Kapitel 2

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"Elizabeth hat mich gestern angerufen.", sagte meine Mutter während sie sich ihren Kaffee kochte. "Du hast ihnen mal wieder die Tür nicht geöffnet?" Ich nickte, immerhin war es die Wahrheit. "Wieso?" "Ich hatte keine Kraft zum aufstehen, außerdem lag Annabel auf meinen Beinen, ich konnte sie nicht wegschieben." Meine Mutter setzte sich mir gegenüber. "Elena.", sagte sie und holte tief Luft. "Ich habe mit der Klinik in York telefoniert, du kennst ja sicher das Auckland Park Krankenhaus, sie meinten sie hätten einen Platz für dich ab November. Ich weiß, es ist jetzt so plötzlich und auch ziemlich weit weg von hier, aber vielleicht hilft es dir. Vielleicht finden sie raus was dir fehlt." Jedes normale Mädchen hätte jetzt total den Ausraster bekommen, hätte ihre Mutter für bescheuert erklärt, ich jedoch, saß nur da und starrte in die Leere. Als wäre es mir einfach egal was mit mir passiert, als würde mich alles um mich herum, nicht interessieren. Ich nickte und schob den immer noch vollen Teller von mir weg. Es war das Frühstück dass ich gestern nicht angerührt hatte und meine Mutter hatte wohl gehofft dass ich es heute esse. Ich hatte bereits zehn Kilo abgenommen, was mich mittlerweile in das gefährliche Untergewicht getrieben hatte, da ich sowieso nie wirklich viel auf den Hüften gehabt hatte. Wenn ich mich recht erinnere, war ich immer ein seltsames Mädchen gewesen. Ich schirmte mich von allen ab, redete mit zwei Menschen und ließ sonst niemanden an mich ran. Einen Freund geschweige denn etwas sexuelles hatte ich nie gehabt, außer einmal, worüber ich nie redete, wieso auch. War alles überbewertet für mich. Vielleicht lag es aber auch an den idiotischen Jungs aus meinem Jahrgang, die mir jegliche Hoffnung auf jemand anständigen genommen hatten. Mein Kleidungsstil war bereits im Kindergarten mehr männlich als weiblich gewesen, hätte ich keine langen Haare und außergewöhnlich große Brüste, würde man glatt denken können, ich wäre ein Junge. Meine Mutter hatte sich gegen das alles nie gewehrt, sie hatte mir immer den Freiraum gegeben den ich brauchte. Hat mir gekauft was ich wollte und mir eine unglaublich schöne Kindheit gegeben. Nachdem mein Vater vor vier Jahre verstorben ist, kurz nachdem sich meine Mutter von ihm getrennt hatte, hielt sie es für nötig, seine Rolle zu übernehmen. Mein Vater hatte mir viel bedeutet, jedoch war ich auf seinen Tod vorbereitet. Immerhin war er Soldat und hatte im letzten Stadium Krebs. Dass er nicht lange leben wird, war uns allen bewusst. Natürlich fehlt er mir noch heute und vermutlich sehen viele seinen Tod als Auslöser für mein Verhalten bzw. für das, was ich momentan durchmache. Allerdings ist es nach meinem Gefühl nicht so. Immerhin hätte es dann viel früher passieren müssen und dies, nach vier Jahren, ist nicht der Fall. Ich stand vom Tisch auf und ging in den Garten. Zum ersten Mal nach Monaten, verließ ich das Haus. Es war so komisch, die Welt hatte sich ein Stück verändert. Es war kälter geworden, die Blätter wurden wieder bräunlicher und die Sonne ging bereits Nachmittags unter. Es war Oktober und so langsam stellte ich mich darauf ein, dass es ein weiteres, liebloses und langweiliges Weihnachten geben wird. Vermutlich war ich gar nicht zuhause an Weihnachten, immerhin durfte ich eine lange Zeit dort verbringen, da ich ganz sicher nicht am ersten Tag mit irgendwelchen Freunden Leuten reden würde, die keine Ahnung von mir und meinem Leben haben. Ich brauchte wirklich keinen Psychologen und auch keinen Arzt der Diagnostiziert dass ich krank bin, dass hatte ich auch selber rausgefunden. Dennoch widersprach ich meiner Mutter nicht, sie hatte bereits genug Sorgen und noch mehr wollte ich ihr nicht bereiten. Ich setzte mich ins Gras, beobachtete die Vögel beim fliegen, den Wind in den Blättern, die Rosen die leicht am verwelken waren. Meine Mutter liebte unseren Garten, es gab für sie nach mir nichts wertvolleres und dennoch ließ sie ihn ein wenig verweilen. Vermutlich kämpfte sie selber mit ihren Kräften, denn es gibt nichts schlimmeres als ein krankes Kind zu haben, bei dem man weiß wenn es nicht rechtzeitig hilf bekommt, das es sterben wird. Ich wusste dass ich sterben werde, genauso wie mein Vater, langsam und voller leid. Vielleicht gibt es ja jemanden der mir helfen kann, jemand der versteht, was ich selber nicht verstehe.

Unbroken / Slow UpdatesWhere stories live. Discover now