Kapitel 3 : Die Wächterin des Paradies und die Soldaten des Friedens

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Drei Tage nachdem wir aus Hadès entkommen waren, stießen wir schon auf das nächste Hindernis. Eigentlich war es kein echtes Hindernis, doch wir verloren unnötig Zeit. Unsere Truppe traf auf die Wächterin des Paradies und ihre Soldaten des Friedens. Die Wächterin hieß Éden und gehörte weder zu den Wundern, noch den Teufeln. Als der Krieg ausgebrochen war, hatte sie sich mit ihren Anhängern irgendwohin verkrochen und war nicht mehr aufgetaucht. Bis jetzt.

In einem Wald waren sie und ihre Soldaten plötzlich vor uns  aufgetaucht. Allerdings hatten sie nicht angegriffen, sondern uns zum Tee eingeladen. So kam es, dass ich zusammen mit meinem Vater, Michel de Nostredame, einigen Hauptmännern unserer Armee und Adrien der Wächterin und zwei Soldaten gegenüber saß. Mir erschloss sich nicht ganz, was das hier sollte, denn noch hatte niemand etwas gesagt. Die einzigen Geräusche kamen von den Tieren im Wald, dem Rascheln der Blätter im Wind und dem weit entfernten Lager unserer Armee.

Éden war die Erste, die sich bewegte, als sie einen Schluck Tee trank. Wir anderen hatten ihn noch nicht angerührt und ich für meinen Teil würde es auch nicht tun. Erstens mochte ich keinen Tee, zweitens hatte ich keinen Durst. Ich schaute lieber den Blättern nach, wie sie sich im Wind bewegten. Einige fingen schon an, sich gelb zu verfärben. Das Ende des Sommers stand kurz bevor, es fing schon an, leicht kälter zu werden. Das Gelb der Blätter ließ mich jedoch wieder an Alix denken. In den letzten Tagen passierte das des öfteren. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen, wahrscheinlich war er längst auf dem Weg zu seiner Familie. Ich wusste, dass er eine Frau und zwei kleine Kinder hatte, Zwillinge, glaubte ich. Alix hatte mir oft von ihnen erzählt. In seiner Stimme hatte dann immer etwas Sehnsucht gelegen. Ich mochte die Erzählungen über seine Familie, seine Frau kannte ich sogar sehr gut. Sie hieß Déborah und war eine meiner Kammerzofen gewesen. Sie hätte mich in den Krieg begleiten sollen, doch als ich von den Zwillingen hörte, hatte ich sie aus meinem Dienst entlassen und dafür gesorgt, dass sie eine sichere Stellung im Haushalt einer wichtigen Adelsfamilie erhielt. Als ich erfuhr, dass Alix ihr Ehemann war, hatte ich mir geschworen, dafür zu sorgen, dass er zu seiner Frau und seinen Kindern zurückkehren würde. In gewisser Weise hatte ich meinen Schwur gehalten. Er war meinetwegen verletzt worden und durfte nun gehen.

„Ich möchte Euch zu einem Ball einladen, Eure Majestät", durchbrach Éden die Stille. Allein wegen diesem einen Satz konnte ich diese Frau nicht ernst nehmen. Wer veranstaltete denn schon einen Ball, wenn man sich mitten in einem Krieg befand. Aber Éden und ihre Soldaten hielten sich ja aus diesem Krieg raus. Sie lebten wohl immer noch ihr normales Leben, wie es jeder vorher gelebt hatte. Ein wenig beneidete ich sie schon.

„Ein Ball? Ich weiß nicht, ob es klug wäre, länger als nötig in diesem Wald zu bleiben. Die Teufel könnten uns hier zu jeder Zeit entdecken und angreifen, wir wären ihnen hilflos ausgeliefert. Sie kennen sich hier weitaus besser aus als wir."

Vor einigen Monaten noch hätte mein Vater die Einladung dankend angenommen. Ich denke, ich hätte ebenfalls Lust auf einen Ball gehabt. Doch weder mein Vater, noch ich waren die gleichen, wie vor dem Krieg. Wir wollten nur noch, dass es so schnell wie möglich endete. Ob das nun bedeutete, dass wir nach Hause gehen konnten oder ob wir starben, war mir ziemlich egal. Das einzige, was mich stören würde, war die Tatsache, dass ich im Reich des Feindes sterben würde.       

Ich hörte nicht hin, als Éden wieder zu reden anfing. Stattdessen schaute ich wieder zu den gelben Blättern. Sie tanzten im Wind, als wären sie diejenigen, die zum Ball eingeladen worden wären. Vielleicht hätten diese dort auch mehr Spaß als ich.

Mein Vater redete mit seinen Soldaten und in seinem Blick konnte ich erkennen, dass er kurz davor war, Édens Einladung anzunehmen. Ich schaute wieder zu meinem Tee, der jetzt sicherlich schon kalt geworden war. Ohne auf Höflichkeiten zu achten, stand ich auf und verließ die Runde.

Bald hatte ich eine ruhige Stelle im Wald gefunden, nicht zu weit vom Lager entfernt, um es zu verlieren und nicht zu nah, um gefunden oder gestört zu werden. Bis auf Adrien war niemand hier, doch den wurde ich auch nicht los. Er hing sogar noch mehr an mir als Alix. Aber das war mir eigentlich ziemlich egal. Er war still und solange niemand herkommen würde, wäre ich zufrieden. Leider kam jemand.

„Ich habe Euch noch nicht ein Wort sprechen hören", waren die ersten Worte, die Éden an mich richtete. Es war auch das erste Mal, dass ich sie wirklich ansah. Ihre roten Haare waren kurz geschnitten und standen in alle Richtungen ab, ihre Haut von der Sonne gebräunt, ihre Augen beinahe schwarz. Doch sie hatte ein freundliches Gesicht, ihr Mund war zu einem leichten Lächeln geformt und ihre Augen leuchteten warm. Beinahe wollte ich ihr antworten, einfach nur, weil sie wie eine Person aussah, mit der man gut reden konnte und der man einfach alles anvertrauen würde. Doch ich konnte mich rechtzeitig aufhalten. Ich hätte sowieso nicht gewusst, was ich antworten sollte.

„Soll ich Euch sagen, weshalb ich Euch zu diesem Ball eingeladen habe?"

Éden wartete zwar auf eine Antwort, doch ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie wusste, dass ich nichts sagen würde.

„Ich habe Eure Soldaten gesehen. Sie brauchen auch etwas Freude in diesen schrecklichen und trostlosen Zeiten. Genau wie Ihr auch. Dass Ihr nicht mehr redet ist wirklich schade, hoffentlich beginnt Ihr bald wieder damit. Denn wenn Euer Vater sterben sollte, werdet Ihr diese Armee anführen müssen. Und wir wissen beide, dass dies bald passieren könnte. Aber vielleicht werdet auch Ihr sterben und alle, die Euch nahestehen, werden sich nicht mehr an Eure Stimme erinnern können, weil Ihr sie schon zu lange nicht mehr benutzt habt. Nehmt einen gut gemeinten Rat an. Eure Stimme ist ein Geschenk. Verschwendet dieses Geschenk nicht, indem Ihr es ignoriert. Seid froh, überhaupt reden zu können."

Der Schwur des RittersWhere stories live. Discover now