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Der Mond stand hoch am Himmel während das Pferd sich mit gleichmäßigen Schritten den Weg hinauf zur Festung suchte. Die Assassine auf dem Rücken des Pferdes war in weiße, dünne Kleidung gehüllt. Mit einem roten Band hatte sie die weite Kleidung an der Hüfte enger gebunden und die Kapuze in Form eines Adlerkopfes hing tief in ihr Gesicht. Die zwei Krummsäbel hingen ihr jeweils rechts und links am ledernen Waffengürtel und schwangen leicht hin und her bei jedem Schritt, den das Pferd machte. Unaufhaltsam näherte sie sich der Festung, die weit oben auf dem Berg prangte. Im Mondlicht schimmerte der Sandstein leicht. Sie hatte gerade ihre Mission beendet und war nun dabei, dem Meister Bericht zu erstatten. Dem Meister... Altaïr war für sie nicht nur der Großmeister, sondern auch ein guter Freund. Er ließ sie oft Bücher aus seiner Kammer lesen und hatte sie früher, als er noch mehr Zeit gehabt hatte, im Kampf trainiert. Als dann aber Abbas aus blinder Wut einen seiner Brüder getötet hatte und dafür verbannt wurde, hatte das ganze Drama begonnen. Er hatte sich aus Hass gegenüber Altaïr mit den umliegenden Räuberbanden verbündet und schmiedete nun vermutlich Pläne, um Masyaf zu stürzen. Zusätzlich fanden die Templer nun wieder neues Interesse an der Assassinen-Hochburg, da erst vor ein paar Tagen eine ihrer führenden politischen Figuren ihren Tod durch die Klinge eines Assassinen gefunden hatte, der aus Masyaf stammte. Nicht zuletzt hatte sie selbst ein paar Templer aufgescheucht. Als sie nun das Tor erreichte und die zwei Assassinen, die oben auf dem Wehrgang postiert waren, das Tor öffneten, stieg sie ab und drückte einem der Novizen mit einem freundlichen Lächeln die Zügel ihres Pferdes in die Hand. Einst hatte sie diese Aufgabe selbst übernehmen müssen. Mit gleichmäßigen Schritten lief sie die Treppen nach oben und kletterte aus Lust und Laune und weil es direkter war die letzten Meter zu Altaïrs Zimmer hinauf. Sie klopfte und ließ ihren Blick über das Dorf schweifen, während sie wartete. Wo wäre sie heute, wenn Altaïr sie damals nicht gefunden hätte? Zu dieser späten Stunde waren kaum Leute auf den Straßen, und wenn, dann nur Betrunkene und Bettler. Wahrscheinlich wäre sie eine von ihnen geworden, wenn sie nicht längst schon verhungert wäre. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und im Licht des dahinter liegenden Raumes erkannte sie den Meister in der Tür. Als er sie erkannte, lächelte er. "Nivin. Sei gegrüßt. Wie ist die Mission verlaufen?", fragte er sofort und winkte sie mit einer kleinen Geste in den Raum hinein. Er lag weit oben und roch nach alten Büchern und nach Tinte. Auf dem Schreibtisch lagen viele Pergamente und Bücher, ein Tintenfass mit Feder stand daneben sowie eine Kerze, deren hellen Flamme den Tisch bestrahlte. Einige Laternen an der Wand beleuchteten den Raum und dessen mit Büchern und alten Artefakten vollgestopften Regale. Der Teppich am Boden war abgewetzt und alt und zeigte noch vage das Assassinensymbol. "Erfolgreich. Der Stützpunkt wurde zerschlagen und die Templer getötet", berichtete nun Nivin dem Großmeister und folgte ihm mit dem Blick, während er sich wieder hinter seinen Schreibtisch setzte. Altaïr nickte nachdenklich und strich mit den Fingern behutsam über eines der Pergamente. Er schwieg. "Was ist das für ein Schriftstück?", wollte Nivin mit sanfter Stimme wissen und versuchte, das Geschriebene zu entziffern. Doch es lag zu weit weg. Seufzend griff Altaïr danach, ließ kurz seinen Blick darübergleiten und warf es dann in das Feuer des Kamins, der ebenfalls den Raum erhellte und zusätzlich noch Wärme abstrahlte. "Immer noch dasselbe", antwortete er schlicht und starrte mit finsterer Miene auf den Tisch. Da er sich damals schnell mit Nivin angefreundet hatte wusste sie viel mehr über Altaïr, als so manch ein Meister-Assassine. Sie verschränkte die Arme. "Ihr solltet Maria nicht weiter nachtrauern. Besonders jetzt wo Ihr wisst, dass sie einen anderen gefunden hat." Wieder seufzte Altaïr und richtete seinen müden Blick dann auf die Assassine. "Vielleicht hast du Recht. Vielleicht sollte ich sie wirklich vergessen...", murmelte er und fuhr sich durch die verwuschelten, kurzen, braunen Haare. Nivin nickte. "Natürlich habe ich Recht", erwiderte sie grinsend, "Immerhin bin ich eine Frau. Und deine beste Freundin. Du solltest dir lieber mal um Abbas Sorgen machen." Altaïrs anfänglich beruhigter Blick wurde nun schlagartig wieder finster. "Das stimmt. Es wird nicht mehr lang dauern und er taucht hier auf", brummte der Meister mit tiefer Stimme und stand auf, die Hände auf der Tischplatte abstützend. "Du solltest dich schlafen legen, Nivin. Es ist spät und dein Weg war sicher anstrengend", riet er ihr mit dem Anflug eines väterlichen Lächelns. Nivin nickte und trat zurück. "Wie Ihr wünscht." Dann verschwand sie aus dem Zimmer des Großmeisters und lief den Weg nach unten bis zu den Gemächern der Assassinen. Nachdenklich drehte sie eine ihrer schwarzen Strähnen zwischen den Fingern. Altaïrs Herz hing immer noch an Maria, obwohl die ehemalige Templerin längst aus seinem Leben verschwunden war. Er schrieb jeden Abend Briefe an sie, die er letztendlich aber doch für 'zu gering' befand und im Kamin verbrannte. Nivin verspürte den Drang, helfen zu wollen, doch bei diesem Problem musste der Meister mit sich selbst ins Reine kommen. Schweigend schlich sie durch den dunklen Gang, öffnete die Tür zu ihrer Kammer und legte sich auf ihr Bett, nachdem sie die Waffen abgelegt hatte. In Gedanken versunken starrte sie an die Decke. Nun war es schon ein Jahr her, dass Altaïr sie mit nach Masyaf gebracht hatte. Nivin kam es vor wie eine Ewigkeit. Nachdem ihr Bein verheilt war hatte sie sich schon so sehr mit den Assassinen vertraut gemacht dass sie ihnen beigetreten war. Und vor etwa einem Monat war sie dann zu einer Assassine aufgestiegen. Jetzt musste sie viele Dinge für den Orden erledigen, im Gegenteil zu ihrem Novizen-Lebensabschnitt, in dem sie sich nur Sorgen um das Bestehen des Trainings machen musste. Müde schloss sie die Augen und fiel nach und nach in einen ruhigen Schlaf.

