83. Kapitel

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Sorry, ich muss euch noch kurz unterbrechen. Für alle, die mir nicht folgen und dementsprechend die Nachricht definitiv nicht gelesen haben und für die, die mir folgen, aber es trotzdem nicht mitbekommen haben: das Mathegenie mit der eins auf dem Zeugnis, das die Abiprüfung in Mathe schreiben will, hat mal wieder den OHIMI-Teil verhauen. Für alle Nicht-Insider heißt das: das hier ist das letzte Kapitel, ich hatte mich verzählt und es erst jetzt bemerkt. Tötet mich später dafür, zumindest ist das Kapitel doppelt so lang wie sonst ;D

Müde setzte ich mich wahllos auf eine der Treppenstufen und lehnte mich mit geschlossenen Augen gegen die Wand neben mir. Die letzten Stunden hatten sich wie Wochen angefühlt. Nachdem Stewart unerbittlich darauf beharrte, nicht mit uns verhandeln zu wollen, war Colin irgendwann der Kragen geplatzt und wie zu erwarten hatte er geschossen. Ich fragte mich insgeheim, warum er damit überhaupt so lange gewartet hatte. Vielleicht lag es an Stewarts überheblichen Grinsen, das den Eindruck erweckte, er hätte noch irgendein Ass im Ärmel. Ob das tatsächlich der Fall gewesen war oder ob er einfach nur geblufft und sich darauf verlassen hatte, dass man ihn so oder so am Leben lassen würde, würde ich nie erfahren. Doch es war gut so. Nachdem Stewart tot war, waren die militärischen Führer unschlüssig, auf wen sie nun hören sollten. Nach gefühlt unendlich vielen weiteren Gesprächen hatten sich schließlich alle Parteien darauf geeignet, vorerst alle Kampfhandlungen einzustellen und Verhandlungen bezüglich der Zukunft von Caeth durchzuführen. Inzwischen war auch Christina endlich aufgetaucht. Ihre sachlichen Erklärungen schienen den Meisten der Anwesenden einzuleuchten, sodass sie sich erstaunlich kooperativ zeigten. Offenbar war tatsächlich den Wenigsten daran gelegen, das diktatorische Regierungssystem beizubehalten und zumindest vorerst kam es zu einer Einigung. Bis zur endgültigen Abschaffung beziehungsweise Änderung der alten Gesetze und Vorschriften würden noch einige Wochen vergehen, aber immerhin hatte sich bereits eine vorübergehende neue Regierung zusammengefunden, die zu meiner Überraschung nicht nur aus Rebellen, sondern auch aus Mitgliedern des alten Systems bestand. Bis auf Weiteres würde sie sich um die nächsten Schritte kümmern. Es war geplant, dass sobald die wichtigsten Veränderungen durchgesetzt waren Wahlen stattfinden sollten, doch bis dahin war es noch ein langer Weg.
Jetzt versammelten sich nach und nach all jene Rebellen, die weder allzu schwere Verletzungen davongetragen hatten noch für die Versorgung eben jener Verletzten benötigt wurden, in den Hallen des Towers. Morgen würden die Aufräumarbeiten beginnen, doch heute begnügte sich jeder damit, zu feiern, dass wir tatsächlich gesiegt hatten, nach Freunden und Geliebten zu suchen und um jene zu trauern, die nicht mehr am Leben waren. Ich wusste, dass ich das selbe tun sollte. Von meinem Rückzugsort aufstehen, zu der Versammlung gehen und mich nach Menschen, von denen ich nicht wusste, ob sie tot, lebendig oder verletzt waren, erkundigen. Hoffen, dass ich sie selbst wiedertreffen oder zumindest die Nachricht, dass es ihnen gut ging erhalten würde. Doch ich blieb wo ich war.
Zu groß war die Angst, zu erfahren, dass ich sie nie wieder sehen, mit ihnen sprechen und lachen würde. Es waren zu viele Menschen gefallen, als das niemand der mir wichtig war darunter war.
"Wage es nicht tot zu sein, sonst bringe ich dich persönlich um." Ungläubig sah ich auf, fand mich im selben Moment in einer festen Umarmung wieder. Tränen der Freude schossen mir in die Augen, als ich realisierte, dass das keine Illusion war. "Ich bin so froh, dass du noch lebst, Anne."
