Kapitel 4 : Der Ball des Krieges und helle Fackeln

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Es war mitten in der Nacht, trotzdem waren die meisten Männer auf den Beinen. Allerdings waren sie unachtsam. Es wurde gelacht, getrunken und geredet. Éden hatte irgendwo Instrumente aufgetrieben und diejenigen, die spielen konnten, musizierten fröhlich vor sich hin. Es entstand keine einheitliche Melodie, jeder spielte etwas anderes, doch ich musste zugeben, dass es jedoch nicht schlecht klang. Ich stand etwas abseits und betrachtete die Menge. Da es nicht viele Frauen gab, die ihre Männer, ihre Familie oder ihre Freunde in den Krieg begleitet hatten, sah es auf der kleinen Lichtung, die als Tanzfläche genutzt wurde, recht lustig aus. Für die meisten unserer Tänze wurden Frauen gebraucht. Die wenigen Frauen, die hier waren, hatten ziemliche Schwierigkeiten, den Männern, die bei den Frauen mittanzen sollten, die Schritte beizubringen. Sie stolperten, fielen hin und standen wieder auf. Niemanden störte es. Sie tanzten und lachten einfach weiter. Der Anblick brachte mich zum Lächeln, ich merkte es nicht einmal richtig. Doch ich konnte einfach nicht aufhören. Es fühlte sich einfach richtig an, in diesem Moment zu lächeln. Also lächelte ich, alle meine Vorsätze über Bord werfend, und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, fühlte ich so etwas wie Glück. Ob das gut war, wusste ich nicht. Allerdings wusste ich, dass ich eine Mauer aufgebrochen hatte, die vorher alle meine Gefühle sicher aufbewahrt hatte. Ich wusste auch, dass ich diese Mauer wieder reparieren musste, wenn der Abend vorbei war. Das Lächeln musste wieder verschwinden.

„Dass ich das noch einmal sehen würde, hätte ich nicht gedacht."

Erschrocken drehte ich mich zu der Stimme um. Die letzte Person, die ich hier erwartet hätte, war Alix. Ich hatte gedacht, er wäre längst abgereist, aber dort stand er, zwischen den Bäumen, eine Fackel in der rechten Hand. Mein Lächeln verschwand in dem Moment, in dem ich seinen linken Arm, seinen Schwertarm sah. Oder besser gesagt, nicht sah. Er war weg. De Nostredame hatte wohl vergessen, mir zu sagen, dass Alix seinen Arm verloren hatte.

Ich konnte spüren, wie sich die Steine zurück in die Mauer setzten und meine Gefühle wegsperrten. Dies war einer der Momente, in denen ich mich nicht von meinen Gefühlen beherrschen lassen durfte. Schnell drehte ich mich wieder den Tänzern zu, doch das Lächeln war verschwunden und ich wusste, dass es nicht zurückkommen würde. Nicht bis zum Ende des Krieges.

„Ich habe Euren Vater gebeten, hierbleiben zu können und Euch so weit zu unterstützen, wie ich nur kann. Ich kann Euch nicht mehr auf dem Schlachtfeld beschützen, doch ich kann Euch Gesellschaft leisten, mit Euch reden, auch wenn Ihr nicht antwortet. Und ich werde dafür sorgen, dass Adrien seine Arbeit richtig macht. Ich lasse Euch nicht mehr alleine."

Langsam schaute ich wieder zu Alix. Die Fackel hinterließ einen goldenen Schimmer auf seinem Gesicht, das einige Narben mehr zierten, als ich gedacht hätte. Er würde mich nicht mehr alleine lassen. Ich wollte, dass er blieb. Doch ich wollte auch, dass er ging. Wenn ich so darüber nachdacht, wusste ich nicht, was ich wirklich wollte. Ich wollte nicht alleine sein, aber ich wollte Alix auch nicht seiner Familie vorenthalten.

Die Musik änderte sich. Plötzlich spielten alle das gleiche Lied, als hätten sie vorher schon gewusst, dass ich in diesem Moment hier mit Alix stehen würde. Ich kannte das Lied. Es wurde immer gespielt, wenn ich die Tanzfläche betrat, es gehörte zu meinem Lieblingstanz. Ich mochte ihn so, weil man keinen Partner brauchte, weil die Schritte einfach waren, weil der Tanz einfach nur glücklich machte. Das war der Moment, in dem ich die Tanzfläche betrat. Ich wusste nicht, wie ich hergekommen war, doch ich war hier. Ich wusste auch nicht, weshalb ich hier war, wie ich auf die Idee gekommen war, einfach los zu tanzen. Doch hier war ich, mitten auf der Lichtung, und tat etwas, das ich schon sehr lange nicht mehr getan hatte. Einfach nur glücklich sein, an nichts denken, fühlen, lachen, tanzen. Ich sah die Männer meines Vaters, die mich erstaunt anstarrten, und nicht wussten, ob sie recht sehen würden. Ich sah Éden, die mich lächelnd bemerkte, ich sah meinen Vater, der für einen kleinen Moment wieder der Mann sein konnte, der er vor diesem Krieg war, und ich sah Alix, der an der Seite stand und lachte, während ich mich immer schneller im Kreis drehte.

Ich war glücklich.

Und als das Lied endete, stand ich in der Mitte der Lichtung, und begann zu weinen. Die Menschen um mich herum hörten auf zu tanzen, die Musik verstummte. Das einzige Geräusch, das ich hören konnte, war mein Weinen. Ich schaute zum Himmel und weinte. Meine Mauer war eingestürzt und ich würde sie nicht wieder aufbauen können. Nie wieder.

Doch das machte mir nichts aus, denn in dem Moment, in dem meine Tränen meine Augen verließen, verschwand etwas von der Last, die erst dafür gesorgt hatte, dass die Mauer entstanden war. Ich weinte um meine Mutter, die an meinem Hochzeitstag gestorben war, um meinen Vater, der die Freude in seinem Leben verloren hatte, um Alix, der alles für mich tun würde, und deswegen seinen Arm verloren hatte, immer noch hier war und seine Familie für eine lange Zeit nicht sehen würde. Ich weinte um alle Männer und Frauen, die in diesem Krieg ihr Leben gelassen haben, um Teufel und um Wunder. Ich weinte sogar um Bastien Dauphin de Diablotin, den Thronprinzen der Teufel, der mich von Anfang an betrogen und hintergangen hatte, behauptet hatte, mich zu lieben um mich dann zu verraten, an unserem Hochzeitstag, an dem so viele Menschen gestorben waren, nur wegen meiner Dummheit und einem Stück Land. Einem Stück Land, das wir nun versuchten, in diesem sinnlosen Krieg zu verteidigen. Jedenfalls war das der Plan gewesen. Und jetzt liefen wir selbst einem Stück Land nach, das es überhaupt nicht wert war.

Bald stand ich alleine auf der Lichtung. Der Ball hatte in dem Moment geendet, an dem ich zu Weinen begonnen hatte.

Ich wusste ganz genau, dass Alix irgendwo zwischen den Bäumen stand, um auf mich aufzupassen. Ich würde ihn wohl nie loswerden. Doch das wollte ich auch gar nicht. Im Moment war ich glücklich so, wie es war. Endlich war ich wieder glücklich.

„Danke."

Der Schwur des RittersWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu