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Die klare Luft draußen war kühl und am Horizont färbte sich der Himmel langsam mild rosa. Nivin atmete tief durch. Sie musste erstmal das verarbeiten, was sie gesehen hatte. Die frische Luft reinigte auch ihre Gedanken. Sollte sie es jemandem erzählen? Oder war es wirklich nur ein bedeutungsloser Traum gewesen? Fragen um Fragen sammelten sich in ihrem Kopf und sie lehnte sich müde an die Mauer draußen. Dort stand sie in Gedanken versunken da und beobachtete den Sonnenaufgang, bis ein Assassine vorbei lief. Er war gerade auf Patrouille, wie es schien. Altaïr schickte nun wohl auch Wachen durch die Festung hindurch.
"Nivin? Was tut Ihr um diese Zeit hier draußen? Ich dachte Ihr wärt erst vor wenigen Stunden hier angekommen", ertönte die besorgte Stimme des Assassinen. "Oh, Laith. Ich hatte Euch mit Kapuze gar nicht erkannt", erwiderte Nivin mit ruhiger Stimme. Laith lachte kurz auf. "Ihr habt Euch nicht verändert"
"Hätte ich das denn?"
"Nein, nein"
Schweigen trat ein und nach einer Weile fuhr Nivin den Assassinen an: "Müsst Ihr nicht Eure Patrouille fortsetzen?" Laith nickte zögernd. "Aber erst geht Ihr wieder in Eure Kammer, ja?", verlangte der Assassine, dessen Stimme immer noch besorgt klang. "Laith!", empörte sich Nivin. "Ich erwarte eine Entschuldigung!"
"Für was?", hinterfragte der naive Junge und setzte eine unschuldige Miene auf bis er bemerkte, dass sie es sowieso nicht sah. "Das wisst Ihr ganz genau. Ich bekomme keine Befehle von einem Niederrangigen" Nivin biss sich unauffällig auf die Lippe. So leicht reizbar war sie auch nur in seiner Gegenwart. Laith machte sich viel zu viele Sorgen. Er war eine Klette. Manchmal nützlich, meistens nervig... Erst schwieg er, dann nickte er nur und lief weiter. Nivin atmete auf, als er außer Hörweite war. Hoffentlich war er ihr nun nicht allzu böse.
Als die Sonne schon höher stand erwachten die ersten Assassinen und liefen in den Gängen umher. Nivin beobachtete die verschiedenen Kapuzenträger. Sie war es gewöhnt, zwischen lauter Männern zu leben. Altaïr hatte für sie damals eine Ausnahme machen müssen. Außer ihr gab es nur eine weitere weibliche Assassine, doch die war jünger als sie und erst Novize. Vielleicht machte sie sich ja wirklich zu viele Gedanken. Aber der Traum war selbst jetzt noch lebhaft in ihrer Erinnerung vorhanden. Sie machte sich auf den Weg zum Trainingsplatz, wo schon ein paar Novizen und sogar wenige Assassinen an ihren Kampfkünsten feilten. Bald würde sicher Nacera auftauchen. Bevor die kleine Freundin von Nivin anfangen konnte, zu trainieren, würde Nivin sie abfangen. Irgendwann erschien die kleine, zierliche Gestalt am Rand des Platzes. Nivin lief zu ihr. Die Novizin war noch sehr jung, vielleicht zwischen 12 und 15 Jahre alt. Sie trug ihre Kapuze nicht, sodass man sehen konnte, dass sie kurze, dunkle Haare und dunkle Augen hatte. Sie wirkte ausgeschlafen - im Gegenteil zu Nivin. Die Assassine lief zu der Novizin und nahm lächelnd die Kapuze ab. "Guten Morgen, Nacera. Hast du einen Moment Zeit?" Die junge Novizin sah sie kurz fragend an und nickte dann. "Klar. Um was geht es?" Nivin seufzte. "Was denkst du über Träume?", stellte die Assassine ihre Frage. Nacera überlegte lang und antwortete dann: "Kommt auf den Traum an. Hattest du denn einen?" Nivin nickte und erzählte ihr den Traum nach. Nacera staunte und meinte: "Wenn du ihn jetzt noch so gut in Erinnerung hast ist das merkwürdig. Vielleicht solltest du es dem Meister erzählen... du weißt schon..." Nivin nickte. Natürlich, der Apfel. Manche sagten, es sei nur ein Gerücht, dass Altaïr einen der Edensplitter besaß. Doch er hatte ihr versichert, dass es stimmte. Und das auch nur, nachdem sie versprochen hatte, darüber Schweigen zu bewahren. "Ich werde ihn fragen. Danke, Nacera." Die junge Novizin lächelte nun freundlich und wandte sich ab um ihren Mentor zu suchen. Nivin blieb kurz stehen und dachte nochmal nach. Dann nahm sie einmal mehr den Weg zum Gemach des Großmeisters auf sich. Sie lief dieses Mal normal die Stufen nach oben. Doch als sie klopfen wollte hielten sie die lauten Stimmen zurück, die aus dem Raum drangen. Sie war sich sicher, dass sie nicht lauschen durfte. Aber... die Stimmen waren so laut und... Altaïr würde ihr sicher verzeihen.