"Das musst gerade du sagen, wer von uns beiden hatte denn den gefährlicheren Job?" Sie versuchte tadelnd zu klingen, doch ihre Freude war nicht zu überhören. "Was zur Hölle machst du überhaupt hier? Ich habe dich überall gesucht und wenn Colin mir nicht gesagt hätte, dass er dich vor einer Stunde noch gesund und munter gesehen hat, wäre ich mir sicher gewesen, dass du tot bist. Wir haben uns alle riesige Sorgen gemacht, dass du wie vom Erdboden verschluckt warst."
"Ich brauchte ein bisschen Ruhe", murmelte ich ehe ihre Worte vollständig zu mir durchdrangen und ich mich ein Stück von ihr löste, um sie anzusehen. "Wen genau meinst du mit 'wir'?"
Meine Freundin verdrehte die Augen und grinste. "Wen wohl. Liz, Zoey, Kim und Paul. Dieser Nick hat sich auch schon bei mir nach dir erkundigt." Im selben Maß wie sie sich gerade gefreut hatte, verdüsterte sich ihr Gesicht nun. "Tim, Lukas und Sarah sind lebensgefährlich verletzt, soweit ich weiß."
Diese Nachricht ließ mich erleichtert aufatmen. Auch wenn ich in letzter Zeit nicht sonderlich viel Kontakt zu einigen von meinen Freunden hatte, war ich unendlich froh, dass sie noch am Leben waren. Und auch wenn Sarah, Tim und Lukas schwer verwundet waren, bestand noch immer die Hoffnung, dass sie es schafften. Somit blieb eigentlich nur noch eine Person, bei der ich im Ungewissen war. "Das ... ist großartig, Anne, ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt einen von euch wiedersehe und jetzt sind wie durch ein Wunder alle noch mehr oder weniger lebendig", ich schüttelte lachend den Kopf, konnte es auch jetzt noch nicht fassen. Und doch musste ich noch die Frage stellen, deren Antwort ich am meisten fürchtete. "Hast du zufällig auch irgendetwas von Damon gehört?" Ich gab mir Mühe, nicht allzu viel Hoffnung in meine Stimme zu legen, doch völlig verhindern konnte ich es nicht. Anne war in diesem Moment so etwas wie meine persönliche Botin guter Nachrichten und ich wünschte nichts sehnlicher, als das sie auch jetzt diese Rolle fortführen würde.
"Tut mir leid, aber nein." Als sie sah, wie meine Schultern enttäuscht herunter sanken, umarmte sie mich tröstend. "Das muss nichts heißen, Lola. Im Gegenteil, es ist immer besser, noch keine Nachricht zu haben, als sicher zu wissen, dass er tot ist. Und so wie ich Damon kenne, hat er sich nur aus irgendeinem Grund verspätet und verzweifelt gerade, weil er dich nicht findet."
"Glaubst du das wirklich?"
"Ja und genau deswegen werden wir jetzt endlich dieses blöde Treppenhaus verlassen und deinen Freund daran hindern, dass er das ganze Gebäude auseinander nimmt", ohne auf eine Antwort von mir zu warten, zog sie mich mich mit einem zuversichtlichen Lächeln zurück in die Halle.
Hatte ich eben noch angesichts Annes optimistischer Haltung Hoffnung geschöpft, so verließ mich diese im selben Augenblick, als wir uns durch die Massen am Eingang drängelten. "Selbst wenn er tatsächlich hier sein sollte, werden wir ihn in diesem Durcheinander nie finden", sagte ich entmutigt, nachdem ich entgegen aller Wahrscheinlichkeit versucht hatte, irgendwie einen Überblick zu bekommen.
Anne schien von der Menschenmenge ähnlich überfordert zu sein wie ich, hatte aber im Gegensatz zu mir noch einen Plan B parat. "Nun, wenn wir ihn nicht finden können, müssen wir eben dafür sorgen, dass er dich finden kann." Entschlossen zog sie mich zu einer Reihe Tische, die achtlos an die Wand geschoben worden waren und hatte mich, bevor ich protestieren konnte, auf einen davon gezerrt. "Geht doch, jetzt sehen wir zumindest etwas."
Auch wenn ich die Idee selbst für wenig erfolgversprechend hielt, musste ich Anne in diesem Punkt Recht geben. Dadurch, dass wir auf den Tischen standen, hatten wir endlich die Möglichkeit, mehr als einen Meter weit zu sehen. Theoretisch müssten wir somit auch viel besser zu erkennen sein, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass es bei der Theorie blieb. Über tausend Menschen mussten sich in dieser Halle befinden und kaum einer beachtete uns. Trotz unserer erhöhten Position gingen wir in der Masse unter.
Dennoch wollte ich nicht so schnell aufgeben und musterte aufmerksam die Menge, hoffend einen bekannten blonden Haarschopf zu finden. Kurz hatte ich auch erwägt, Damons Namen zu rufen, den Gedanken jedoch schnell wieder verworfen. Es war durch die unzähligen Gespräche der einzelnen Menschen zu laut, um auch nur ein paar Meter weiter gehört zu werden.
"Anne, ich glaube das hat keinen - ", ich stoppte erschrocken, als der Tisch unter mir plötzlich erzitterte und ich gleichzeitig in eine Umarmung, die mir fast die Luft abschnürte, gezogen und stürmisch geküsst wurde. Mein Verstand schien sich kurzzeitig zu verabschieden, während mein Körper vor Glück zu explodieren drohte. Damon war trotz aller Widrigkeiten am Leben! Anne hatte also tatsächlich Recht behalten. Ich nahm am Rande wahr, wie sie lachend sagte, dass sie uns dann mal allein lassen würde, während Damon sich wenige Zentimeter von mir löste um mir in die Augen zu sehen.
"Du kannst dir nicht annähernd vorstellen, wie froh ich bin, dich zu sehen."
"Doch, ich glaube das kann ich besser als du denkst", antwortete ich leise. Ich wollte noch so viel mehr sagen, doch mein Kopf war wie leer gefegt. Doch in diesem Moment war es auch nicht wichtig etwas zu sagen, es reichte mir vollkommen, Damons Lächeln zu erwidern und das Gefühl seiner starken Arme um meinen Körper zu genießen. Sein prüfender Blick wanderte über mich, schien jeden Zentimeter von mir nach Verletzungen abzuscannen, ehe er bei meinem Hals stoppte und sanft mit dem Daumen über die angeschwollenen Stellen strich. "Ich hoffe, das Schwein, das dich erwürgen wollte schmort bereits in der Hölle."
"Sofern es diesen Ort tatsächlich gibt, garantiert", murmelte ich. Seine Bemerkung hatte mich aus meinem sorglosen Zustand gerissen, ängstlich versuchte ich herauszufinden, ob er stärkere Verletzungen als ein paar Schrammen davongetragen hatte. Auf den ersten Blick wirkte er unversehrt, doch ich stellte erschrocken fest, dass sich die Fingerspitzen meiner linken Hand, die immer noch auf Damons Schulter lag, feucht anfühlten. Vorsichtig tastete ich seinen Rücken entlang, bis ich die klebrig nasse Stelle samt dem Loch in seiner Jacke und dem darunterliegendem T-Shirt fand. Als ich meine Hand zurückzog, glänzte sie vor Blut.
"Du bist verwundet", sagte ich mit einem Kloß im Hals, versuchte nicht zu sehr auf meine Hand zu starren. Hatte er das tatsächlich nicht bemerkt oder war es ihm schlicht und einfach egal?
"Ist nur ein Kratzer", murmelte er ohne seine Tätigkeit, meinen Nacken und Schulteransatz zu küssen, zu unterbrechen.
"Ein Kratzer, der verdammt stark blutet, wenn du mich fragst. Das sollte dringend versorgt werden." Verunsichert überlegte ich, wo der nächste Sanitäter zu finden war. Wer weiß, wie lange er schon mit dieser Wunde herumlief und dementsprechend viel Blut verloren hatte. Es war nicht ungefährlich, so etwas als einen Kratzer abzufertigen.
"Ob du's glaubst oder nicht, das hatte ich tatsächlich schon vor. Aber zuerst wollte ich dich suchen und mich vergewissern, dass es dir gut geht", er spürte mein Unbehagen und ließ nun doch von mir ab. "Dummerweise warst du aber nirgends aufzufinden, weil du es offenbar für nötig gehalten hast, dich aus irgendeinem Grund zu verstecken - wofür ich dich übrigens, wenn ich nicht gerade so glücklich wäre, dich vermutlich dank Anne gefunden zu haben, über's Knie legen würde. Das war verdammt rücksichtslos, Lola, du hättest wenigstens irgendjemandem sagen können, wo du hingehst."
Trotz seines ernsten Tonfalls musste ich grinsen. "Das würdest du nicht tun. Außerdem klingst du gerade nicht sonderlich glücklich."
"Könnte daran liegen, dass meine Freude nicht verhindern kann, dass ich wütend bin", knurrte er und zog mich wieder an sich. "Und warum genau sollte ich es nicht tun? Verdient hättest du's. Ich bin fast umgekommen vor Sorgen."
"Vielleicht weil du bald wegen zu viel Blutverlust ohnmächtig werden wirst?", schlug ich vor. Dem hatte er nun endlich mal nichts entgegenzusetzen.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt