Der Morgen danach

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Ein metallenes Poltern weckte Johanna aus ihrem Schlaf. Orientierungslos stellte sie fest, dass sie sich heillos in ihrem Kleid verwickelt hatte. Moment, ihr Kleid? Warum hatte sie es gestern vorm Zubettgehen nicht ausgezogen? Langsam richtete sie sich auf und öffnete blinzelnd die Augen. Als sie den großen Raum um sich herum wahrnahm, fiel ihr alles wieder ein.

Sie war gestern Nacht nicht zurück ins Hotel gegangen. Stattdessen hatte sie sich stundenlang mit John vergnügt.

Oh Gott.

Sie hatte es tatsächlich getan.

Hektisch blickte sie sich um, doch auf den ersten Blick konnte sie niemanden sonst im Aufenthaltsraum sehen. Hatte sie sich selbst auf dem Sofa schlafen gelegt? Daran konnte sie sich gar nicht erinnern. Sorgsam richtete sie ihr Kleid, während sie erneut ihren Blick durch den Raum wandern ließ. Ein leises Atmen vom Sofa neben ihr zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.

Da lag John, schlafend, in denselben Klamotten wie gestern.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Er war hier geblieben, er war nicht zurück in den Tourbus gegangen. Hatte er sie hierher gebracht? Enge legte sich wie eine eiserne Faust um ihr Herz. John hatte sich den Abend über wie ein Arschloch verhalten, doch am Ende hatte er seinen Stolz geschluckt und war ihr nachgelaufen. Er war ihr nachgelaufen. Und nun war er offensichtlich die ganze Nacht nicht von ihrer Seite gewichen.

Mit zitternden Fingern fischte sie die Haarnadeln aus ihrer Frisur, die inzwischen sowie völlig zerstört war. John hatte ihre kühnsten Träume in den Schatten gestellt. Es war nicht so, dass sie gar keine Erfahrung in Sachen Sex hatte, aber sie war sich immer bewusst gewesen, dass ihre spezielleren Interessen nur wenige Gleichgesinnte in dieser Welt finden würden, und so hatte sie keinem ihrer vorigen Partner irgendetwas davon gesagt. Auch John gegenüber hatte sie nichts gesagt. Er hatte es sich einfach genommen. Er hatte getan, wovon sie schon immer geträumt hatte, ohne dass sie es hatte aussprechen müssen.

Die letzte Nacht hatte sie jeglichen Willen, jegliche Selbstbestimmung abgegeben und tun lassen, wonach auch immer ihm der Sinn gestanden hatte.

Es war eine berauschende Nacht gewesen. Sie hatte nicht erwartet, ausgerechnet in John jemanden zu finden, der genauso tickte wie sie. Tatsächlich war sie immer davon ausgegangen, dass sie eines Tages schlicht den Mut aufbringen musste, und sich in einen der einschlägigen Clubs begeben müsste. Ausgerechnet John ...

Wehmütig schaute sie zu ihm. Sie war sich sicher, dass er diese Nacht niemals vergessen würde. Das war alles, was sie sich erhofft hatte. Sie sehnte sich danach, ihn aufzuwecken und vielleicht ein weiteres Treffen mit ihm zu arrangieren. Ihm ganz unverblümt zu sagen, dass sie die Nacht wiederholen wollte.

Doch das ging nicht.

Energisch richtete sie sich auf, ergriff ihre Handtasche und schüttelte den Rock ihres Kleides aus, um zumindest die gröbsten Falten zu glätten. Es war besser, wenn sie ging, ehe er aufwachte. John wäre sicherlich auch froh darüber, wenn er sich nicht mit ihr beschäftigen müsste nach dem Aufwachen.

Auf leisen Sohlen schlich sie zur Tür. Bevor sie die Klinke ergriff, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Da lag er, der Mann ihrer Träume. Er schlief lang ausgestreckt auf dem Rücken, einen Arm unter dem Kopf verschränkt, der andere baumelte von der Sofakante, so dass seine Finger leicht den Boden berührten. Er konnte nicht ahnen, was er ihr bedeutete. So sehr er die Feministin in ihr auch gereizt und verärgert hatte, so sehr hatte er doch die Frau in ihr erregt. Und wer wusste schon, ob nicht ein paar ernsthafte Gespräche mit ihr ihn zu der Einsicht führen würden, dass Frauen in allen Lebenslagen gleichberechtigt sein konnten, wenn man sie nur ließ? Vielleicht war die Tatsache, dass er seit über einem Jahrzehnt nur noch mit Groupies zu tun gehabt hatte, einfach schuld daran, dass er in gewisser Weise den Respekt für Frauen verloren hatte. Vielleicht ...

Der Sommer ihres Lebens ✔️Où les histoires vivent. Découvrez maintenant