3 Sherwood Forest

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Zuhause.
Wie sich dieses Wort so fremd anhören konnte. Wie sich dieser Ort so fremd anfühlen konnte.
Die Kutsche war bereits vor einiger Zeit in den Wald abgebogen. Je näher wir dem Städtchen hinter dem Sherwood Forest kamen, desto schneller schlug mein Herz. Unzählige Erinnerungen strömten in mein Bewusstsein.

Mit einem Seufzer liess ich die Stricknadeln in meinen Schoss sinken. Bereits seit über einer Woche strickte ich an diesen vermaledeiten Wollsocken herum. Die grossen, saphirbesetzten Ringe an meinen Fingern halfen nicht gerade dazu bei, dass meine Hände flinker waren.
Mein Blick wanderte aus dem kleinen Fenster, hinauf zu dem dichten Blätterdach. Sonnenlicht fiel zwischen den Ästen hindurch und ich kniff geblendet die Augen zusammen.

Ein flaues Gefühl schlich sich in meine Magengrube. Abgesehen vom rhythmischen Klappern der Hufe und gelegentlichem Schnauben der Kutschpferde herrschte Stille.
Es war zu still.
Und wenn ich eines in meiner Kindheit gelernt hatte, dann, dass der Wald niemals still war. Ausser, es schlichen Raubtiere durch das Dickicht.
Der Schrei eines grossen Vogels hallte durch den Wald. Ich hielt nach seinem Schatten Ausschau, doch er schien bereits weitergezogen zu sein.

Die Stricknadeln klapperten leise, als ich meine Arbeit wieder aufnahm.
In einigen Wochen würde ich den Sheriff von Nottingham heiraten und dadurch zur Herzogin werden.
Bei dem Gedanken daran runzelte sich meine Stirn.
Ein leises Surren erklang, gefolgt von zwei leichten Schlägen gegen die Kutschenwand. Verwundert hob ich den Kopf und lehnte mich aus dem Fenster. Nur wenige Zentimeter entfernt steckten zwei Pfeile in der Kutsche. Der zweite Pfeil hatte den Ersten gespalten und für einen Augenblick fragte ich mich, wie Jemand so präzise zielen konnte.

Doch in diesem Moment preschten etliche Pferde aus dem Dickicht des Waldes, ihre Reiter in dunkle Umhänge gehüllt.
«Was ist los?», fragte ich erschrocken.
«Diebe!», rief der Kutscher über die Schulter.
«Hüüa!», schrie er und schlug mit den Zügeln.
Die Kutschpferde verfielen in einen rasanten Galopp, wodurch ich das Gleichgewicht verlor und in der Kutsche zu Boden purzelte.

Wollknäuel sausten durch die Luft, meine Reisetasche prallte gegen die Bank und sprang auf.
Kleider, Schmuck und Bücher verteilten sich auf dem Boden.
Verzweifelt klammerte ich mich an der Bank fest, während die Kutsche über die holprige Strasse sauste.
Durch das Fenster konnte ich den Kopf eines Pferdes erkennen, seine Nüstern waren geweitet und weisser Schaum quoll aus seinem Mund.

Die Kutsche bremste und kam allmählich zum Stehen.
Tiefe Männerstimmen drangen an meine Ohren. Verängstigt richtete ich mich auf und strich fahrig über meine zerzausten Haare.
Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür und ich wirbelte herum.
Meine bunten Wollsocken lagen auf dem Boden, kurzerhand zog ich die lange Stricknadel heraus und richtete die Spitze auf den Eingang.

Ein Mann zwängte sich ins Innere der Kutsche und ich erstarrte vor Angst.
Er war gross, der dunkelgrüne Mantel spannte sich um seine kräftigen Schultern, doch ein Tuch verdeckte die untere Hälfte seines Gesichts, sodass ich seine Züge nicht erkennen konnte.
Die Kapuze hing tief in seine Stirn und warf einen langen Schatten über seine Augen. Der Mann blieb abrupt stehen und sah mich eine halbe Ewigkeit an. Mein Brustkorb hob und senkte sich unter den schnellen Atemzügen.

«Das ist Lady Lionsheart!», hörte ich den Kutscher schreien. «Lasst gefälligst eure Pfoten von ihr!»
Der Ruf löste mich aus der Starre und hauchte Leben in mich.
«Keinen Schritt näher!», brachte ich heraus.
«Lady Marian», sagte der Mann gedehnt. Seine Stimme klang weich und tief.
«Einen guten Fang, Jungs! Einen sehr guten Fang!», rief er über die Schulter.
Lautes Gejohle erklang und einer der Männer lachte schallend.

Der Mann im grünen Kapuzenmantel streckte die Hand aus, doch ich hob die Stricknadel in die Höhe und deutete damit auf seine Brust.
«Ich habe gesagt, keinen Schritt näher!» Meine Stimme zitterte leicht.
«Pass auf, sonst schlachtet sie dich wie ein Schweinchen», höhnte einer der Diebe.
Mein Gegenüber sah hinab auf das dünne Stück Metall in meinen Fingern.
Langsam schüttelte er den Kopf. «Nein, das... leg das... leg das einfach weg, ja?»

Marian und ein Dieb namens RobinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt