Kapitel 5

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"Wie geht es dir heute?", fragte Eugen und lächelte hinter seiner Brille hervor. Die Brille war neu, vorher hatte er keine getragen. Aber sie stand ihm, ließ ihn gebildeter wirken. Nachdem wir vor zwei Wochen abends im Kino gewesen waren, fiel es mir nicht mehr so schwer mit ihm zu reden. Im Kino hatte er mir erzählt, dass er den Beruf so gerne machte weil sein Vater ebenfalls Psychologe gewesen war. Als sein Vater verstarb, als Eugen 14 war, entschied er sich, das weiter zu führen was sein Vater einst geliebt hatte. "Gut, denke ich. Bin momentan wieder so müde." Er schaute mich betrübt an. "Möchtest du mir sagen wieso?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ich kann nachts nicht schlafen, weil ich nicht weiß wieso. Ich weiß nicht wieso ich aufstehen soll, weil ich keine Kraft dafür habe." "Hast du abgenommen?" Schweren Herzens nickte ich. Zwei Kilo innerhalb der letzten zwei Tage, da ich mal wieder nichts gegessen hatte. Er seufzte. "Wieso? Was ist vorgefallen?" Eigentlich nichts, das war ja das komische. Jedes Mal wenn ich aus meinem Zimmer kam, wollte ich direkt zurück. Die Cafeteria hatte ich nicht einmal betreten, weil ich mich mit den Menschen dort nicht umgeben wollte. "Nichts." Er schaute auf sein Buch, schrieb etwas und nickte. "Gut, nichts also. Nichts bedeutet, dass du seit zwei Wochen nicht einmal dein Essen angerührt hast, obwohl es dir gebracht wurde. Nichts bedeutet dass du Gedanken an Selbstmord hast weil du keinen Grund zum Leben siehst. Nichts bedeutet, dass du einfach so nur knappe 45 Kilo wiegst?" Ich seufzte und biss mir auf die Lippe um die Tränen zu unterdrücken, es war echt nicht leicht. Zumal Eugen wirklich temperamentvoll sein konnte. "Ich weiß es nicht, wirklich. Ich weiß nur, dass ich einfach nicht weiter weiß." Erneut seufzte er, dann beugte er sich zu mir und legte die Hand auf meinen Oberschenkel. "Ich mag dich Elena und ich will nicht, dass es dir eines Tages so ergeht wie mir. Getrieben aus Schuldgefühlen, aus Selbstzweifeln und Angst. Wir werden noch den Knackpunkt in dir finden, weshalb du so bist wie du bist." Doch Eugen wusste, dass ich den Knackpunkt kannte. Das Problem weshalb ich so war, wieso ich nichts aß und nicht schlief war weil mich ein Gedanke quälte.

Es war drei Monate bevor ich krank wurde gewesen. Christian hatte mich betrunken angerufen und meinte dass er mich sehen will, also hab ich ihn heimlich durch die Gartentür ins Haus geholt. Anfangs glaubte ich dass er einfach nur mit mir etwas chillen will, dass wir uns unterhalten, wie wir es immer getan hatten. Doch schon an der Art wie er mich überrumpelte als er auf mich zu kam, machte mich stutzig ob ich ihn reinlassen soll. Ich tat es, auch wenn's ziemlich dumm von mir war. Er lief voran, hielt meine Hand während wir die Treppe hoch liefen. Im ersten Moment, da dachte ich mir nur dass er mich nicht im dunklen verlieren will, so kindisch es klingen mag. Wenn wir abends unterwegs waren, hatte er mich immer an der Hand genommen um zu verhindern dass er mich verliert. Er meinte damals schon, wie gern er mich hatte, wie sehr er mich liebt. Doch an dem Abend verschwand jegliche Art von Gefühl aus meinem Körper. Er hatte die Zimmertür abgeschlossen und begonnen mich zu küssen, da waren sein Hände schon an mir und arbeiteten daran mich auszuziehen. Naiv wie ich war, ließ ich es zu und schlief mit ihm. Die Nacht war er bei mir geblieben, allerdings war er morgens verschwunden. Mehr als einen Zettel auf dem Stand Es tut mir leid, das war ein Fehler. Vergess das bitte. blieb mir nicht, bis ich anfing die Schule zu schwänzen, bis ich anfing dünner zu werden. Ich kann mich erinnern dass ich eines Mittags mit meiner Mutter Eis essen war und das war die letzte Mahlzeit gewesen, die ich je zu mir genommen hatte. Er hatte mich getroffen und mich traurig gemustert. Er hatte gemerkt dass es mir schlecht geht und hat sich aber erst Monate nachdem gemeldet, was dazu führte dass ich anfing alles zu ignorieren. Seine Anrufe, seine Nachrichten, seine Besuche, einfach alles. Es hatte nicht wehgetan was er mit mir gemacht hat, ich hatte einfach eine Mauer um mich erbaut und aufgehört Gefühle zuzulassen.
Doch als Eugen meinen Oberschenkel berührte merkte ich, dass in mir doch noch ein Herz existierte. Etwas, das noch dazu brachte ihn zu mögen. Auf welche Art auch immer, er hatte mich ein Stück weiter fasziniert. Das Lächeln, dass nur da war, wenn er mich sah. Die Schokolade die er mir jedes Mal schenkte und ich nach meiner Zigarette im öffentlichen Mülleimer am Haupteingang entsorgte, damit er nicht merkte dass ich sie nicht aß. Ja, nun hatte ich auch noch angefangen zu rauchen, weil mir den ganze Scheiß zu Kopf stieg.

"Elena, bist du noch da?" Eugen riss mich aus meinen Gedanken, indem er mein Gesicht in beide Hände nahm und mir in die Augen sah. "Tut mir leid, was hast du gesagt?" Er lachte leicht, dann schüttelte er den Kopf. "Ich würde dich gerne wieder treffen." Ich spürte seine Nervosität und wie er zitterte. "Ich würde mich ebenfalls freuen.", sagte ich leise und musste dabei Lächeln. Das erste mal dass ich ihm mein Lächeln zeigte, generell dass jemand sah, wie ich lächelte. Nicht einmal Elez, die wirklich alles von mir gehört und gesehen hat. "Wie wär's direkt mit heute Abend? Ich kann dich nach Feierabend mitnehmen, ich zeig dir n bisschen den Ort in dem ich wohne. Sie werden es schon okay finden wenn ich dich für die Nacht entführe.", sagte er und zwinkerte. Da ich nicht genau wusste was er meinte, stand ich auf und verließ den Raum ohne etwas zu sagen. Ich bekam plötzlich Angst, da meine Gedanken wieder um Christian und was damals passiert ist kreisten. Und als wäre das nicht genug, stand genau dieser vor meiner Tür, als ich um die Ecke bog.

Unbroken / Slow UpdatesDonde viven las historias. Descúbrelo ahora