Das Wiedersehen

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Ich drehe mich im Kreis, denke ich mir, als ich die große, weiß gestrichene Tür öffne, die von Damians Schlafzimmer aus in die Küche führt. Irgendwie scheinen sich die zuletzt erfahrenen Eindrücke von gestern und heute Morgen in meinem Kopf zu einem riesigen Haufen Müll zusammenzurotten – Zuletzt besteht dieser größtenteils aus der Erkenntnis, dass ich tatsächlich in Damians Bett aufgewacht bin. Mehr habe ich nämlich tatsächlich noch nicht erlebt, was mich irgendwie irritiert. Gestern bin ich in Bochum angekommen, aus dem Bus ausgestiegen und habe versucht, mich zu orientieren – Diejenigen, die meinen Orientierungssinn schon einmal in Aktion erlebt haben, lachen jetzt. Natürlich hatte ich weder den Aus- noch den Eingang der riesigen Halle, in der die Busse und Züge an- und abfuhren, ausfindig machen können und musste mich leider gedulden, bis Damian kommen würde, um mich einzusammeln. Und Damian würde kommen.

Ich erkannte ihn sofort, als er die Rolltreppe hochgefahren kam. Ich war gerade damit beschäftigt, eine Packung Nüsse aus einem dieser super hässlichen Automaten zu beordern, als ich mich in seine Richtung umdrehte und mein Herz sich kurzfristig auszuschalten schien. Seit unserem letzten und ersten Treffen vor 2 Jahren hatte er sich kein Stück verändert – Im Gegenteil schien er darauf zu bestehen, sich nicht zu verändern, doch das machte die Sache für mich einfacher. Eine genauere Betrachtung seines Gesichtes zeigte mir, dass der erste Eindruck fehlleitete: Plötzlich überkam mich das Gefühl, einem Fremden gegenüberzustehen. Ich ging ihm nicht entgegen, sondern wartete ab, was er tun würde. Nach einigen Augenblicken schien er das Spiel zu durchschauen, trat von der letzten Stufe der Rolltreppe herunter und blieb stehen. Jetzt trennten uns nur noch einige Meter und ich wusste schon jetzt, dass Damian im Moment für solche Dummheiten keine Geduld hatte. Also griff ich hinter mich und hob meine Tasche auf, um die Packung Nüsse, die sich irgendwie fehl am Platz anfühlten, schnell noch auf und zwischen meine Klamotten zu quetschen. Als ich wieder aufsah, stand Damian vor mir. Ich erstarrte, meine Augen versuchten, in seinen zu lesen, doch da war nichts außer die übliche Gleichgültigkeit, die sich aus der Berg- und Talfahrt seines Gesichtsausdrucks ergab. Ich gab es auf und setzte eine eher freudige Miene auf. „Hey.", sagte ich deutlich und laut, um ja nicht den Eindruck von Zurückhaltung oder gar Angst zu erwecken. Dazu reckte ich mein Kinn vor, doch das tat ich meistens, wenn ich mit jemandem sprach, also gab es keinen Grund, es zu unterbinden. Damian wusste sowieso Bescheid. „Hi." Seine Stimme klang ruhig und typisch für ihn, er sprach nasal und zudem mit sehr hoher Stimme. Auch hier also keine allzu große Veränderung. „Sorry, ich habe irgendwie die Treppe nicht gesehen.", versuchte ich ein Gespräch zu beginnen und plötzlich blitzte in seinen Augen ein Anflug von Freude auf, der mich fast sprachlos werden ließ. „Ist nicht schlimm, du hast es bis hierher geschafft.", antwortete er gütig und zog eine Augenbraue hoch. Ich tat es ihm nach. Was für eine mehrdeutige Aussage, ich hatte es bis hierher geschafft. Was hatte er erwartet, dass ich den Bus, dessen Benutzung ich heimlich gebucht und bezahlt hatte, um ja nicht von meiner Oma dabei erwischt zu werden, einfach an der nächstbesten Haltestelle verlassen würde? Kurz überlegte ich, ob ich gekränkt sein sollte, aber andererseits konnte ich ihm nicht böse sein. Schließlich war unsere letzte Begegnung zu lange her und er bewegte sich auf analytischer Ebene auf sehr dünnem Eis, was meine Gewohnheiten betraf. Ich lachte innerlich kurz über diesen Gedanken, der schon eine gewisse Arroganz beinhaltete. Denn wer wusste schon, was so ein Damian dachte?
Ehe ich mich versah, fand ich mich schon in einer Regio neben ihm wieder in voller Fahrt Richtung X. Wir schwiegen die Fahrzeit über und ich vertrieb mir die Zeit mit dem Ausdenken eines neuen Handy-Codes – Man konnte ja nie wissen. Als ich schließlich ihren Namen in das PIN-Feld eingab, musste ich insgeheim über meine eigene Dummheit lachen – Ein einfacheres Passwort hätte mir nicht einfallen können.
Als wir schließlich vor Damians Wohnung standen, hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen, und zwar sofort. Nicht nur, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand; bei dem Versuch, jemals diese Bahnhaltestelle wiederzufinden, würde ich wahrscheinlich einmal durch ganz Herne wandern, mit meiner grandiosen Orientierungsgabe. Doch ich musste es noch bis zur Toilette schaffen, dann würde Damian nicht bemerken, wie groß meine Angst war, die ich empfand – auch wenn das Adrenalin mit aller Kraft versuchte, mich auf seiner Woge mitzuziehen, wofür ich sehr dankbar war. Einige Minuten später stand ich in seinem Wohnzimmer, das eigentlich genau so eingerichtet war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es beherbergte einen Fernseher, ein weißes Sofa aus Leder und einen kleinen Tisch, auf dem irgendwelche Zettel lagen. Die Tapete war unauffällig, die Lampe dazu recht hell und alles in einem machte der Raum einen echt gemütlichen Eindruck. Ich seufzte resigniert; die Zimmer von von den bekannteren verrückten Wissenschaftlern hatten meistens ihr eigenes Flair, während dieses hier auch von einem ganz gewöhnlichen Menschen stammen könnte. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich die Wand hinter mir und erwartete fast, dass sich eine geheime Falltür zu dem echten Wohnzimmer öffnen würde. Ich war enttäuscht, als dem nicht so war und Damian mich schließlich durch die Küche ins Schlafzimmer führte. Dort wies er auf das Bett und sagte mit einer Gleichgültigkeit, die mich erschütterte: „Hier schlafen wir dann." Kurz war ich versucht, ihn zu erwürgen, doch ich beließ es bei einem „Okay." und begann mechanisch damit, meine Sachen auszupacken.

Sicherlich hatte er die Anspielung gar nicht so gemeint. Bestimmt hatte ich einfach mit dem falschen Ohr zugehört. Aus meiner Tasche zog ich, nachdem ich mir sicher war, dass Damian anderweitig beschäftigt war, (Er war in der Küche verschwunden) einen Pullover und eine Jogginghose und zog mich schnell um, immer wieder flog mein Blick in Richtung Schlafzimmertür, um rechtzeitig eine sehr kuriose Situation vermeiden zu können. Aber Damian kam nicht, ich verdrehte kurz die Augen und schnalzte mit der Zunge. Vermutlich wusste er sogar hiervon.

B;t}C

Ein kleiner Imbiss für ZwischendurchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt