Unruhig wälzte sich Benno im Bett umher. Er konnte einfach keine Ruhe finden. Die Bettdecke raschelte, als er sich abermals umdrehte. Es war warm im Zimmer und Benno schwitzte. Der Junge wühlte sich aus dem Bett und lief zum Fenster. Der Griff knarzte und ächzte, als er ihn drehte, um das Fenster öffnen zu können. Er stütze sich auf das Fensterbrett und sah hinaus in die dunkle Nacht. Langsam gewöhnten sich seine Augen daran und er konnte den Park und den Garten sehen. Die Luft draußen war nur wenig kühler als die im Zimmer.
Wind ging auch nicht, Abkühlung würde es also nicht geben. Vor allem nicht in den nächsten Tagen. Wie Ludmilla sagte, hatte man im Wetterbericht Temperaturen bis zu 35 Grad Celsius angekündigt, für eine Stadt wie Belfast, im Norden Europas, war das ungewöhnlich. Insgeheim hatte Benno gehofft, dass sich das Schloss nicht allzu sehr aufheizen würde.
Da die Sonne aber von Mittag an bis zu ihrem Untergang durch die vielen großen Fenster in sein Zimmer schien, wurde es natürlich wärmer. Der Junge nahm sich vor, die Vorhänge zuzuziehen, damit er wenigstens morgen besser schlafen konnte. Was ihm aber noch mehr Sorgen bereitete, waren nicht die rekordverdächtigen Temperaturen, sondern das, was nach ihnen folgte.
Nach dem heißen Tagen würden kühlere Luftmassen die irische Insel erreichen und dann würde es wieder heftige Gewitter geben. Benno fragte sich, welche Buchfiguren wohl dann in ihre Welt teleportiert würden. Obwohl sie heute Morgen endlich herausgefunden hatten, was es mit den seltsamen Ereignissen im Schloss auf sich hatte, brachte sie das nicht wirklich weiter.
Sie konnten nicht aufhalten, dass weiterhin Figuren aus den unfertigen Büchern des Grafen die Welten wechselten. Wie viele waren es wohl inzwischen? Benno war sich sicher, dass noch mehr Figuren hier umhergeisterten als die, denen sie bisher begegnet waren. Sie brauchten dringend einen Plan, wie sie etwas dagegen unternehmen konnten. Die Buchfiguren mussten wieder zurück in ihre Bücher und dort mussten sie auch bleiben. Wenn sie weiterhin in der Welt der Menschen umhergeistern würden, brächte das einiges durcheinander.
Die Medien waren schon in Aufruhr, weil einige Figuren am Donegall Square mitten im Zentrum von Belfast auftauchten. Mit ihrem seltsamen Aussehen verunsicherten sie die Menschen. Natürlich, schließlich waren sie Wachen der Königin, die eigentlich in einer ganz anderen Welt lebte. Noch konnten die Soldaten nichts mit der modernen Welt anfangen, aber wie Benno, Lasse, Dorothea und Avli Amil inzwischen herausgefunden hatten, lernten die Buchfiguren dazu.
Sie blieben nicht auf dem Stand, wie der Graf sie beschrieben hatte, sie nahmen ihr Leben selbst in die Hand. Da ihre Geschichte aber nicht zu Ende erzählt wurde, handelten die Buchfiguren drauf los, ohne ihr Ziel zu kennen. Die vier befürchteten, dass sie dann ganz andere Dinge machten, die ihnen eigentlich nicht vorherbestimmt waren. Es war jetzt schon ein heilloses Durcheinander und noch kannten sie nicht einmal alle Ausmaße. Nachdem sie endlich herausgefunden hatten, was es mit den plötzlich auftauchenden Freizeitparks, königlichen Bällen und Soldaten auf sich hatte, waren sie um halb fünf Uhr morgens schlafen gegangen.
Nach dem Mittagessen, das für Benno, Lasse und Dorothea das Frühstück darstellte, hatten die Louis geholfen, die Eingangshalle auszuwaschen. Auch sonst waren sie nicht dazu gekommen, noch einmal darüber zu sprechen. Sie unterhielten sich über alle möglichen Dinge, die Unterschiede zwischen dem britischen, dem amerikanischen oder dem deutschen Schulsystem. Ob nun Belfast, Chicago oder Berlin die schönste Stadt war. Oder welche Farbe am besten aussähe, wenn man die Wände in der Eingangshalle irgendwann mal neu streichen würde.
Nur über das eigentliche Problem, das allen drei die ganze Zeit über auf der Zunge lag, konnten sie nicht sprechen. Louis war die meiste Zeit bei ihnen, Giorgio stand neben ihnen und erteilte fachmännisch Ratschläge oder Ludmilla fragte, was sie denn gerne zum Abendessen haben würden. Nur Onkel Mattse ließ sich nicht blicken, er war voll und ganz damit beschäftigt, die Mängel in einigen Zimmern des Schlosses zu erfassen, was ihn bis zum späten Abend Arbeit breitete.
Niemanden von ihnen konnten sie davon erzählen, was sie erlebt und herausgefunden hatte, wahrscheinlich hätte ihnen niemand Glauben geschenkt oder nur ein müdes Lächeln dafür übriggehabt. So mussten sie jetzt, wohl oder übel, erst einmal alleine weiterforschen. Morgen wollten sie beraten, wie sie vorgehen wollten. Oder war es schon „morgen"? Benno lief zurück zum Bett, auf dem kleinen Tischchen daneben lag sein Handy.
Als er es einschaltete, blendete ihn der helle Bildschirm, doch er konnte die Uhrzeit erkennen. So wie es schien, lagen noch mehrere Stunden unruhiger Schlaf vor ihm, bevor im Schloss jemand daran denken würde, aufzustehen. Er hörte ein lautes Krachen über ihm. Der Junge sah nach oben, aber er konnte nicht erkennen. Was war da? Weitere leise Geräusche folgten. Liefen da oben, auf dem Dachboden etwa Mäuse umher? Das Fiepen passte dazu, aber plötzlich verstand er das Fiepen deutlich als hohes, leises Stimmchen.
Es schrie um Hilfe. Benno jagte plötzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken. Die Hilferufe ebbten nicht ab, sie wurden immer wehleidiger und trauriger. Der Junge wägte ab, ob er die Rufe ignorieren sollte oder nachgucken sollte, was es da auf sich hatte. Benno konnte es schlussendlich nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, die Hilfeschreie unbeachtet zu lassen. Er zog seine Schuhe an und öffnete die Tür. Vor Schreck zuckte er zusammen, als plötzlich jemand vor ihm stand.
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Thunderstorm - Das Vermächtnis (Buch II)
FantasySie hätte doch nicht gehen sollen. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, sie wäre geblieben. Aber dann hätte sie Fragen beantworten müssen, deren Antworten sie selbst nicht kannte. Benno, Lasse, Dorothea und Avli Amil haben das Rätsel um die g...