Zweite Begegnung

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Aleyna und ich fuhren mit der U - Bahn zur Reeperbahn. Immer wieder sahen uns Männer an und wir flüsterten gemeinsam: "Meinst du, die kennen uns?"

"Zumindest kennen sie dich, Aleyna. Wegen Fernsehen."

"Na ja, aber dich kennen sie bestimmt auch. Du bist die Zweitbeste der Clubs in ganz Hamburg! Und Marie wirst du auch toppen, glaub mir."

Marie.

Sie hatte mich schon bei meinem allerersten Auftritt zur Feindin gemacht. Obwohl ich ihr deutlich unterlegen war, denn sie trat auch in anderen Städten und sogar manchmal im Ausland auf. Ich hatte fast bloß Hamburg zu meinem Revier gemacht. Aber gut, wenn sie meinte, dass ich bald besser sein würde als eine erfahrene Tänzerin über 20 Jahren (zur Erinnerung: ich war immer noch erst 16), so musste dies ja auch irgendwie stimmen. Marie sah etwas in mir, was ihr den Platz in dieser unseriösen Welt streitig machte.

Als wir am Club "Stars at Night" ankamen, trug ich noch mein natürliches Outfit: eine weiße Bluse mit schwarzen Punkten, eine helle enge Jeans und Schuhe, die von keiner bedeutsamen Marke stammten. Meine Haare waren wie immer in einem strengen Dutt gefangen.

Als ich an der Eingangstür den ziemlich breiten (als ich ihn sah, dachte ich an den Albumtitel "Breiter als der Türsteher" von Majoe) Türsteher sah, lächelte ich ihn an und sagte: "Ich habe hier einen Auftritt, Chajja Nellow?" Meinen Namen sagte ich eher so, als ob es eine Frage war. Er runzelte die Stirn und musterte mich. Wie beiläufig ließ er seine Muskeln spielen und lachte los.

"Du und eine... Stripperin?"

Aleyna verdrehte die Augen und beugte sich etwas nach vorne, sodass der Türsteher ihr direkt in den Ausschnitt sehen musste. Er leckte sich kurz die Lippen und als ich das sah, musste ich grinsen. Nun schaute mich der muskelbepackte Mann an und entschuldigte sich: "Ich meine, so wie du hat sich noch nie ne' Nutte angezogen und -"

Er hielt erschrocken inne als ich ihn stinkwütend anstarrte.

Gefährlich zischte ich: "Niemand. Nennt. Mich. Nutte. Ich habe keinen Sex mit meinem Publikum, du Anabolikasuchtie!"

Ich legte meine Hand auf seine ekelhaft harte Brust und schob ihn beiseite. Wenn er sich gewehrt hätte, hätte ich ihn niemals von der Stelle bekommen, das war mir sehr bewusst. In dem Club wurde ich überwältigt von dem Jubelgeschrei welcher der gerade tanzenden Frau galt. Ich bemerkte, dass überall roter Samt war. Auf den Sesseln, Stühlen, den Bänken, die Gardinen waren rot, die Kostüme der Barfrauen, einfach alles!

Wie gut, dass ich mir ein komplett schwarzes Kostüm ausgesucht hatte! Als ich gerade weiter in den roten Samtsaal gehen wollte, packte mich Aleyna plötzlich und zog mich wieder aus dem Club. Sie deutete zu einem Schild:

HINTEREINGANG NUR FÜR PERSONAL

und ich klatschte mir gegen die Stirn. Also gingen wir unter den kritischen Blicken des Türsteher's zum Hintereingang, vor dem mehrere Mädels draußen rauchten.

"Stars at Night" stand mitten auf der Reeperbahn und war so stark beleuchtet und so groß, dass man es nicht übersehen konnte. Wenn man aber dem kleinen Schild an der grellrot gestrichenen Hauswand folgte und in einen kleinen Weg einbog, gelangte man auf einen Hinterhof wo die ungeschmückte graue Wand des "Stars at Night" zum Vorschein kam. Hier war es zwar immer noch beleuchtet, aber niemals so stark wie auf der Seite, die der Reeperbahn zugewandt war. Auf diesem Hinterhof standen die rauchenden Frauen und wir wurden noch nicht einmal misstrauisch gemustert, was in heruntergekommeneren Clubs oft der Fall gewesen war.

Hier hatten sie alle bessere Manieren und gingen besser mit ihren Reizen um, als sie sofort zu zeigen. Hier herrschte die oberste Klasse der Table - und Pole Dancer, Twerker und so weiter. Natürlich gab es hier auch mehrere Mädchen die nicht nur tanzten, sondern sich danach auch zum Sex anboten, welcher in den oberen Stockwerken stattfand. Es war immer noch ein schmutziges Geschäft, jedoch wurde hier viel Wert auf Hygiene gelegt, das merkte ich sofort. Die Frauen waren sehr wohl kaputt und völlig am Ende, aber ihnen wurde nichts aufgezwungen und Kondome waren ein Muss.

Mit Aleyna's Hilfe zog ich mich um, schminkte und frisierte mich. Dann unterhielt ich mich noch mit mehreren Tänzerinnen und schon bald wurde mir bewusst, dass sich niemand mit Marie anlegen wollte, weil sie den Titel "Queen of Pole Dance" genoss und ihn nicht so gerne wieder abgab. Überhaupt nicht gerne.

Okay, die liebe Marie muss aber akzeptieren, dass sich andere auch entfalten und ihre Grenzen testen wollen! Und ich gehöre nun mal dazu.

Die "Queen of Pole Dance" kam im pinken Pelzmantel (PINKER PELZMANTEL?!) und pinken High Heels in die Umkleide und in den Aufenthaltsraum der Mädels hineingerauscht, musterte mich überrascht und machte mich anschließend mit einem kaugummikauenden und wutverzerrtem Gesicht nieder. Zumindest wollte sie dies beabsichtigen.

Ich lächelte sie jedoch "nichtsahnend" an und sagte: "Hallo Marie!", zu ihr.

Sie wandte sich ab und zog sich nun in einer anderen Ecke der Umkleide um. Ich grinste in mich hinein. Bevor mein Auftritt begann hatte ich noch Zeit, also setzten sich Aleyna und ich in den Aufenthaltsraum der Tänzerinnen. Die roten Sessel aus Samt die im Saal gewesen waren, standen auch hier und wir machten es uns bequem.

Aleyna lästerte: "Also, jetzt endlich hab ich Marie mal richtig kennen gelernt und die is' ja echt... puuuuh, was geht bei der, man!"

Ich lachte.

"Ja. Na ja, trotzdem ist sie an der Stange eine echte Meisterin und ich bin mir absolut bewusst, weshalb sie den Titel 'Queen of Pole Dance' ergattert und genießen darf."

"Lass dich trotzdem nicht von ihr einschüchtern! Sich einschüchtern zu lassen bringt niemand den Erfolg."

"Ich weiß. Wie findest du eigentlich diesen Pulli? Hab ich von New Yorker."

"Der ist mega! Ich hab mich schon gefragt wo du den her hast. So etwas brauch ich auch!"

Wir lachten.

"Sag mal", fragte mich Aleyna plötzlich, "Wie sieht es bei dir eigentlich mit der Liebe aus?"

"Äh... Da läuft gerade gar nichts...", antwortete ich ihr wahrheitsgemäß.

"Auch keine One Night Stands?"

Ich zog die Augenbrauen hoch.

"Ach ja, du bist ja gar nicht der Typ dafür... Aber lern bloß jemanden kennen, der witzig und locker drauf ist. Ich glaube, das brauchst du."

"Tja, wenn das nur so einfach wäre..."

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt