Das gelbe Band

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Glücklich betrachtete Johanna ihren Kontostand. Für die letzten Fotos, die sie von den Konzerten gemacht hatte, hatte sie mehr Geld verlangt – und bekommen. Nicht nur stieg mit zunehmender Übung die Qualität, vor allem konnte sie mehr verlangen, weil Mark sie sowohl in Rostock als auch in Hamburg ganz nach vorne geschleust hatte. Normalerweise konnten nur professionelle, offiziell angemeldete Journalisten solche Aufnahmen bieten wie sie, da diese Zutritt zum Konzertgraben erhielten. Doch erstens gab es eine solche Einrichtung bei lorem ipsum Konzerten nicht – dazu waren sie doch noch zu unbekannt – und zweitens war sie absichtlich nicht als Reporterin dort.

Als nächstes stand Köln auf dem Programm. Johanna freute sich darauf, denn es bestand die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie Micha wiedersehen konnte. Sie würde ganz einfach Mark am Einlass darum bitten, Micha Bescheid zu geben, dass sie da war. Irgendwie würden sie sich schon finden. Die letzten Abende waren teilweise etwas ungemütlich geworden, da immer wieder selbsternannte Hardcore-Fans beleidigend und in einigen Fällen auch zudringlich geworden waren. In diesen Momenten hatte sie tatsächlich überlegt, sich doch dem Dresscode der Masse anzupassen, aber am nächsten Morgen war der Gedanke stets wieder verflogen.

Sie schloss ihr Konto, um noch einmal die letzten Zeilen ihres dritten Artikels zu überfliegen. Ja, das war gut so. Die Show in Hamburg war die mit Abstand beste der bisherigen Tour gewesen und das lag nicht nur an ihrem subjektiven Empfinden, das von der Begegnung mit Jonathan beeinflusst war. Die Halle in Hamburg war bombastisch, das Publikum lauter und enthusiastischer als je zuvor und die Jungs waren inzwischen eingespielt und in top Form.

Zufrieden klappte Johanna den Laptop zu und griff nach dem Kaffee, der ihr kurz zuvor gebracht worden war. Sie entwickelte eine ernsthafte Kaffee-Abhängigkeit auf dieser Tour, aber die Tatsache, dass sie gutes Geld verdiente, verleitete sie einfach regelmäßig dazu, ihren Nachmittag in kleinen Cafés zu verbringen und dort zu schreiben, anstatt sich auf ihrem Hotelzimmer mit Leitungswasser und Keksen über den Tag zu schleppen.

Zwei Tage waren es noch bis zu dem Konzert in Köln. Im Moment war sie noch in Hamburg, da ihre Vorurteile gegen den Ruhrpott und die umliegenden Städte sie davon abhielten, früher als wirklich nötig der schönen Perle an der Elbe den Rücken zu kehren. Sie grinste. Micha hatte ihr in Leipzig erzählt, dass die Einwohner von Köln sehr stolz auf ihre Stadt waren und es einem mehr als übel nahmen, wenn man sie mit dem Pott in einen ... Pott warf. Die fiese Seite in ihr nahm das zum Anlass, nur noch schlechter über Köln zu denken und es erst recht als eine von vielen Ruhrpott-Städten zu bezeichnen.

Fröhlich pfeifend griff sie nach ihrem Handy, um noch einige Momente durch Twitter, Instagram und Facebook zu stöbern. Als Bloggerin war es unverzichtbar, auf so vielen sozialen Netzwerken wie möglich unterwegs zu sein. Obwohl es auf eine gewisse Weise Teil ihres Jobs war, genoss Johanna die Zeit doch, die auf Sozialen Netzwerken verbrachte, kicherte auch gerne in aller Öffentlichkeit über dumme Bilder oder neue Memes, ohne sich über die verwirrten Blicke ihrer Mitmenschen Gedanken zu machen. Dieser Sommer gehörte ihr und sie würde sich ihre gute Laune niemals durch die Urteile ihrer Mitmenschen nehmen lassen. Das konnte sie den Rest des Jahres tun.

„Ich hatte schon Angst, du kommst ausgerechnet heute nicht", begrüßte Mark sie mit einem erleichterten Lächeln, als Johanna in der Schlange nach vorne trat.

Sie lächelte gequält: „Die Probleme einer feinen Dame: Meine Strumpfhose ist in der Bahn gerissen und ich musste eben noch schnell auf einer öffentlichen Toilette eine neue anziehen. Diese Seiden-Dinger sind aber auch immer empfindlich."

Der Sommer ihres Lebens ✔️Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum