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Schweigen herrschte auf dem Platz. Man hörte die Vögel, die zu dieser Stunde munter zwitscherten. Nivins Worte verklangen im angenehm kühlen Wind. "Ich", begann Abbas mit ruhiger aber fast schon rachsüchtiger Stimme, "werde die Leute von der Wahrheit überzeugen." Nivin schüttelte den Kopf. "Du verrätst deine Brüder?" Ein grausamer Zug formte sich auf Abbas' Gesicht. "Die Frage ist, wer hier wen zuerst verraten hat", erwiderte er entschlossen. Dann wandte er sich wieder an die Menge. "Denkt gut nach! Entscheidet euch nur nicht falsch!" Mit einem letzten, finsteren Blick auf die beiden Assassinen zog er sich wieder die Kapuze über und ging.

"Soll ich ein Pferd holen?" Nivin warf einen skeptischen Blick auf die blutigen Wunden. Tariq schüttelte den Kopf. "Nein, lass nur. Ich schaff es schon bis zur Festung." Mit viel Kraftaufwand stand er auf, doch nur gestützt von Nivin konnte er ein paar Schritte tun. "Was hast du dir dabei gedacht? Du wusstest doch nicht, wer es war", tadelte die Assassine ihren Begleiter, lächelte aber schwach. Tariqs Gesichtsausdruck war angespannt und verbissen. Er konzentrierte sich darauf, möglichst keine schmerzhaften Bewegungen zu machen. "Er... er hat uns beleidigt. Das konnte ich nicht durchgehen lassen. Das weißt du." Er warf kurz einen entschlossenen Blick auf Nivin und zuckte dann zusammen. "Au!" Nivin seufzte. "So kommen wir niemals oben an. Ich hole jetzt ein Pferd..."
"Nein!"
"Wieso nicht? Sieh dich an, du schaffst es nicht vor Sonnenuntergang zur Festung."
"Ich kann so aber auch nicht reiten."
Nivin verdrehte die Augen und ließ Tariq sich auf die nächsten Bank setzen. "Und was schlägst du dann vor?", erwiderte sie und verschränkte die Arme. Der Assassine zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht..." Nivin stöhnte genervt und setzte sich ebenfalls. "Du spinnst", grummelte sie leise. "Wie bitte?" Tariq sah sie scharf an. Sie unterdrückte ein Lachen. "Du spinnst", wiederholte sie. Tariq grinste. "Wenn du meinst."

