Kapitel 1 : Die Schlacht der Teufel und der Sieg der Wunder

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Es war kalt. Trotz der heißen Sonne, die unbarmherzig auf das Feld herab schien, war es kalt. Die Kälte kroch über das einsame Feld und hinterließ nichts als den Tod. Wir hatten gewonnen. Das sagten mir die Jubelschreie, die aus unserem Lager kamen. Doch ich hatte nicht das Gefühl, gewonnen zu haben. Das einzige Gefühl, das ich hatte, war Kälte. Eine Kälte, die einem eigentlich Angst machen sollte, doch ich hieß sie herzlich Willkommen. Es war das erste, was ich seit langem fühlte. Es war auch das einzige, was ich empfinden durfte. Trauer, Freude, Wut, Angst, all diese Gefühle konnte ich mir im Moment nicht erlauben. Wenn ich das tat, würde ich verlieren. Ich würde alles verlieren. Also war ich mit der Kälte zufrieden und schaute weiter emotionslos über das Feld.

Ich hörte Schritte, die von hinten auf mich zukamen, und das Klirren einer Rüstung, doch ich drehte mich nicht um. Ich wusste, wer es war. Und auch, wenn ich es nicht gewusst hätte, wäre ich genauso stehen geblieben. Es hätte mich ganz einfach nicht interessiert.

Die Schritte verstummten, das Klirren verschwand im Wind. Alix war hinter mir stehen geblieben. Er sagte nichts, dafür war ich ihm dankbar. Er stand einfach nur da und schaute, genau wie ich, über das Feld. Alix war einer der wenigen, die ich in meiner Nähe duldete. Aber auch nur, weil ich ihn einfach nicht loswurde. Eigentlich gehörte er zu den Leibwächtern meines Vaters, doch dieser hatte ihn zu mir geschickt. Seit der Krieg gegen die Teufel begonnen hatte, war er mir nicht von der Seite gewichen. Mit der Zeit hatte ich seine Präsenz stillschweigend akzeptiert, mit ihm geredet hatte ich jedoch nie. Das Reden übernahm er normalerweise. Doch er wusste auch, wann ich Ruhe brauchte. Dann herrschte zwischen und Stille. Eine gefühlte Ewigkeit standen wir ruhig da.

„Ihr solltet zum Lager gehen, Eure Hoheit. Ihr seid verwundet", durchbrach Alix' dunkle Stimme die Stille. Ich war ihm nicht böse deswegen, ich wusste, dass er sich nur Sorgen machte. Allerdings war ich nicht wirklich verwundet. Nur ein kleiner Schnitt an meinem linken Unterarm. Es schmerzte etwas, doch ich wollte die Heiler nicht damit behelligen. Sie hatten im Moment Besseres und Wichtigeres zu tun, als eine harmlose Schnittwunde zu behandeln, die ich auch selbst reinigen und verbinden konnte. Trotzdem drehte ich mich zu Alix um. Er sah weitaus schlimmer aus als ich. Die Sonne und das Blut ließen sein blondes Haar rot erscheinen, seine sonst fröhlichen, wachen Augen schauten besorgt und erschöpft zu mir, sein ganzes Gesicht war von kleinen Narben und Schnitten übersät. Ich wusste noch, dass er mitten im Kampf seinen Helm verloren hatte. Seine Rüstung war schlamm- und blutverkrustet und hatte ihren Glanz durch die vielen Dellen verloren. Er hatte sein Schwert noch nicht gereinigt, es glühte rot im Sonnenlicht. Ich sagte nichts, doch ich wusste, dass er die Heiler dringender nötig hatte als ich. Er war schließlich der Grund, weshalb ich nur mit einem kleinen Schnitt aus der bisher schrecklichsten Schlacht dieses Krieges davongekommen war. Doch ich sagte nichts. Ich schaute ihn bloß an.

Trotz seiner Erschöpfung und seinen Verletzungen stand Alix immer noch aufrecht da. Er hatte sich nicht sehr verändert. Sogar sein Lächeln hatte er nicht verloren, auch wenn er es mir gerade jetzt nicht zeigte. Ich hatte gesehen, wie die Menschen sich seit dem Beginn des Krieges verändert hatten. Mein Vater war entweder traurig oder ernst, Michel de Nostredame verbrachte nur noch Zeit bei den anderen Heilern und sprach nur noch mit Vater, wenn es unbedingt nötig war. Männer waren verrückt geworden, gefühllos, brutal, lebensmüde. Freunde und Verwandte waren gestorben. Viele redeten nicht mehr. Ich hatte es ebenfalls aufgegeben. Doch Alix war immer noch derselbe Mensch, den ich kannte, seit er zum Ritter geschlagen worden war.

„Heute Abend werden wir noch hier bleiben, dann brechen wir nach Hadès auf. Die Stadt ist fast gänzlich verlassen, die meisten Bewohner sind ins Innere von Infernal in die Hauptstadt geflohen. Wenn wir Diable je erreichen sollten, wird es wohl überfüllt von ängstlichen Frauen und Kindern sein."

Ich konnte die Sorge in Alix' Stimme hören. Sorge, sowohl um unsere Armee, als auch um die Frauen und Kinder der Teufel, die uns allen so verhasst waren. Vor einiger Zeit hätte ich Alix noch verstanden. In diesen Krieg waren viele Menschen hineingezogen worden, die nur in Frieden leben wollten. Menschen, die mit dem eigentlichen Streit nicht das geringste zu tun hatten. Ich wusste schon lange nicht mehr, welche Seite in diesem Krieg die Gute war. Ich wusste nicht einmal, ob es überhaupt eine gute Seite gab, oder ob wir uns alle zwischen gut und böse versteckten. Doch ich wusste, dass Alix ein guter Mensch war. Bei anderen konnte ich es nicht sagen, nicht einmal bei mir, doch Alix war ein durch und durch guter Mensch.

„Eure Hoheit? Wir sollten gehen, die Nacht bricht an. Um diese Zeit solltet Ihr nicht mehr hier draußen sein. Lasst uns zum Lager zurückgehen und etwas essen. Morgen wird ein anstrengender Tag, Ihr müsst Euch ausruhen."

Ein anstrengender Tag. Beinahe hätte ich gelacht. Jeder Tag war ein anstrengender Tag. Und ein Tag, an dem wir nur marschieren würden und nicht kämpfen mussten, war eigentlich sogar ein sehr willkommener Tag. Doch mit dem Ausruhen hatte Alix recht. Obwohl wir beinahe keine Männer verloren hatten, war diese Schlacht die ermüdendste von allen gewesen. Sie hatte beinahe zwei Tage gedauert, starb ein Teufel, tauchten zwei aus dem Nichts auf. Erst nach einem Tag hatten die Wunder die Oberhand gewonnen.

Wunder, Teufel. Warum waren wir die Wunder? Wir waren genauso zerstörerisch wie die Teufel. Wir hatten es in meinen Augen nicht verdient, Wunder genannt zu werden. Das hatte niemand.

„Kommt Ihr?"

Ich merkte, dass Alix ständig müder wurde. Auch wenn er sich nichts anmerken ließ, würde er, wenn er sich nicht bald hinsetzen konnte, einfach umfallen. Ihm zuliebe schaute ich ein letztes Mal auf das Feld hinaus und ging dann zu den Zelten. Die sinkende Sonne tauchte die Körper der gefallenen Teufel in goldenes Licht.

Der Schwur des RittersOù les histoires vivent. Découvrez maintenant