Kapitel 12 (Teil 1)

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Ich wache auf und muss ein paar mal blinzeln, bis mir klar wird, wo ich bin. Im Baumhaus. Ich drehe mich um. Der Platz, an dem Cam gestern Nacht gelegen hat, bevor ich eingeschlafen bin, ist leer. Er ist weg. Mein Herz zieht sich ein wenig zusammen. Plötzlich fällt mir ein Zettel auf einem der Kissen auf. Schnell greife ich danach und falte das Papier auseinander. Es ist unverkennbar Cams Handschrift, es ist dieselbe, wie bei "Firsts".

 ~ Sky,

Es tut mir leid, wenn du aufwachst werde ich schon weg sein. Ich will dir keinen Ärger machen.

'Cam~

Ich falte den Zettel wieder zusammen. Er will mir also keinen Ärger machen. Ich muss ein wenig lächeln. Wieder mal macht er sich Gedanken um mich. Cam ist einfach nie selbstsüchtig oder egoistisch. Er sorgt sich immer um alle. Trotzdem wäre es schön gewesen in seinen Armen aufzuwachen. Ich klettere aus dem Baumhaus und schleiche zurück in mein Zimmer, wo meine Mom schon auf meinem Bett sitzt.

"Wo warst du?", will sie wissen und kreuzt die Arme vor der Brust.

Ich muss schlucken, obwohl ich doch eigentlich nichts verbotenes getan habe. Außerdem bin ich schon alt genug, um auch mal etwas ohne ihre Erlaubnis zu machen.

"Ich hab im Baumhaus geschlafen", sage ich ruhig und gehe an meinen Kleiderschrank.

Dass ich neben Cam geschlafen habe, muss sie ja nicht wissen. Meine Mom schnaubt leise und steht dann auf und geht aus meinem Zimmer. In den letzten Jahren hat sich unser Verhältnis um einiges verschlechtert.

Ich zucke unbedarf mit den Schultern und ziehe Cams Nachricht aus meiner Hosentasche und gehe an mein Regal und ziehe das alte Lexikon heraus. Ich falte den Zettel auseinander und stecke ihn dann zwischen die Seiten meines Notiz-/ Tagebuchs. Heute Abend werde ich wieder was rein schreiben, nehme ich mir fest vor und tue es wieder zurück in das Versteck.

Als nächstes gehe ich ins Bad unter die Dusche. Das kühle Wasser läuft mir über den Körper und hat eine gewisse beruhigende Wirkung. Heute muss ich Phyllis wieder unter die Augen treten und Cam. Außerdem habe ich mich für heute abend mit Miri verabredet. Sie wollte unbedingt ins Kino, auch wenn ich keine Ahnung habe, was für Filme laufen.  Ich drehe das Wasser ab und wickele meinen Körper in ein Handtuch und steige aus der Dusche. Mit der Hand wische ich über den beschlagenen Spiegel.

Seitdem Phyllis mich geschlagen hat, habe ich mich nicht getraut in irgendeinen Spiegel zu sehen. Den Spiegel in Jaydens Wagen habe ich ignoriert, den Spiegel in meinem Zimmer und unten im Flur ebenso. Aber jetzt muss ich mir wohl mal ansehen, wie meine Lippe aussieht. Wenn sie nur halb so schlimm aussieht, wie es sich anfühlt, dann will ich es eigentlich gar nicht wissen, wie sie aussieht. Ich hebe den Kopf und blicke meinem Spiegelbild entgegen. Meine Lippe ist gerissen und ein wenig blau. Dort wo sie immer geblutet hat ist sie etwas dunkler. Ich wende den Blick ab und sehe auf meinen Arm, der nicht viel besser aussieht. Blaue Flecken rund um dunkle getrocknete Wunden. Wie will Phyllis das bloß bei dem Video verstecken? Ich trockene mich ab und ziehe mir dann was anderes an. Definitiv einen langärmligen Pullover, auch wenn es in Miami mitten im Sommer viel zu warm dafür ist. Dazu ziehe ich mir eine Hotpant und meine geliebten Sneakers an.

Ich gehe nach unten und hole mein Handy von der Küchenablage, wo ich es gestern habe liegen lassen. Nachdem mein Handy hochgefahren ist, verkündet es mir sofort, dass ich drei neue Nachrichten in zwei Chats habe. Jayden schreibt mir, dass er um zehn da sein wird, um mich abzuholen. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Uhr an der Wand und antworte dann, dass es klar geht. Ich habe noch eine halbe stunde, bis Jayden hier aufkreuzen wird und eigentlich bin ich schon fertig. Die zwei anderen Nachrichten sind von Cam. Ich muss ein wenig grinsen. Er hat mir doch schon diesen Zettel da gelassen.

Shy Star حيث تعيش القصص. اكتشف الآن