Irgendwann waren Tariqs Schmerzen nicht mehr ganz so schlimm und die Wunden hatten aufgehört zu bluten. Nivin überredete ihn dann dazu, es doch noch zu Fuß zu versuchen und als dann die Sonne in feuerroter Farbe unterging erklommen die beiden schon schwer atmend den Weg zur Festung. Ab und zu mussten sie Pause machen weil es eine große Anstrengung war, Tariq verletzt hier hinaufzuhelfen. Dann beobachteten sie die Sonne, wie sie in warmen Tönen dem Horizont immer näher kam. Als es dann anfing, dunkler zu werden und der Himmel langsam von rot zu blau wechselte, erreichten sie erschöpft das Tor. Die Assassinen ließen sie wortlos hindurch. Sofort suchten die beiden den Arzt auf, der hier in der Festung seinen Sitz hatte. Tariq ging nicht gern zum Arzt, aber er wusste, dass es besser war. Seit dem Aufstieg hatte er zusätzlich Kopfschmerzen bekommen.
Der weißhaarige Mann ließ die beiden ein und musterte Tariqs Wunden sofort argwöhnisch. Nivin schloss die Tür hinter sich und sah sich im Raum um, während der Arzt den Assassinen anwies, sich auf einen Stuhl zu setzen. Nivin lehnte sich an die Wand, zog die Kapuze herunter und wischte sich die Strähnen aus dem Gesicht. Der Aufstieg war wirklich anstrengend gewesen und sie hatte keine Lust, heute noch etwas in dieser Art zu unternehmen. Außerdem hatte ich Aufenthalt im Dorf und der Aufstieg fast den ganzen Tag gedauert. Während Nivin in Gedanken versunken dastand erinnerte sie sich an ihren Traum und dass sie den Meister unbedingt noch fragen musste, ob er etwas herausgefunden hatte. Der Arzt hatte begonnen, die Wunden mit feuchten Tüchern abzutupfen. "Ich... muss gehen. Du schaffst das allein, Tariq, nicht wahr?" Sie grinste neckisch und als er das sah lächelte er schwach und nickte nur vorsichtig. Somit verschwand Nivin aus dem Behandlungsraum und machte sich erneut auf den Weg zu Altaïrs Gemach. Sie war in den letzten Tagen wirklich oft dort gewesen. Sie klopfte und kurz darauf ertönte ein erschöpften "Herein!" Sie trat, wie ihr geheißen worden war, ein, und suchte mit den Augen direkt nach Altaïr. Er stand mit dem Rücken zu ihr und betrachtete etwas in seinen Händen, das Nivin aber nicht erkennen konnte. "Du willst sicher wissen, was ich über deinen Traum herausgefunden habe?"
"Ja"
"Dann setz' dich"
Während Nivin langsam auf dem Stuhl Platz nahm packte der Großmeister den Gegenstand in seinen Händen in einen Beutel und drehte sich um. Nachdem er sich gesetzt hatte legte er mit einem leisen klunk den Beutel mit Inhalt auf den Schreibtisch. Nivin blickte Altaïr fragend an. "Du weißt von dem Apfel, richtig?" Die Assassine nickte. "Ihr habt mir davon erzählt", erwiderte sie ruhig, spielte aber nervös mit den Bändeln ihres Gürtels herum. "Er hat mir viel gezeigt...", murmelte Altaïr und senkte den Kopf etwas. Er wirkte gar nicht fröhlich. "Auch, dass deine Träume keine reinen Fantasien deines Gehirns sind. Sie basieren auf Wirklichem. Ich weiß nicht, wieviel davon wirklich passieren wird, aber etwas davon tut es." Nivin blinzelte geschockt. "Heißt das... heißt das ich werde..." Sie schluckte schwer. "...ich werde Euch umbringen?" Sie spürte Tränen in ihren Augen brennen. Sie kannte sich doch selbst am besten! Sie würde niemals einen ihrer Bruder umbringen! Schon gar nicht Altaïr, der ihr damals das Leben gerettet hatte. Sie konnte es nicht fassen. Der Meister blieb stumm und starrte den Gegenstand in dem Beutel an. "Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diese Information reagieren soll", gab er zu und die Kapuze rutschte ihm tiefer ins Gesicht. "Das ist etwas völlig Neues und Unerwartetes." Nivin war sprachlos. "Ihr... ihr werdet mich doch nicht verbannen oder?", fragte sie mit zitternder Stimme und sah ihn an. Dabei fiel ihr ein, dass sie ihm noch von Abbas berichten musste... Altaïr schüttelte den Kopf. "Ich werde abwarten. Wenn die Träume nicht zurückkehren müssen wir uns keine Sorgen machen", erklärte er mit ruhiger Stimme und musterte Nivin nachdenklich. Sie atmete erleichtert aus. Dann begann sie zögernd, die Begegnung mit Abbas zu schildern. Altaïrs Gesichtsausdruck verfinsterte sich bei jedem Wort. "Das klingt nicht gut. Er versucht, die Dorfbewohner gegen uns aufzuhetzen." Die Assassine nickte. "Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Damit darf er nicht erfolgreich sein!", meinte Nivin mit fester Stimme. "Wir müssen Abbas so schnell wie möglich finden und töten." Ihr erschien als das die beste Möglichkeit. "Nein", widersprach Altaïr mit durchdringender, aber ruhiger Stimme. Die Assassine zuckte zusammen. Nein? Wollte er Abbas nicht loswerden? "Wir werden ihn finden. Ja. Aber er tut das nur aus Hass gegenüber mir. Ich hätte damals einfach nicht...", begann er, brach dann aber ab und seufzte tief. Dann nahm er die Kapuze ab, stützte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und fuhr sich müde durch die braunen Haare. "Das ist kompliziert." Nivin musterte ihn besorgt. Er schien so viele schlechte Dinge erlebt zu haben. Sie wusste kaum etwas über seine Vergangenheit. Gerade einmal das mit Maria und dass er und Abbas sich noch nie wirklich verstanden hatten. Wie es dazu gekommen war wusste sie nicht. Sie wusste nichts über Altaïrs Eltern. Ihm dagegen hatte sie erzählt, dass ihre Mutter an einer Krankheit gestorben war und ihr Vater blind vor Trauer in die Wüste gelaufen war. So war er inzwischen sicher schon verdurstet und verhungert. Sie seufzte ebenfalls. "Soll... soll ich Euch allein lassen?", fragte sich vorsichtig, da der Meister immer noch schweigend das Gesicht in den Händen vergraben hatte. Er sah auf und seine Augen wirkten müde. Müder, als es für sein Alter richtig gewesen wäre. Auf seinen Schultern lasteten die Verpflichtungen eines Großmeisters, die Verluste seiner Vergangenheit und zusätzlich das Wissen des Edenapfels. Nivin wusste nicht, wie schwer das wohl sein mochte. Aber sie wollte helfen. "Es ist spät, du solltest schlafen", erwiderte er nur und nickte in Richtung Tür. Die Assassine stand auf, zögerte dann aber. "Ihr solltet auch etwas schlafen", murmelte sie und bedachte den Meister mit einem gleichzeitig mahnenden und freundschaftlichen Blick. Er lächelte schwach. "Da könntest du recht haben. Sag Bescheid, wenn sich der Traum wiederholt." Nivin nickte und verließ den Raum. Die Sonne war bereits untergegangen und der abnehmende Mond stand am Himmel. Sie wusste, dass Altaïr trotzdem noch wach bleiben würde. Man konnte ihm nichts vorschreiben. Aber sie hoffte, der Traum würde nicht wiederkommen. Mit dieser Hoffnung lief sie zu ihrem Zimmer und legte sich schlafen.

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⏰ Last updated: Aug 20, 2015 ⏰

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