5 Schwarz

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Damals, Patrick

Die Kirchenglocken läuteten.
Sie läuteten schon seit drei Tagen scheinbar ununterbrochen. Mein Vater trug den schwarzen Anzug, den er ganz hinten aus dem Schrank gekramt hatte. Er beugte sich zu mir herunter und richtete den Kragen meines Jacketts.
Der dunkle Stoff spannte um meine Schultern und durch die engen Ärmel war es schier unmöglich meine Arme zu bewegen.

«Der Anzug ist dir schon wieder zu klein», bemerkte mein Vater und lächelte auf mich hinunter.
«Warum muss ich das denn überhaupt anziehen», maulte ich, während ich versuchte meine Schultern zu recken.
«Das schickt sich so», antwortete mein Vater.
Prüfend warf er einen Blick in den Spiegel und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Als er nicht hinsah, schnappte ich die Steinschleuder vom Tisch und versuchte sie in meine Hosentasche zu zwängen. Mein Vater drehte sich zu mir um, ich gab meinen Versuch auf und versteckte die Steinschleuder hastig hinter meinem Rücken.

«Bereit?» Er holte tief Luft, die Stirn gerunzelt.
Ich nickte mit gesenktem Blick.
Ich wusste, dass er nicht gerne auf den Friedhof ging. Jedenfalls nicht mit mir. Manchmal ging mein Vater abends aus dem Haus, wenn es bereits dunkel war und ich schon im Bett lag.
Einmal war ich ihm bis zum Eingang des Friedhofs gefolgt. Von da an wusste ich, dass er ohne mich zu ihrem Grab ging und dieses Wissen hatte nur die nagende Schuld in mir verstärkt.

«Dann gehen wir.» Mein Vater legte eine Hand auf meine Schulter und schob mich zur Tür heraus.
Verstohlen schob ich die Steinschleuder unter mein Jackett und steckte sie in den Hosenbund.
Die schwarz gekleideten Bewohner von Nottingham strömten zum Eingang des Friedhofs hinunter. Mein Vater und ich schlossen uns der schweigenden Menge an. Allen voran schritt der Herzog von Nottingham und seine Soldaten, die einen weissen Sarg auf den Schultern trugen.

Zwischen den Grabsteinen traf ich endlich auf Little John.
Pater Tuck schwafelte etwas vom Himmel und Engeln, während die Menge mit gesenkten Köpfen um ein ausgehobenes Loch wachte.
Little John spähte unter den roten Haaren zu mir herüber und gähnte ausgiebig. Grinsend zog ich die Steinschleuder aus meinem Hosenbund. Ich spannte die Lederseile und liess sie gegen Little Johns Bein schnellen.
Mein Freund zuckte zusammen, mit seinen kleinen Händen griff er nach dem hölzernen Griff und schlug ihn gegen meine Hüfte.

Ich alberte mit Little John herum, bis uns unsere Eltern trennten.
Hinter dem Rücken meines Vaters hob ich drohend die Steinschleuder in die Höhe, woraufhin Little John grinsend mit den Brauen wackelte. Ich wollte mich zu ihm durchzwängen, doch da legte sich eine grosse Hand auf meine Schulter und hielt mich zurück. Ich hob den Kopf, mein Vater sah mich mit steinerner Miene an, was mich dazu brachte die Steinschleuder sinken zu lassen.

Die Soldaten liessen den weissen Sarg in das Erdloch hinabgleiten und der Herzog von Nottingham legte eine rote Rose auf den hölzernen Deckel.
Als die Soldaten den Sarg mit dunkler Erde zudeckten, begann er zu weinen. Mein Blick fiel auf das kleine Mädchen an seiner Seite, das neben seinem Vater winzig aussah. Sie hatte die Hände um den Stoff seiner Hosen gekrallt, ihre roten Wimpern schimmerten nass.
Mit geweiteten Augen starrte sie ins Leere und schien nicht zu verstehen, was vor sich ging. Mitgefühl regte sich in meiner Brust und ich wandte hastig den Kopf ab.

Als sich die Menge zerstreute, nahm mich mein Vater an der Hand.
Im hinteren Teil des Friedhofs blieben wir vor einem Grab stehen.
Blaues Vergissmeinnicht wucherte auf dem kleinen Hügel, ihre kleinen Blüten bedeckten die hart gewordene Erde.
Ein Grabstein stand dahinter, dessen Inschrift ich bereits tausendmal gelesen hatte. Mein Vater liess meine Hand los und ich verschränkte krampfhaft die Finger vor meinem Bauchnabel.

Marian und ein Dieb namens RobinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt