Letzte Vorbereitungen

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Nervös kaute Johanna auf ihrem Kugelscheiber herum. Es war verrückt, dass sie die ganzen letzten zwei Jahre nichts anderes getan hatte, um auf diesen Moment hinzuarbeiten, doch jetzt, da es soweit war, befiel sie Furcht. Panik. Als sträube sich alles in ihr dagegen, die wohlige Sicherheit aufzugeben und sich aufzumachen in die Welt des Unbekannten, eine Welt ohne Netz oder doppelten Boden. Eine Welt, die ihr vielleicht ihre Träume erfüllen konnte. Oder sie kalt abweisen und mittellos zurücklassen würde.

Ungeduldig legte sie den Stift beiseite und zog ihren Laptop näher an sich heran. Sie würde jetzt auf diesen Button drücken. Sie hatte ihr Geld die letzten zwei Jahre genau hierfür gespart. Sie sprang ja nicht planlos ins kalte Wasser, sie wusste genau, was sie tat. Es gab gar keinen Grund zur Furcht.

Die Tickets für die Tour lagen im Einkaufswagen von eventim und warteten nur darauf, von ihr bezahlt zu werden. Tief atmete sie durch, dann klickte sie auf den Button, der sie zur Kasse führte.

Fünfzehn Tickets.

Sechshundert Euro.

Es würde der Sommer ihres Lebens. Oder ihr Ruin. Jetzt jedenfalls war ihr Konto um sechshundert Euro leichter und alles, was sie dafür hatte, waren fünfzehn digitale Dateien, die sie ausdrucken und als Eintrittskarte nutzen konnte. Das fühlte sich definitiv nicht beruhigend an.

Wann war das letzte Mal gewesen, dass sie ein Konzert besucht hatte? Grübelnd klappte Johanna ihren Laptop zu und begann, die Haarnadeln aus ihrer ordentlichen Hochsteckfrisur zu ziehen. Sie war achtzehn gewesen damals, und ihre Eltern hatten ihr zum Geburtstag Eintrittskarten für ihre Lieblingsband geschenkt, zwei Stück, damit sie ihre beste Freundin mitnehmen konnte. Lorem ipsum war schon damals den Inhalt ihres Lebens gewesen. Sie lächelte bei der Erinnerung daran, wie sie zu zweit und völlig aufgeregt in der Halle angekommen waren, noch mit richtigen Tickets in der Hand, die ihre Eltern an einer richtigen Vorverkaufsstelle erworben hatten.

Ein Lachen entfuhr Johanna unwillkürlich, als sie sich an ihr lächerliches Outfit von damals erinnerte. Es war mitten in ihrer Gothic-Phase gewesen, sie hatte sich genauso wie ihre Freundin komplett in schwarz gekleidet, sogar ihre eigentlich blonden Haare hatte sie schwarz gefärbt. Wenn sie heute Fotos von sich aus der Zeit sah, konnte sie sich nur noch zu Tode gruseln, so leichenblass wirkte sie in dem Stil.

Aber auf dem Konzert hatte sie sich wohl gefühlt, denn alle um sie herum waren ebenso gekleidet. In der Schule waren ihre beste Freundin und sie immer belächelt worden für ihren Musikgeschmack – Rock statt Pop, Gothic statt Hiphop, Mittelalter statt EDM –, doch in der Halle waren nur Menschen anwesend, die ihren Geschmack teilten und damit auch den Kleidungsstil.

Mit bedächtigen Schritten ging Johanna in ihr kleines Badezimmer, um alle Haarnadeln sicher zu verstauen und ihren Rock gegen bequemere Hosen zu tauschen. Das Konzert war in mehr als einer Hinsicht eine Offenbarung gewesen für sie. Nicht nur hatte sie entdeckt, wie viel berauschender Musik war, wenn man sie live erlebte – sie hätte nicht gedacht, dass sie lorem ipsum noch großartiger finden konnte als sowieso schon – nein, sie hatte auch das erste Mal in ihrem Leben echte Erregung verspürt.

Als die Band nach ewiger Warterei endlich auf der Bühne erschienen war, hatte sie sich zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht mit ihrem Idol gesehen. John. Jonathan. Die Fackel, wie sein Bühnenname war. Natürlich hatte er sie in der Masse nicht gesehen, doch sie hatte ihn gesehen. Nicht als Sänger, nicht als VIP, sondern als einen Mann. Sie war achtzehn gewesen, er irgendetwas Mitte dreißig. Sie sexuell völlig unerfahren, er hatte Erfahrung und Dominanz mit jeder noch so winzigen Geste verströmt. Noch Tage danach hatte sie nachts von ihm geträumt. Äußerst feuchte Träume.

Der Sommer ihres Lebens ✔️Where stories live. Discover now