Schicksal

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Immer schwingt ein Totenfalter
Sich vor meinen Schritten auf:
Kündet er als Schicksalswalter
Meines Lebens kurzen Lauf?

Felix Dahn, Todesmut

Ohne irgendwie anzuklopfen oder so, schlug Pan die Zeltdecke zurück und trat in das etwas muffige Innere. Seltsamerweise war das Zelt von innen noch bunter und bizarrer als eh schon, von der Decke hingen Bündel aus Knochen und getrockneten Pflanzen, dichter Rauch, der von den Räucherstäbchen ausging, die überall in kleinen Glas- oder Kristallgefäßen standen, hing an der Zeltdecke, was das Atmen ziemlich erschwerte. Ich musste mich zu­sammenreißen, um nicht zu husten, bei dieser unerwar­teten Geruchsfülle aus Pflanzen, Rauch und irgendetwas, das ich nicht wirklich definieren konnte und das mir vollkommen unbekannt war. Der Boden war von bunten Kissen übersäht, sodass der eigentliche Boden, der von einem Teppich bedeckt war, kaum noch zu erkennen war. Ich brauchte eine Sekunde, um die Frau in der Mitte des Zeltes überhaupt zu entdecken. Sie saß auf einem riesigen, roten Kissen, ihr Körper war verhüllt von diesen klischeehaften Wahrsagertüchern, ihre weißen Haare bildeten einen Turm auf ihrem Kopf, unzählige, lange Ketten aus Knochen und verschiedenfarbigen Steinen lagen um ihren Hals, und auch an ihren Ohren waren lange Ringe zu erkennen, an denen winzige Knochen hingen, die mich auf bizarre Art an Vogelflügel erinnerten...

„Wer ist da?", krächzte sie, ihre Stimme klang wie über Granit schabender Stein.

„I-Ich bin Keira Whitethorn", stellte ich mich vor und trat näher. Irgendwie machte die Alte mir Angst. Die Frau legte den Kopf schief, als würde sie nach einer Stimme lauschen, die ich nicht hören konnte.

„Ja, das Mädchen, das dem Zauberer folgt. Die Ahnen haben mir von dir erzählt. Und du willst deine Zukunft kennen, hä?" Sie lachte. Es hörte sich an wie Krähen­geschrei. „Komm näher, Mädchen, setz dich."

Zögernd ging ich auf sie zu und ließ mich auf ein riesiges, blaues Kissen fallen. Madame Aondine starrte mich di­rekt an, ohne zu blinzeln, ihre Augen waren milchig und blicklos, als wäre sie... Sie ist blind!, erkannte ich über­rascht. Dafür sah sie mich aber extrem genau an. Jetzt, wo sie nicht mehr vom Rauch verdeckt wurde, sah ich auch ihre hackenartige Nase und die schmalen, blutleeren Lippen.

„Steht da nicht so in der Ecke rum, Eray Flammensohn und Keijo Pandorys! Kommt her", sagte sie ohne auch nur in die Richtung zu sehen mit einem spöttischen Krähenlachen. „Ihr werdet letzten Endes eh hören, was ich zu sagen habe."

Ich konnte Gins abneigenden, leicht aggressiven Blick sehen, als sie seinen Namen nannte. Jedenfalls nahm ich an, dass es sein Name war - schließlich schien hier irgendwie jeder gleich ein dutzend Namen zu haben, sobald sie auf die Welt kamen. Pan hingegen grinste.

„Hey, Aondine! Lange nicht gesehen. Wie geht's den Hexenhaken?", fragte er unbe­kümmert und ließ sich neben mir auf ein grünes Kissen fallen.

„Viel besser als bei deinem letzten Besuch", erwiderte die Alte und fügte mit unerklärlichem Ton hinzu: „Der übrigens schon zwanzig Jahre her ist."

„Ja, ja, ich weiß, ich hatte viel zu tun."

Pan lehnte sich in den Kissen zurück. Gin blieb stehen, als wolle er möglichst schnell wieder verschwinden.

„Zu tun also? Ah, ja, ja." Die alte Frau gluckste belustigt, bevor sie sich wieder mir zuwandte. „Spruce hat dich zu mir geschickt."

Es war keine Frage.

„Ja", antwortete ich trotzdem. „Woher weißt du das?"

Madame Aondine lächelte verschlagen.

Nebelsucher - Kinder des WaldesWhere stories live. Discover now