Nivin stand vor der Festung. Es war früh am Morgen und graue Wolken hingen am Himmel. Dunst lag in der Luft. Was hatte sie vor? Sie wusste nur, dass sie eine Mission hatte. Etwas trieb sie voran. Sie nahm nicht das Tor wie sonst immer, sondern kletterte im Schutze der Dämmerung an den steilen Mauern empor und kletterte auf den Wehrgang. Niemand war dort. Merkwürdig. Sie lief weiter, sprang kurzerhand vom Rand des Gangs in einen Heuhaufen im Innenhof. Kurz lauschte sie, dann kletterte sie aus dem Heu und schüttelte es sich aus Haaren und Kleidung. Ihr fiel auf, dass sie die Kapuze trug. Jetzt kletterte sie wieder nach oben, in Richtung von Altaïrs Zimmer. Was wollte sie dort? Wieso jetzt? Und wieso war niemand auf den Wehrgängen gewesen? Sie kletterte unaufhörlich nach oben und stand letztendlich vor der Tür der Kammer. Sie klopfte nicht. Irgendetwas gab ihr das Gefühl, dass sie das nicht tun sollte. Also drückte sie vorsichtig die Klinke nach unten und trat ein. Es war dunkel. Jemand saß mit dem Rücken zu ihr und schien im Sitzen zu schlafen. Diese Person trug Altaïrs Montur und so nahm Nivin an, dass es sich um den Großmeister handelte. Langsam und leise ging sie auf ihn zu. Er regte sich nicht. Sein Brustkorb dehnte sich gleichmäßig aus und zog sich wieder zusammen. Er schlief definitiv. Aber was wollte sie dann hier? Sie schlich näher. Plötzlich befand sich ein Dolch in ihren Händen. Das reine Metall blitzte im schwachen Licht auf. Was?! Als nächstes ging alles ganz schnell. Sie holte aus und ahnte schon, auf was es hinauslaufen würde. Ihre Hand zitterte. Sie kämpfte innerlich gegen das an, was sie automatisch zu tun versuchte. Sie durfte ihn nicht umbringen! Doch trotz ihrer Anstrengungen sauste der Dolch letztendlich auf den schlafenden Mann hinab und die Klinge bohrte sich in seinen Rücken.

Nivin saß schweißgebadet in ihrem Bett. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, kalter Schweiß lief ihren Rücken hinunter und ihr Atem ging schnell. Sie versuchte, ruhiger zu atmen und wischte sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht. Was war das gewesen? Nur ein Albtraum? Was spielte ihr Gehirn ihr für Streiche? Sie hielt die Luft an. Hatte das etwas zu bedeuten? Sie spürte, wie ihr Herz langsam nicht mehr so schnell schlug und ihre Atmung sich beruhigte. Langsam stand sie auf. Sie musste raus hier.

Assassin's Creed - DeceptionWhere stories live. Discover now