Die Nebelwelten

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Ströme und dunkle Täler und Tiefen,
In wolkengleichen Wäldern versteckt,
Deren Formen uns ganz verdeckt,
Weil sie von bleiernen Nebeln triefen.

Edgar Allan Poe, Märchenland


Es gab kein oben mehr. Es gab kein unten mehr. Dichter Nebel waberte um meine Beine, über mir ein Himmel aus Perlmutt oder vielleicht war es auch der Boden und ich stand in den Wolken. Eine geisterhafte Stille sammelte sich zwischen den Nebelschwaden, ich hielt den Atem an. Es hatte etwas Fragiles an sich, dieser schweigende Ort, als könnte ein Wort Welten zerstören.

Ich streckte die Hand nach dem Nebel aus, feucht und schwer und bedeutend und so viel realer als in der wirklichen Welt. Der Nebel wölbte sich leicht, wanderte über meine Hand, glitt zwischen meinen Fingern hindurch, kalt wie Eiswasser. Schaudernd zog ich die Hand weg.

„Das ist Nebel."

Ich fuhr zusammen. Pans Lachen klang viel zu laut in der Stille.

„Musst du mich so erschrecken?" Ich sah mich um. Pan stand keine drei Meter von mir entfernt, ein Farbklecks zwischen weiß und Luft. Seine Augen leuchteten durch den Nebel. „Dass das Nebel ist, habe ich auch selbst erraten."

„Aber das hier ist echter Nebel", erwiderte Pan. „Nicht der billige Abklatsch, den ihr gelegentlich in der Men­schenwelt habt. Unser Nebel lebt."

„Aha."

Ich hatte nicht wirklich Lust, eine Debatte über Nebel zu führen.

„Er markiert die Grenze zwischen der Menschen- und der Nebelwelt." Pan schnipste, eine Nebelwolke wirbelte auf und formte sich zu einem Kätzchen. „Wenn man weiß wie, kann er dich überall hinbringen."

„Lass mich raten - du weißt es natürlich?"

Pan grinste.

„Aber sicher."

War ja klar.

„Wenn ihr fertig seid mit eurem Geschwätz, sollten wir uns wieder auf den Weg machen."

Ich sah mich nach Tiberius' Stimme um, aber durch den Nebel erkannte ich nur eine blasse Silhouette. Pan glitt auf ihn zu, seine Gestalt verschwamm wie die des Magiers. Ich beeilte mich, ihnen zu folgen, der Grund unter meinen Füßen kaum fest genug, um mich zu tragen.

„Hat der große Zauberer etwa Angst vor den Wesen im Nebel?"

„Wenn du auf einen Kampf aus bist, den du auf keinen Fall gewinnen kannst, dann bitte. Bleib hier."

Mit wehendem Mantel wandte sich Tiberius ab und schritt durch den Nebel davon. Ich lief ihm hinterher, Pan der locker mit mir Schritt hielt, schob die Hände in die Taschen seiner Weste.

„Du müsstest dich nicht so beeilen, wenn du mir den Weg überlässt. Ich bin um einiges besser darin, den Nebel zu teilen, Tib."

„Ganz wie du meinst." Tiberius wandte sich um. „Warum suchst du dann nicht den Weg, Pan?"

Es klang wie Dummkopf. Pan grinste selbst­gefällig.

„Gerne doch."

Munter pfeifend ging er an Tiberius vorbei. Der Magier wartete, bis ich ihn eingeholt hatte. Vielleicht wollte er auch nur Abstand zu Pan.

„Endlich ist er weg."

„Warum könnt ihr euch so wenig leiden?", fragte ich. Tiberius' Mundwinkel zuckten.

„Wie kommst du darauf, dass wir uns nicht leiden kön­nen?"

„Na ja, weil..." Ich gestikulierte mit den Händen. „Weil ihr einander ständig irgendetwas an den Kopf werft."

Nebelsucher - Kinder des WaldesWhere stories live. Discover now