"...du wirst schon sehen!"
"Nein, du wirst sehen. Ich habe alles unter Kontrolle. Was Ihr mir hier für Vorwürfe macht sind alles Lügen."
"Ihr habt kein Recht, das zu behaupten, Altaïr!"
"Doch, das habe ich durchaus. Und ich appelliere auf eure Weisheit, dass ihr nun Masyaf verlasst. Sonst werde ich meine Assassinen anweisen, euren edlen Hintern aus dieser Festung zu treten"
Nivin zuckte zusammen. Normalerweise ließ sich Altaïr nicht so leicht reizen. Wer das wohl war? Erst herrschte knisternde Stille, dann hörte man laute Geräusche und die Tür wurde aufgerissen. Ein Mann stand in der Tür und erstarrte, als er Nivin sah. Die Assassine blickte unbeeindruckt zurück. Von hier war dieser Mann nicht. Aber sie konnte auch nicht sagen von woher sonst. Mit einem verächtlichen Schnauben machte sich der Mann davon. Nivin erhaschte nur noch einen Blick auf seinen Oberarm, an dem eine hässliche Narbe zu sehen war. Die Tür stand offen, sodass Altaïr sofort bemerkte, dass Nivin dort stand. Er seufzte. "Komm herein und schließ die Tür hinter dir. Ich hoffe, dieser Mann kommt nie wieder." Nivin sah dem kleinen, massigen Mann noch etwas nach, wie er im Weg stehende Assassinen wütend zur Seite stieß und sich dabei wüste Beschimpfungen einfing. Dann trat sie ein und schloss wie ihr geheißen die Tür. "Wer war das?", wollte sie wissen und musterte den Großmeister halb besorgt, halb misstrauisch. Altaïr fuhr sich müde übers Gesicht. "Ach... Ein... sehr schwieriger Mann. Er ist der Großmeister des russischen Assassinenordens. Dimitrij Krylow. Er findet unsere Handelsweise bedenklich." Nivin setzte sich wieder auf den Stuhl und stützte müde den Kopf auf ihre Hände. "Du siehst müde aus", bemerkte der Großmeister und lehnte sich zurück. Nivin bestätigte seine Vermutung. "Ich habe schlecht geschlafen. Träume haben meinen Schlaf vertrieben", erklärte die Assassine und sah auf. Der Großmeister schien mit seinen Gedanken an einem anderen Ort zu sein und wirkte ebenfalls sehr müde. "Was für Träume?", hakte er nach. Er war sich wohl bewusst, dass die Träume der Grund für ihre Anwesenheit waren. Nivin zögerte kurz, dann erzählte sie dem Meister ausführlich ihren Traum. Am Ende schwieg er nachdenklich und starrte aus dem Fenster. "Und jetzt wollte ich wissen, ob ich mir deswegen Sorgen machen sollte...", beendete Nivin ihre Erzählung und sah fragend zu Altaïr. Er wandte seinen Blick wieder zu der Assassine. "Ich weiß es nicht", gab er zu, "aber das lässt sich herausfinden. Vorerst solltest du dir keine Sorgen deswegen machen. Ich werde ... ein paar Informationen dazu sammeln. Ja?" Er hob den Kopf und lächelte zuversichtlich. Die junge Frau nickte. Gerade stand sie auf, als ihr noch etwas einfiel. "Und... habt Ihr schon etwas zu meiner Mission erfahren? Geht es bald weiter?" Sie wollte unbedingt vorankommen. Die Templer ihrer letzten Mission hatten sich so schnell zurückgezogen, dass etwas dahinter stecken musste. Er verneinte, versprach aber, ihr sobald wie möglich Bescheid zu geben. Einigermaßen zufrieden verließ Nivin das Zimmer des Großmeisters und blieb kurz stehen, um einen Blick über die Mauer zu werfen. Die Sonne strahlte nun schon stärker und die ersten Dorfbewohner suchten sich ihren Weg durchs Dorf hindurch. Was sollte sie nun tun? Naja, vielleicht fand sich ja ein guter Zeitvertreib...

Assassin's Creed - DeceptionWhere stories live. Discover now