D R E I.Z W E I

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Lange Zeit saßen sie im Büro des Grafen herum und warteten. Sie sprachen nicht miteinander, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Benno versuchte die ganze Zeit über, sich vorzustellen, wie die drei Männer etwas mit den Ereignissen zu tun haben könnten. Der Architekt war der, den Matthias zu Rate gezogen hatte, was die Renovierung des Schlosses anging. Der Psychologe Dr. Huffington war auch von anderen Menschen in die Geschichte mit reingezogen wurden. Irgendwer musste ihn ausgewählt haben, dass er versuchte zu klären, warum die Wachen der Herzkönigin so rumliefen.

Bis auf die vier Jugendlichen wusste keiner, dass die Wachen keine normalen Leute waren, die sich einfach nur verkleideten. Den dritten Mann schließlich hatte nur Quintessa bisher gesehen und wenn Benno sich recht an ihre Erzählung erinnerte, dann auch nur als Schatten in einem schlecht ausgeleuchteten Raum zwischen zwei Welten. Allein dieser Gedanke hörte sich so schräg an, dass er unmöglich wahr sein konnte. Noch unmöglicher erschien dem Jungen, dass der Architekt, der Psychologe und der dritte Mann etwas mit den Ereignissen im Schloss zu tun hatten. Dass sie sich alle sehr ähnlich sahen, war nur noch unmöglicher. Konnte das wirklich alles nur Zufall sein?

Es musste einfach Zufall sein, entschied sich Benno. Alles andere wäre, ja was wäre das? Dorothea hatte schon gesagt, dass es nichts gab, was es nicht gab und somit konnte doch auch dieser Zusammenhang bestehen, oder etwas nicht? Nur, was trug er zu den Ereignissen bei? „Ich glaube nicht, dass wir Avli und Xenia in den nächsten Minuten noch zu sehen bekommen", sagte Lasse und riss alle anderen damit aus ihren Gedanken. „Ich hoffe nur, dass den Menschen im Freizeitpark nichts passiert ist", überlegte Dorothea. „Sie werden seit Tagen von den schwarzen Männern in ihrem eigenen zu Hause gefangen gehalten."

„Da werden wir wohl oder übel auf die beiden warten müssen", meinte Lasse. „Ob Ludmilla das Abendessen schon fertig hat? Ich habe tierischen Hunger." „Warten macht wirklich hungrig", stimmte ihm Dorothea zu. „Wie soll es jetzt weitergehen?", fragte Quintessa. „Ich bin hier. Der Freizeitpark ist es, die Herzkönigin ist es. Was machen wir jetzt? Außer warten?" „Mir wäre es lieber, wenn wir nicht so viel warten müssten", antwortete Benno, „sondern wenn möglichst bald die Erleuchtung käme, die uns weiterbringt."

„Auf hungrigen Magen kann eh keine Erleuchtung kommen", seufzte Lasse und stand auf. Die Jungen und Mädchen liefen nach unten. Jedes Mal, wenn Benno über den Gang lief, kam er sich vor wie in einem Hotel. Die breiten, langen Gänge, die vielen Türen, die große Eingangshalle, die verschiedenen Säle... Vielleicht machte Onkel Mattse ja wirklich ein Hotel aus dem Schloss. Genug Platz war vorhanden und in dem großen Park, sofern man ihn wiederherrichtete, konnten die Hotelgäste wunderbar entspannen, abseits der großen, aufregenden Stadt. Das alles war ein riesengroßer Aufwand und niemand war sicher, ob man die Sache wirklich packen konnte. Benno folgte den anderen den Flur entlang in den Speisesaal. „Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr", begrüßte sie Louis. „Ludmilla wollte schon drei Mal nach oben gehen und euch holen."

„Wir haben wohl irgendwie die Zeit vergessen", entschuldigte Dorothea lächelnd. „Habt ihr denn schon Fortschritte gemacht, was die Manuskripte und das alles angeht?", wollte Onkel Mattse wissen. Benno nickte. „Ein oder zwei sind dabei, die wir dem Verlag geben können." „Das ist sehr gut", freute sich Matthias. „Könnt ihr sie vielleicht kopieren und morgen in die Stadt zum Verlag bringen? Wenn, dann rufe ich gleich noch an und sage Bescheid, dass ihr morgen vorbeikommt."

Die Jugendlichen sahen sich an. Sollten sie wirklich schon wieder in die Stadt fahren? „Wenn ihr am Vormittag hinfahrt, könnt ihr den restlichen Tag das machen, was ihr wollt. Euch die Stadt angucken, ins Kino gehen oder was euch gerade in den Sinn kommt. Ich wäre euch nur sehr dankbar, wenn ihr die Sache mit dem Verlag übernehmen könntet. Die Menschen von dort rufen mich schon jeden Tag an und das Geld könnten wir wirklich gut für die Renovierung gebrauchen." „Wenn uns jemand ein Auto gibt, dann können wir das gerne machen", antwortete Lasse. Es war klar, dass er wieder fahren musste. „Da kann man ja froh sein, dass ihr in den Staaten schon so früh die Fahrerlaubnis bekommt", lachte Louis. „Sonst müsstet ihr laufen!"

