Über Quadrate und Kreise

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Viktor PoV
Manchmal verging Zeit wie Sand. Sand in einem Zeitglass oder wie diese Uhren hießen, in denen Sand von einem Behälter zum anderen fiel und jedesmal umgedreht werden musste.
Stunden- oder Minutenglass glaube ich müsste es sein.
Maike war so unglaublich blass, als ich sie hochhob erschrak ich. sie war so leicht!
Noch in Köln hatten Ju und ich Kraftvergleiche gemacht und Maike als Messlatte genommen, vielleicht kam es mir nur so vor, aber sie war so schrecklich leicht geworden. Sie war zwar nicht schwer gewesen, aber jetzt wog sie vielleicht so viel wie eine Feder...
» Ich bringe uns hier raus«, murmelte ich und dann ging die Scheiße los. Ich hatte zwar bemerkt, dass sie eigentlich körperlich nicht bereit für diesen Trip war, aber ich wollte sie halt nicht kränken, beziehungsweise hätte ich sie auch nicht davon abbringen können, da sie darauf bestanden hätte.
Irgendwie hätte ich diesen Weg später nicht mehr zurück laufen können, ich wusste es einfach nicht. Ich handelte irgendwie intuitiv. Und dazu muss man sagen; Schande über mich, Maike hing wie ein beschissener Kartoffelsack über meiner rechten Schulter. Aber war ja eigentlich eh wohl ziemlich egal.
Ich muss mir aber auch eingestehen, dass ich eine verdammte riesen Angst um sie hatte, vielleicht bin ich dumm, sentimental oder sonst was, aber ich hatte eine Heidenangst. Ich wollte dann nicht in Jus Gesicht sehen, nicht sehen, wie Joon ihn tröstend auf die Schulter klopfen würde und ich mir selbst die Schuld geben könnte, weil ich das alles wahrscheinlich hätte verheimlichen können.
Aber es wird sich sowieso viel verändern, wenn es nicht wir sind, dann unser Umfeld, wir werden es anders wahrnehmen, wir werden uns verändern und gleichzeitig nicht. Vielleicht verändert sich das Unterbewusstsein immer so leicht, aber stetig. Und manchmal wurden wir mitgezogen, aber dann in großen Schritten. Vielleicht deswegen ja auch "Veränderungen sind Menschlich". Weil sie menschlicher als wir Menschen sind.
Irgendwie ziemlich seltsam, ich hatte Angst um ein Mädchen, in das ich weder verliebt war, noch dass ich es jemals sein würde, aber ich hatte Angst. Tja, Veränderungen halt...
» Du wirst mir nich' verrecken...«, sagte ich und musste leicht lächeln, als ich ein Vibrieren in meiner rechten Jeanstasche spürte. Entweder, der Akku war alle, oder wir hatten Empfang!

Julien PoV
Seit fast zwei Wochen waren sie weg, fern von mir und Joon, wir wurden gemieden, gemieden von uns selbst, draußen war es sicher geworden, na ja, relativ sicher halt, aber viele Vermisste verblieben immer noch und die Dunkelziffer war riesig fast schon surreal riesig.
» Ich will das nicht.«, murmelte ich in meine Hände, der brasilianischen Version der Tagesschau lauschend, Hoffnungsvoll wie ein ertrinkender an eine Rettungsweste klammernd, um dann wieder ins kalte Wasser zu fallen und tiefer ins schwarze Meer zu sinken, Luftblasen aus meinem Körper entweichend, den Kopf zur hellen Wasseroberfläche geneigt, die hellen Sonnenstrahlen auf meinem Weg zum Grund beobachtend... Ich wäre ein Ertrinkender unter Tausenden.
» Das will keiner.«, Joon saß neben mir und sah mir in stillen Einvernehmen in die Augen, er lächelte leicht, schwach, er war genauso fertig mit den Nerven.
» Glaubst du, wir können die Reise bald fortsetzen, sobald sie zurück sind?«, fragte er stattdessen, um mich abzulenken, was aber ziemlich scheiterte.
» Ich glaube nicht, dass es sie überhaupt noch gibt. Maike ist Tot, Vik ist Tot, schau doch in die Nachrichten!«, ich klang gereizt, meine Stimme kratzig und ich sah wahrscheinlich scheiße aus. But Hey, i don't care!
» Warum musst du immer alles so negativ sehen?«, Joon war leise, doch seine Stimme fast schon kalt, er war wütend, vielleicht war ich ein Arschloch, aber manchmal ist das einem vollkommen egal, man kann nicht immer Rücksicht auf alle anderen nehmen, man muss manchmal Prioritäten setzen, und dann muss man vorgehen, sonst funktioniert man nicht.
Ich kenne mich damit aus, leider. Menschen nehmen Sorgen der anderen an, nur um ihnen zu helfen, aber sie vergessen diese Informationen nicht, sie schleppen sie wie einen Sack Steine mit sich herum, bis er sie krank macht, Krankheiten, wie Stressgastritis, Migräne und sonst noch irgendwelchen Mist entstehen so. Aber manchmal ist alles nur eine kleine Blockade, ein innerer Hau-den-Lukas, den man braucht um sie zu beseitigen. Es war doch alles immer so leicht? Warum nicht jetzt? Warum zur Hölle konnte mich das Karma nicht einmal in Ruhe lassen, warum konnte ich nicht einfach eine vollkommen ruhige, entspannte Reise, mit den wichtigsten Menschen meines Lebens verbringen?
» Guck einfach in die Nachrichten...«
» Sie sagten Menschen sind tot. Okay, aber es sterben täglich tausende Menschen, und trotzdem sind es nicht unsere Freunde, es kann uns scheiß egal sein, sie leben, sie sind vielleicht verletzt, aber ich verwette mein ganzes Leben, es geht ihnen gut, also akzeptiere es verdammt nochmal und höre auf, alle so zu deprimieren!«, gegen Ende hatte Joon fast schon geschrien.
» Wird einfach wieder so wie früher, vielleicht tut Maike dir wirklich nicht gut, anscheinend war sie ein Fehler.«, er fuhr vollkommen kalt fort, ignorierte mein entsetztes Gesicht und ging.
Joon war aus dem Raum raus gerauscht, ich sah ihm hinterher, unsicher, was ich denken sollte, das erste Mal wusste ich wirklich nicht, was ich tun sollte. Vielleicht war ich wirklich zu negativ, vielleicht war ich auch zu positiv, vielleicht war ich auch zu ehrlich, oder manchmal zu verlogen, vielleicht zu nett, vielleicht zu gemein. Irgendwas war doch eigentlich immer, weswegen andere meckern konnten, es war schon immer so, nie konnte man andere wirklich zufrieden stellen, nie, man fand sich damit ab. Der bunte Stein Kanten und Ecken wurde abgeschliffen und bald ein runder, grauer Kieselstein im Trott dieser langweiligen, grauen Welt, in der zwar Farben existierten, aber es nur ein schwarz-weiß gab.
Gut oder böse, nett oder gemein, hübsch oder hässlich, beliebt oder gemieden, schwarz oder weiß. Gedankenspiralen helfen nicht, das taten sie nie, doch sie konnten beruhigen, einen ablenken, sie konnten Gedanken vertreiben und andere anlocken, das was man wirklich brauchte, wenn man irgendwie in seelischer Not war.
Und das erste Mal fiel mir auf, wie scheiße diese Gesellschaft eigentlich war, wie sie abstumpfte.
Ein Beispiel; bist du ein Kind, bist du ein Quadrat, doch du schleifst dir nach und nach an allen anderen Kreisen, also den abgestumpften Erwachsenen deine Kanten ab und bist bald wie sie, normal, langweilig, ohne die schillernden Facetten deiner Persönlichkeit. Du bist einer von ihnen, die Kinder und die Erwachsenen waren vollkommen verschiedene Welten, ohne es zu wissen, doch wussten sie es zugleich. Das war irgendwie beängstigend, aber hatte nicht irgendwann mal irgend jemand gesagt, dass Veränderungen Menschlich sind? Vielleicht verändern wir uns, unser Quadrat verformt sich ständig, vielleicht tun wir es ihm ja in großen Schritten nach?



Alles Opfer!!! (Julien Bam FF)Onde histórias criam vida. Descubra agora