Kapitel 6 : Die Stille und der Schwur

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Bei meiner Ehre als Ritter..."

Alles war still. Alles war dunkel. Das einzige, was ich fühlen konnte, waren die Schmerzen. Diese fürchterlichen Schmerzen. Sie waren überall und nirgends. Es war nicht nur mein Bein, es war mein ganzer Körper, mein Kopf, mein Herz. Und es hörte nicht auf.

...und bei meinem Namen..."

Ich konnte nicht atmen, nicht schreien, nicht weinen, ich konnte nur still ertragen. Dass ich litt, interessierte keinen. Niemand war da, den es interessieren könnte. Ich war alleine und würde es auch immer sein. Das konnte niemand ändern, nicht jetzt.

...werde ich Euch beschützen..."

Dunkelheit, Stille und Schmerz. Mehr gab es für mich nicht mehr. Es war vorbei. Der Krieg, das Glück, die Freude, die Trauer, der Hass, die Liebe, das Weinen, das Lachen, das Tanzen, das Singen, das Reden, das Schreien, die Angst. Nur der Schmerz blieb.

...werde ich Euch dienen..."

Alles war vorbei. Alles war mir egal, nichts war mehr wichtig, ich wusste nicht einmal mehr, was ich hier überhaupt tat. Ich wusste nicht einmal, was hier bedeutete. Wo war ich? In der Stille, in der Dunkelheit. Orte des Schreckens, Orte der Angst, Orte der Stille.

...Euch nie alleine lassen..."

Ich war alleine. Alleine in der Stille, in der Dunkelheit, mit meinen Schmerzen. Sie würden mich nicht mehr verlassen. Wenigstens einer, der blieb. Der Schmerz. Er war loyal, er würde nicht vergehen. Genauso wie die Stille. Sonst gab es niemanden mehr.

...Euch unterstützen..."

Meine Erinnerungen kamen und verschwanden. Ich konnte keine von ihnen festhalten, ich bekam keine zu fassen, sie schwirrten an mir vorbei, als würden sie nicht mir gehören. Als würden sie mir von jemandem weggenommen werden. Als wären sie einmal meine gewesen.

...Euren Freunden helfen..."

Und doch gab es da eine Erinnerung. Ich konnte mich nicht an jenen Moment erinnern, doch er war da. Eine Stimme. Eine bekannte Stimme. Eine Stimme, die mir das Gefühl von Sicherheit gab, in Zeiten, in denen überall Gefahr lauerte und man zu jedem Zeitpunkt sterben könnte.

...und Eure Feinde vernichten..."

Ich hörte die Stimme auch jetzt. Trotz der Stille, trotz dem Schmerz, obwohl ich eigentlich nichts hören konnte, war sie da, die Stimme, und beschützte mich vor allem und jedem, vor der Dunkelheit, der Stille und dem Schmerz. Doch die Stimme verlor. Sie verschwand.

...Mein Schwert soll das Eure sein..."

Weitere Erinnerungen zogen an mir vorbei. Eine andere Stimme tauchte auf und die Schmerzen fingen an, zu verschwinden. Die Stimme war sanfter, sie gehörte keinem Kämpfer, aber auch keinem Feigling. Es war eine mutige Stimme, eine Stimme, die mich mutig machte.

...mein Blut soll statt dem Euren fließen..."

Der Mut vertrieb den Schmerz und die Stille fast vollständig, doch als ich dachte, gewonnen zu haben, verließ mich auch diese Stimme wieder. Ich wurde von allen verlassen. Niemand wollte bei mir bleiben. Warum? Was hatte ich getan? War ich ein solch schrecklicher Mensch?

...mein Leben statt dem Euren vergehen..."

Ich muss wirklich ein schrecklicher Mensch gewesen sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, sonst wäre ich wohl kaum hier gelandet, in der Stille, in der Dunkelheit. Wenn ich anders gewesen wäre, müsste ich vielleicht diese Schmerzen nicht ertragen.

...Ich werde Euer Schild sein..."

Diese Schmerzen wünschte ich niemandem. Nicht den Wundern und nicht den Teufeln, nicht einmal Bastien, obwohl er es sicher verdient hätte. Doch ich hatte nie darüber nachgedacht, was ich tun würde, wenn wir den Krieg gewinnen würden. Jetzt war es egal.

„...Eure Waffe..."

Würde ich Königin werden, irgendwann, wenn mein Vater starb? Würde ich wieder Lieben lernen? Würde ich wieder Lieben können? Würde ich mein Land und mein Volk so lieben, wie mein Vater es tat? Würde ich das überhaupt können? Viel zu viele Fragen.

...Ich werde Euch und denen, die nach Euch kommen sollen..."

An Rache hatte ich seltsamerweise nie gedacht. Mir war es egal, was mit Bastien geschah, solange ich ihn nicht in meiner Nähe haben musste. Allein wenn ich an ihn dachte, musste ich an meine Mutter denken. Meine Mutter, deren Stimme mir immer Mut gemacht hatte. Als sie noch lebte.

...meine ewige Treue versprechen..."

Bastien hatte sie umgebracht. Ich hatte sie umgebracht. Mein Vater hatte sie umgebracht. Bastiens Eltern hatten sie umgebracht. Ihre Untertanen hatten sie umgebracht. Ein schwarz gekleideter Soldat mit einem blutigen Messer hatte sie umgebracht.

...Das gelobe und schwöre ich..."

Wir alle hatten sie umgebracht. Wir alle hatten Fehler gemacht. Ja, ich verdiente diese Schmerzen. Wir alle verdienten sie. Doch trotzdem sollte niemand sie verspüren, niemand. Damals hatte meine Mutter keine Schmerzen spüren müssen, sie war beinahe sofort tot gewesen.

...Alix Cavalier..."

Warum war ich an jenem Tag eigentlich nicht gestorben? Ich konnte mich nicht erinnern, nicht an alles. Nur an den Ritter. Ich wusste nicht, wer es gewesen war, doch er hatte etwas gesagt, ich wusste nicht, was. Er hatte mich beschützt. Er hatte mich nicht alleine gelassen.

...bis zum Ende Eures und meines Lebens..."

Seine Stimme war diejenige, die mich beschützte. Ich kannte sie. Ich kannte sie gut. Doch ich wusste nicht mehr, woher. Und der Schmerz erschwerte mir das Denken, das Erinnern alles. Bald dachte ich nur noch an den Schmerz. Er wurde nicht besser. Er wurde immer schlimmer.

...Niemals werde ich Euch betrügen..."

Ich bemerkte nicht einmal mehr die Stille, nicht die Dunkelheit, nicht die Erinnerungen, nichts. Da war nur noch Schmerz. Und trotzdem fühlte ich mich besser. Denn er verschwand aus meinem Kopf, aus meinem Herz, er war nur noch in meinem Bein.

...und Euch niemals verlassen..."

Einen kleinen Moment lang spürte ich, dass ich nicht alleine war. Dass da jemand war. Jemand, der mich in seinem Arm hielt, jemand, der mich beschützte. Die Stimme, der Ritter. Mein Ritter, mein Beschützer. Er hatte mich gerettet. So oft. Alix.

...Niemals."

Ich hörte nur noch den Schwur. Ich hörte die Stille und den Schwur. Seinen Schwur, einen Schwur, den ich vergessen hatte. Wie hatte ich ihn nur vergessen können? Wie hatte ich Alix' Stimme vergessen können? Er hatte seinen Schwur gehalten. Er hätte es nicht besser machen können.

Der Schmerz verschwand und alles wurde wieder still.

Der Schwur des RittersWhere stories live. Discover now