Kapitel 9

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,,Warten Sie!'' Adrienne sprang auf. ,,Sparen Sie sich die Mühe.'' sagte sie und ging zur Tür. Dort angelangt, drehte sie sich noch einmal um und funkelte ihn ärgerlich an. ,,Aber eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Ich werde ganz bestimmt nicht kommen. Sie können Ihr Essen also alleine genießen.'' Mit diesen Worten wirbelte sie herum und verließ erhobenen Hauptes das Büro. Vorbei an der blonden Empfangsdame und den anderen, noch immer wartenden Bewerbern. Sobald sie jedoch in Frei trat, ließ sie die Schultern hängen. Gleichzeitig spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Wie hatte das Treffen mit Lucien Dupont nur so schrecklich schieflaufen können? Sie hatte doch nur eines gewollt: ihn irgendwie dazu bringen, die Reederei ihres Vaters in Ruhe zu lassen. Sie atmete tief durch, umrundete das Gebäude und betrat den dahinterliegenden Parkplatz. Als sie kurz darauf in den Wagen ihres Vaters stieg, den sie sich für heute geliegen hatte, fühlte sie sich erschöpft und mutlos wie schon lange nicht mehr. Es kostete sie Kraf, den Schlüssel ins Zündschloss zu stecken und den Motor zu starten.

Sie fuhr los, und schon kurz nachdem sie die mit einer Schranke versehene Einfahrt passiert hatte, eröffnete sich ihr die ganze Pracht Montre Carlos: strahlend weiße Gebäude, Palmen, die die Straße säumten, und Casinos, vor denen elegante Limousinen vorfuhren. Die Schönen und Reichen schlenderten durch dei geflegten Parks und die Boutiquen entlang der Avenue Princesse Grace. Doch genießen konnte sie den Anblick nicht. Dazu ging ihr zu viel im Kopf herum.

Es war nun acht Jahre her, seit sie Montre Carlo verlassen hatte, um in London Jura zu studieren. Ihr Vater war von ihrem Entschluss alles andere als angetan gewesen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte sie hierbleiben, einen reichen Mann heiraten und ihr Leben in dessen Hände legen sollen. So wie ihre Mutter es getan hatte. Beim Gedanken an ihre Mutter atmete Adrienne scharf ein. Madeleine Dierot war wahrscheinlich der Hauptgrund für ihren Weggang damals gewesen. Immerzu mit anzusehen, wie die eigene Mutter nur in den Tag hineinlebte und sich für nichts anderes als ihren Golfclub und Cocktailpartys begeistern konnte, war für Adrienne eine Qual gewesen. Die Stiftung war für sie nur ein Mittel zum Zweck, denn echtes soziales Engagement konnte Madeleine Diderot nicht wirklich verstehen. Deshalb hatte Adrienne beschlossen, sich so früh wie möglich abzunadeln. Sie wollte etwas aus ihrem Leben machen, etwas bewegen. So kam es, dass sie nach London ging, um Jura zu studieren. Um als Anwältin in Not geratenen Menschen zu helfen.

Das alles mochten Gründe für Ihren Entschluss gewesen sein, fortzugehen. Der Auslöser jedoch war ein anderer gewesen. Und auch da hatte ihre Mutter eine große Rolle gespielt, ebenso wie ihr Vater. Und noch eine weitere Person.

Gerald.....

Der Mann, den sie zu lieben geglaubt hatte. Und von dem sie am Ende bitter enttäuscht worden war.... Energisch schüttelte sie den unbequemen Gedanken ab. Während der Zeit ihres Studiums hatte sie bewusst kein Geld von ihrem Vater angenommen, sondern sich mit Hilfjobs über Wasser gehalten. In Pubs oder Pizza-Restaurants und zuletzt als Callcenter-Agentin. Anfangs war das für sie, die von klein auf Luxus gewohnt war, schwer und auch irritierend gewesen. Ihr komplettes Apartment, das sie sich noch dazu mit einer Mitbewohnerin teilte, war kleiner als ihr Zimmer in der Villa ihrer Eltern! Und für einen mickrigen Stundenlohn hart zu arbeiten und nicht einfach alles, was sie brauchte, von ihrem Vater zu bekommen hatte ebenfalls eine Umgewöhnung bedeutet.

Aber sie hatte sich durchgeschlagen, und schon nach kurzer Zeit fühlte sie sich trotz allem glücklicher als je zuvor. Sie leistete etwas, war auf niemanden angewiesen und konnte ihr Leben so leben, wie sie es wollte. Von Anfang an hatte sie ihre knappe Freizeit genutzt, um sich sozial zu enagieren. Sie hatte freilwillig bei Armenspeisungen geholfe, Spenden für Jugendeinrichtungen gesammelt und war mit Hunden aus dem Tierheim spazieren gegangen. Schließlich, vor etwas über einem Jahr, hatte sie Bella kennengelernt. Die quirlige Fünfundzwanzigjährige hatte sich als ihre Mitbewohnerin beworben, nachdem die Frau, mit der Adrienne zuvor zusammengewohnt hatte, aus beruflichen Gründen weggezogen war. Die zwei hatten sich sofort miteinander angefreundet, waren einfach auf einer Wellenlänge. Und als Adrienne erfuhr, dass Bella für Good Deeds arbeitete, war für sie klar gewesen, dass sie genau das ebenfalls wollte.

Nach ihrem großen Erfolg in der Superstore-Sache hatte sie nun eigentlich vorgehabt, den nächsten großen Coup zu starten. Doch dann war der Anruf ihres Vaters gekommen, und Adrienne musste all ihre Pläne erst einmal über Board werfen. Sie wusste, Bella hatte das zunächts nicht ganz verstanden. Adrienne hatte ihr immerhin erklärt, wie angespannt das Verhältnis zu ihrer Familie war. In den ganzen Jahren war Adrienne nicht ein einziges Mal in Monaco gewesen, hatte lediglich telefonisch Kontakt gehalten, und das auch eher sporadisch. Doch eines war ihr immer klar gewesen: Sollte ihre Familie sie einmal wirklich brachen und um Hilfe bitten, würde sie keine Sekunde zögern.

Schicksalstage in Monaco *Abgeschlossen*Where stories live. Discover now