„Du hast auch ein Auto, Bruderherz", erwiderte Dorothea scherzend. „Ihr wollt mit meiner alten Mühle in die Stadt fahren?", fragte Louis. „Wenn dann fährt eh Lasse und wir fahren nur mit", stellte Dorothea klar. „Früher wire sind gefahren mit Roller", schaltete sich Giorgio ein. „Das ware immer sehr lustig!" „Du kannst doch die Kinder nicht mit einem Motorroller in die Großstadt schicken", erwiderte Matthias. „Sicher, früher haben wir das alle gemacht. Aber das war eben früher."

„Und falls die Mädchen ja shoppen gehen, müssen sie ja auch die Tüten irgendwie transportieren", warf Louis ein und zwinkerte seiner Schwester zu. Dorothea zwinkerte zurück. „Die Kinder nehmen mein Auto", erklärte Ludmilla, die gerade aus der Küche kam. „Das hat genug Platz und eine Klimaanlage."

„Brauchst du es morgen nicht?", fragte Benno. „Nicht, dass du dann wegen uns hier festsitzt." „Meine Kinder bringe ich früh in die Schule, dann fahren sie mit dem Bus nach Hause. Die sind schon groß, das kriegen die alleine hin", erklärte die Haushälterin. „Du solltest trotzdem nicht so viele Überstunden machen", meinte Matthias. „Deine Kinder sehen dich doch kaum noch, oder?" „Das Thema hatten wir schon mal", stellte Ludmilla fest. „Was ich dich noch fragen wollte: warst du mit dem Architekten im Rittersaal?" Matthias nickte. „Und habt ihr auch ein Fenster aufgemacht und vergessen, es wieder zu schließen?"

Dieses Mal schüttelte Matthias den Kopf. „Nein, die Fenster hat der Architekt sich nur angeguckt. Die müssen auch ausgetauscht werden, versteht sich. Warum fragst du?" „Weil ich vorhin zufällig mitbekommen habe, dass da ein Fenster offen ist", erklärte die Haushälterin. „Ich war nur kurz draußen und da habe ich es gesehen. Hätte ja sein können. Nur die Frage ist dann, wer hat es dann aufgemacht?" An der Tafel herrschte kurz schweigen. „Geister", schlug Giorgio vor. „Fantasmi, huhu."

Die anderen lachten. „Daran glaube ich nicht, Giorgio", erwiderte Ludmilla jedoch. „Vielleicht hat es der Wind aufgedrückt", schlug Louis vor. Die Erwachsenen beschlossen schnell, dass das die einzige Möglichkeit sein konnte. Die Jugendlichen wechselten jedoch einen überraschten, wenn nicht auch erschrockenen, Blick. Giorgio konnte es unmöglich wissen, aber es konnte doch sein, dass es hier Geister gab. Benno war sich sicher, dass Geister nicht unwahrscheinlich waren, wenn mitten aus dem Nichts Bälle und Freizeitparke auftauchten. Nach dem Essen mussten sie der Sache unbedingt auf den Grund gehen, vielleicht fanden sie ja einen Hinweis. Wobei Benno bezweifelte, dass ein offenes Fenster ihnen da helfen konnte. Auf der anderen Seite durften sie jedoch nichts auslassen, was ihnen weiterhelfen könnte. Benno hoffte aber, dass sie nicht noch auf weitere Figuren stießen, die umherirrten, auf der Suche nach ihrer Geschichte und wie sie enden würde.

Dann mussten sie aber auch noch zwei Romane heraussuchen, die sie morgen beim Verlag abgaben. Leichtfertig hatte der Junge vorhin gesagt, dass sie das machen konnten. Nachher mussten sie auch noch zwei Werke heraussuchen, die fertiggeschrieben waren und sie kopieren. Zwar hatte er sich vorgenommen, nicht mehr so lange aufzubleiben, damit sein Schlafrhythmus nicht vollends hinüber war, aber heute würde es auf jeden Fall noch ein langer Abend werden. Morgen dann auch noch in die Stadt! Ob die Herzkönigin und ihre Wachen inzwischen umgezogen waren? War es gut, dass Dorothea ihr gesagt hatte, dass sie hier im Villenviertel mehr Ruhe hätten als in der Stadt? Er seufzte leise und ihm war klar, dass die nächsten Tage keineswegs ruhiger werden würden. Im Gegenteil. Und das nannte sich Ferien!

Thunderstorm - Das Vermächtnis (Buch II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt