Kapitel 18

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Leah

Ich hätte auf der Stelle in die Luft gehen können. In gewisser Weise tat ich das auch, denn Rose saß mittlerweile seit knapp zwanzig Minuten auf dem Sessel und sah betreten zu mir rauf, während ich sie nach allen Regeln der Kunst zur Sau machte. "Hast du eigentlich eine Ahnung, was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe? Du hast gesagt, du gehst einkaufen, du hast gesagt, du bist in spätestens einer Stunde wieder zu Hause! Und warst du das auch? Nein, warst du nicht! Stattdessen warst du vier Stunden lang weg ohne auch nur irgendwas von dir hören zu lassen! Hast du eine Ahnung, was ich gedacht habe?! Ich hab gedacht, du hättest wegen dem Wetter draußen einen schweren Unfall gehabt, ich hab gedacht, du bist Opfer eines Amoklaufs geworden, ich hab gedacht, du wärst in einen Überfall verwickelt worden, ich hab gedacht, du bist ausgewandert, ich hab gedacht, du wärst entführt worden, ich hab gedacht, der Bus wäre von der Fahrbahn abgekommen und in den Graben gefahren, ich hab gedacht..."

"Ich denke, du bist dezent hysterisch." unterbrach mich Rose schließlich. Wie ein getretener Hund sah sie zu mir auf. "Ich hab es ja nicht absichtlich getan. Das war so alles gar nicht geplant. Ich hab es doch gesagt, ich bin gestürzt und jemand hat mich ins Krankenhaus gebracht. Ich konnte nicht Bescheid sagen." sagte sie. "Jetzt hör bitte endlich auf, mich anzuschreien, es tut mir leid, dass ihr euch wegen mir Sorgen machen musstet, das war nicht meine Absicht, okay?"
Ich seufzte und ließ die Schultern hängen. Vielleicht lag sie mit dem, was sie sagte, gar nicht so falsch. Vielleicht war ich tatsächlich dezent hysterisch geworden. Und genau wie ich meine Schwester kannte, schaffte sie es, dass ich ihr nicht lange böse sein konnte. Ich ging zu ihr und beugte mich zu ihr runter, um sie an mich zu ziehen. "Weiß ich doch. Aber du kennst mich doch. Ich hab mir nur solche Sorgen gemacht. Du bist bei diesem Mistwetter ganz allein losgegangen, dann ging das Gewitter los und du kamst einfach nicht zurück. Ich hatte nur solche Angst um dich."
Meine Schwester legte die Arme um mich und klopfte mir auf den Rücken. "Schon gut, Kleine. Aber das musst du nicht und das weißt du."
Ich lächelte und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, ehe ich mich hinsetzte.

"Und ganz sicher hat dich dieser Typ ins Krankenhaus gefahren und ganz sicher wurde deine Verletzung richtig versorgt?" fragte Ben. Das war nun schon das fünfte Mal.
Rose nickte und legte lächelnd die Hand an seine Wange. "Ja, ganz bestimmt. Es geht mir gut. Der Verband ist auch dran und ich habe eine Schiene bekommen, wenn du Beweise brauchst."
"Ich glaube dir doch, Süße, aber ich kenne dich und ich weiß, wie ungern du zugibst, wenn es dir mal nicht so gut geht. Erinner dich an die Sache mit dem Fieber am Wochenende im Schwimmbad."
Sie lächelte. "Mach dir keine Sorgen. Ich darf diese Woche nicht zur Schule gehen und einen Monat kein Sport mitmachen, aber sonst ist alles gut." sagte sie und gab ihm einen Kuss.
Newt klatschte einmal in die Hände, um sich unsere Aufmerksamkeit zu verschaffen. "So, da nun alle großteils unversehrt wieder beisammen sind, können wir ja dann ins Bett gehen. Drei Viertel von uns müssen morgen immerhin in die Schule."
Da hatte er wohl oder übel recht.
Ben trug Rose nach oben in ihr Zimmer und nachdem wir einander eine gute Nacht gewünscht hatten, legten auch Newt und ich uns hin, um dem so lange ersehnten Schultag entgegen zu schlafen.

Wie ich bereits vermutet hatte, war ich am nächsten Morgen in etwa so aktiv wie ein Faultier. Es war definitiv zu früh zum Aufstehen. Wieso bitte musste Schule auch mitten in der Nacht anfangen und dann auch noch bis zurück in die Nacht dauern? Was hatten die Kinder den Menschen getan, dass sie es ihnen so schwer machten und sich das Recht nahmen, ihnen die besten Jahre ihres Lebens zu versauen?

Ich war selbst dann noch nicht richtig wach, als wir im Bus saßen. Und die Tatsache, dass Newt mich auf seinem Schoß hielt und leicht hin und her wog, machte es mir nicht gerade leichter, der Versuchung zu widerstehen, noch eine Runde zu schlafen. Allerdings wäre mir das nicht wirklich zugute gekommen, weshalb ich dee Versuchung widerstand und mental daran arbeitete, wach zu werden.

Die ersten beiden Stunden gehörten zu den langweiligsten, die ich hätte haben können. Es waren nichts weiter als dumme Nebenfächer, in denen wir uns einfach nur hinsetzen und dem Gelaber des jeweiligen Lehrers zuhören mussten. Als wir dann nach der Pause eine Doppelstunde bei Herr Titze hatten, der wie üblich mit so viel Elan und Motivation seiner Arbeit nachging, dass es mir ernsthaft zu denken gab und es verboten gehörte, wurde mehr Konzentration und mehr Aufmerksamkeit gefordert und der Schlafzimmerzustand in der Klasse legte sich wieder.
Nachdem Herr Titze uns entlassen hatte, erfuhr ich, dass die Sportstunden, die nach der zweiten Pause hätten folgen sollen, ausfielen. Das bedeutete, ich hatte früher Schluss. Newt und Ben hatten gemeinsam mit dem Rest des Teams nach Absprache mit dem Trainier das Training vorgezogen, sodass sie früher fertig waren und Zeit für uns Mädchen hatten. Ben und Newt kündigten an, uns anschließend zu besuchen. Das bedeutete, ich würde allein nach Hause fahren. Da der Bus erst in einer halben Stunde kam, hatte ich noch etwas Zeit.

Während die anderen Pause hatten, konnte ich bequem rüber zu meinem Spint gehen und ein paar meiner Bücher dort rein tun, die ich nicht brauchte. Sowas war wesentlich bequemer, wenn der Flur nicht voll von kleinen Fünftklässlern war, die auf dem Flur fangen spielten und wie eine Horde wildgewordener Büffel alles umrannten, was nicht bei drei auf die Bäume gesprungen war. Es war ja schön für sie, dass sie ihren Spaß hatten, aber ich hasste es so sehr, wenn sie sowas taten.

Ich machte meine Tasche wieder zu, als ich alles verstaut hatte und war gerade im Begriff, mich aufzurichten, als ich gepackt und herumgerissen wurde und mein Rücken im nächsten Moment Bekanntschaft mit der Tür des Spintes machte. Ich keuchte erschrocken auf und mein Gegenüber, das mich bei den Schultern an den Spint presste, lachte erfreut in sich hinein. "Na na, begrüßt man denn so einen alten Freund?"
Ich konnte spüren, wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich und meine Augen sich langsam immer mehr weiteten. Das konnte nicht sein. Gott, bitte lass mich im Bus doch eingeschlafen sein und ich träumte in diesem Moment nur.
Er sah durch seine stahlgrauen Augen zu mir runter und grinste. "Erinnerst du dich an mich?" Seine Hand legte sich um meinen Hals und er drückte zu. Nicht extrem fest, aber keineswegs zimperlich. "Ganz genau, Kleine, ich denke, wir verstehen uns." knurrte er.
Ich grub meine Fingernägel in meine Handflächen, beachtete nicht, wie sich der brennende Schmerz durch meine Hand fraß und dass sie wahrscheinlich hässliche dunkelrote Kerben hinterlassen würden. "Was willst du von mir, Kyle?" presste ich hervor.
Er lachte leise. "Also die Frage finde ich jetzt aber beleidigend. Wir hatten fast zwei Jahre das Vergnügen miteinändern und du hast in so kurzer Zeit alles wieder vergessen?" Er schüttelte den Kopf und drückte mit einem tödlichen Blick noch etwas fester zu, was mich nach Luft schnappen ließ. "Noch will ich gar nichts von dir. Aber ich habe eine Information für dich und dein Schwesterchen. Wir haben die Schule gewechselt, nachdem wir unglücklicherweise geflogen sind. Das heißt, alte Bekannte treffen wieder aufeinander. Wir überlegen uns noch, was ihr netterweise für uns tun könntet. Aber ich sag dir eins, mein Täubchen und das kannst du auch deiner Schwester ausrichten. Wenn euch was daran liegt, dass es euren kleinen Freundinnen und euren beiden Footballstars gut geht, dann würde ich nicht zögern, unseren Bitten nachzukommen. Und bloß die Klappe zu halten." Er stieß mich gegen das Schließfach und ließ mich los, ehe er sich abwandte und über den Flur verschwand. Ich ließ meinen Rücken gegen das Schließfach sinken, schnappte nach Luft und versuchte, meinen wackeligen Knien Halt zu geben, damit es mich nicht von den Füßen riss. Ich betete zu Gott oder wem auch immer, dass das alles nicht wahr war. Aber das war es, denn ich hatte es gerade am eigenen Leib bewiesen bekommen. Es war nicht vorbei. Sie waren wieder da.

Hallo ihr Lieben, das war das neue Kapitel, wir hoffen, es hat euch gefallen! :)
Wie versprochen kommt wieder etwas Großes auf die Story zu, es wird wieder spannend und dramatisch. Was glaubt ihr, wer ist Kyle? Und was könnten er und seine Freunde von Leah und Rose wollen?
Bis zum nächsten Mal!
♡girlie_mirror_jcb & little-black_dress

Abschluss mit den Maze Runners (Abgebrochen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt