Pans Fluch

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Doch nie dem Fluch entrinnt, der sie ergreift
Und sie als Opfer mit den beiden Schergen,
Geburt und Tod, auf Wiegen und auf Särgen
Von Dasein fort zu Dasein schleift!

Adolf Friedrich Graf von Schack, Der ewige Wanderer

Es dauerte nicht mehr lange, bis der Finsterwald mit einem Mal... verschwand. Obwohl es bereits Nacht war, war das Mondlicht, das schwach durch die Blätterdächer fiel, beinahe blendend. Ich hatte mich schon so an die Dunkelheit im Finsterwald gewöhnt gehabt, ich war beinahe überrascht, dass so ein helles Licht überhaupt möglich war. Die leuchtenden Bäume schienen mir wie das Schönste, was ich je gesehen hatte, genau wie die kleinen Lichter überall. Ich hätte nie gedacht, dass ich Licht einmal so vermissen würde!

„Wir bleiben hier", stellte Tiberius fest, keine zwanzig Meter von der Waldgrenze entfernt.

„Direkt hier?" Gin warf einen misstrauischen Blick zurück. „So nahe an diesem Teufelswald?"

Tiberius warf ihm einen scharfen Blick zu.

„Ja, so nahe an diesem Teufelswald." Langsam ließ er den Blick über uns alle wandern. „Wir brauchen die Ruhe. Morgen werden wir Avalon erreichen."

Einen Moment sah ich ihn ungläubig an. Ich dachte, wir wollen Pan retten! Tiberius schien meine Gedanken gehört zu haben.

„Es nützt uns nichts, orientierungslos durch die Gegend zu irren, ohne zu wissen, wohin wir gehen müssen. Wir werden an einen der Höfe gehen, und dort suchen wir uns Unterstützung und fragen nach dieser Chaos. Die meisten mächtigen Verdammten, zu denen diese Hexe unzweifel­haft gehört, sind in Avalon bekannt." Er sah mich ernst an. „Wir finden ihn, Keira. Mach dir keine Sorgen."

Warum sagten sie mir, dass ich mir keine Sorgen machen sollte? Wo es doch Grund genug gab, sich Sorgen zu machen? Doch ich sagte nichts. Tiberius hatte ja recht; es brachte uns nichts, ziellos durch die Gegend zu laufen. Das brachte Pan auch nicht schneller zurück. Wir ließen uns auf dem Boden nieder, alsbald waren die anderen drei eingeschlafen. Mir wollte es nicht richtig gelingen, irgendwann gab ich es auf und zog meinen Notizblock aus meiner Tasche. Ich hatte den Stift bereits in der Hand und dicht über dem Papier, doch mir wollte einfach nichts einfallen. Ich war viel zu nervös um zu schreiben. Mit einem entnervten Seufzen legte ich mich wieder hin und schloss die Augen.

Ein Krachen, als wäre irgendetwas auf den Boden gefal­len, riss mich schlagartig aus dem Schlaf. Überrascht fuhr ich hoch, in Erwartung eines Angriffs. Als meine Augen sich an das plötzliche Licht, dass von einem besonders hell leuchtenden Baum herrührte, gewöhnt hatten, erstarrte ich, ganz kurz glaubte ich, mein Herz würde zum Stillstand kommen. Da war er. Pan stand keine fünf Meter entfernt im Halbschatten, es sah aus, als würde er sich mit aller Kraft an dem Baum neben sich festhalten.

„Keira", brachte er hervor, als würde es ihm Schwierig­keiten bereiten, zu sprechen.

„P-Pan."

Ich prang auf die Beine, machte einen Schritt auf ihn zu.

„Nein!", sagte er heftig. Perplex starrte ich ihn an. „Du musst hier weg. Sofort!"

„Pan, was...", begann ich und machte noch einen Schritt auf ihn zu. Er schüttelte heftig den Kopf, der Arm, mit dem er sich an dem Baum abstützte, zitterte.

„Du musst verschwinden", brachte er eindringlich her­vor. „Ich kann... Ich kann sie nicht aufhalten."

„Was meinst du mit...", begann ich, als ich verstand. Sein wahrer Name. Sie benutzte seinen wahren Namen! Aber wofür...? Urplötzlich wurden Pan die Beine unter dem Körper weggerissen, neben mir sprang Tiberius auf, seinen Stab auf Pans Brust gerichtet. Mit einem Ruck riss er den Stab nach oben. Pan knallte heftig gegen den Baum hinter sich, mit langen Schritten ging Tiberius auf ihn zu und hielt ihm seinen Stab an die Kehle. Es sah aus, als könne Pan weder seine Beine noch seine Arme be­wegen, doch anstatt Wut oder etwas in der Art in seinem Blick zu sehen, war da beinahe... Erleich­terung?

Nebelsucher - Kinder des WaldesWhere stories live. Discover now