thorsson. »Aber ist sie auch glaubwürdig?«

Der Schipper wiegte den Kopf. „Die Wahrheit ist manchmal seltsamer als Seemannsgarn. Gottes Wege sind unergründlich und doch voller Wunder. Vielleicht war es Gottes Plan, dass er... äh, sie, zu uns geführt hat.«

»Meine Geschichte ist wahr!«, beteuerte sie. »Auch wenn ich mich als Junge ausgegeben habe und vorgab, jemand anderes zu sein, macht mich das noch lange nicht zur Lügnerin.«

Bakker verschränkte die Arme und sah sie von unten herauf an, mit einem Blick, der zu sagen schien: nur weil du behauptest, die Wahrheit zu sagen, muss ich dir noch lange nicht glauben.

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt