Zurück und springen

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»Zieht euch zurück!«, ertönte Schattensterns Stimme lauter als der Schlachtlärm. »Zurück! Geht auf offenes Land! Springt über die Feinde drüber!«

Terra sah ihrer Anführerin hinterher. Die Schwarze Blüte sprang mit Anlauf über eine hellgraue Kätzin hinweg und attackierte sie von hinten. Dann ließ sie ihren Blick über das Schlachtfeld gleiten. Mehrere tote Clanlose lagen am Boden. Sie erkannte Minze und Strupp und etwas weiter rang eine silbern getigerte Kätzin namens Belle mit dem Tod, bis ihre Augen glasig wurden.

Terra sah auf den sandfarbenen Kater, der immer noch vor ihren Pfoten lag. Sie wusste nicht, wie er hieß, doch eins wusste sie. Er und seine Clan- Gefährten waren es, die Fremdschatten entführt hatten. Ihren einzigen Freund. Ihren Geschichtenerzähler.

»Zieht euch zurück!«, erklang wieder Schattensterns Ruf und die Kätzin löste sich aus ihrer Starre. Langsam entfernte sie sich von dem Kater und sprintete los. Vorbei an einem hellgrauen Kater mit gelben Augen, der ihr irgendwie bekannt vorkam. Doch sie ließ sich nicht ablenken.

Immer schneller rannte sie auf die lebende Wand aus feindlichen Katzen zu. Ein hellbrauner Kater knurrte sie mit funkelnden Augen und wütend gesträubtem Fell an, aber sie wich geschickt seinem Hieb aus.

Terra setzte zum Sprung an und spannte ihre Muskeln. Plötzlich schoss ein unerträglicher Schmerz durch eines ihrer Hinterbeine. Sie schrie auf und wälzte sich zur Seite, um ihren Bauch nicht als Angriffsfläche anzubieten. Grauer Pelz schob sich in ihr Gesichtsfeld. Dann eine Kralle. Gerade noch rechtzeitig könnte sie ihren Kopf wegziehen, um dem Angriff auszuweichen.

Hastig rappelte sie sich auf und sah sich dem grauen Kater gegenüber, der ihr so bekannt vorgekommen war. Sie hatte ihn gesehen. Richtig, er war mit dem WindClan und Schattenstern gekommen. Aber warum kämpft er jetzt für die alten Clans?

Ihr Gedanke wurde von einer weiteren Schmerzenswelle unterbrochen. Der Kater hatte sie am Ohr getroffen. Ein hohes Piepen setzte ein und hörte nicht mehr auf. Unwillig schüttelte sie den Kopf und Blut tropfte auf den vom Kampf aufgewühlten Boden. Jetzt fiel ihr auch der Name des Katers ein. Aschenhaar, der Bruder von Schattenstern.
Verräter! Und Mörder!

Wütend holte sie zum Schlag aus, die Krallen ausgefahren. Doch plötzlich wurde Terra weggestoßen und ihr Hieb ging ins Leere.

»Lauf! Ich kümmere mich um Aschenhaar!«, flüsterte ihr jemand ins Ohr. Hechtkralle! Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr viel Kraft hatte. Ihre Pfoten waren kurz davor, unter ihrem Gewicht nachzugeben.

Nein! Ich muss durchhalten! Entschlossen zwängte die sich zwischen zwei Kämpfenden hindurch, wurde jedoch erneut angerempelt und fiel. Einen kurzen Moment lang lag sie Auge in Auge mit einem toten Clanlosen. Einem golden getigerten Kater. Ihr stockte der Atem, doch sie beruhigte sich wieder, als sie seine gelben Augen sah. Nein, er hatte keine gelben Augen. Nicht er. Zum Glück...

Terra zwang sich dazu, wieder aufzustehen und weiter zu rennen. Mehr oder weniger geschickt wich sie den kämpfenden Katzen aus, bis sie eine Lücke sah. Ihre Pfoten trommelten über die Erde, als sie ihr Tempo beschleunigte, um hindurch zu kommen, bevor ihre Feinde ihre Kampflinie wieder schlossen. Ihr Hinterbein knickte bei jedem Sprung fast um.

Im letzten Moment schaffte sie es. Hinter ihr rollten zwei Kater ineinander festgekrallt über den Boden. Fauchend. Kratzend. Keuchend drehte die hellgrau-schwarze Kätzin sich nach ihren neuen Clan- Gefährten um. Mittlerweile waren fast alle über ihre Feinde gesprungen. Bis auf... Hechtkralle und zwei weiteren Katzen. Gerade wollte sie in dem Kampfgetümmel nach dem blaugrauen Kater suchen, als er auch schon neben ihr aufkam.
Eines seiner Ohren war zerfetzt und seine Nase blutete, doch er schien glücklich darüber, sie zu sehen. »Ich dachte, so hübsche Kätzinnen kämpfen nicht«, flüsterte er ihr zu.

Terra öffnete ihr Maul, um zu antworten, doch Hechtkralle ging einfach an ihr vorbei zu Schattenstern. Diese sah ihn fragend an und die beiden redeten kurz miteinander, woraufhin die schwarze Kätzin einen Blick auf das Schlachtfeld warf.

»Wir müssen los! Die Clanlosen werden sie nicht mehr lange aufhalten können«, rief die Anführerin schließlich und wandte sich zum Gehen. Sie hatte ihren Kopf gesenkt und schien sehr niedergeschlagen. Der Rest des Clans folgte ihr schleppend. Jeder von ihnen hatte mindestens eine Verletzung davongetragen.

»Aber Schattenstern? Was ist mit Todesfeder? Und Eulenpfote? Und Aschenhaar?«, fragte auf einmal eine gelbbraune Kätzin.

Schattenstern hielt kurz inne. »Wir werden eine Gelegenheit für unsere Rache bekommen, Vogelschweif«, miaute sie mit fester Stimme. »Unsere größte Sorge ist, dass die anderen Clans uns schon bald verfolgen werden.«

»Aber wo gehen wir hin?«, fragte eine hellbraune Kätzin besorgt und lehnte sich ängstlich an einen gelbbraunen Kater mit spitzen Ohren, der, soweit Terra sich erinnern konnte, Luchsohr hieß.

»Genau!", fügte eine dunkelgraue, etwas ältere Kätzin hinzu. »Hier ist überall nur Flachland. Zurück in den Wald können wir nicht. Und bleibt nur der Weg geradeaus über die Wiesen! Und da werden sie uns garantiert einholen!«

»Nicht, wenn wir dort langgehen, wo ich denke...«, mischte sich auf einmal Weißklee in das Gespräch ein. Die Schwester von Terras Mutter sah Schattenstern fragend an.

»Ja«, sagte die Anführerin und deutete mit ihrer Schwanzspitze am Waldrand entlang. Ein Raunen ging durch die Katzenmenge.

»Durch den Ort der Zweibeiner?«, fragte die hellbraune Kätzin fassungslos. »Das werden wir nie schaffen!«

Auch Terra war mulmig zumute. Immer wieder musste sie an ihn denken. Seinen blutenden Körper auf dem Donnerweg. Das Monster. Ihr Fell sträubte sich, doch auf einmal wurde sie von hinten angeschubst. Es war der schwarze Wolf, der sie in der Nacht vor dem Aufbruch bewacht hatte.

Seine vernarbte Schnauze stieß sie erneut an. Erst jetzt bemerkte sie, dass der WindClan sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Und was passiert jetzt mit Todesfeder? Und mit Eulenpfote? Warum hat Aschenhaar plötzlich auf der anderen Seite gekämpft.

»Kennst du dich aus in diesem Zweibeinerort?« Ohne dass die hellgrau-schwarze Kätzin es gemerkt hatte, hatte Hechtkralle sich zurückfallen lassen und lief nun neben ihr.

»Ja«, murmelte sie unwillig. Bitte geh weg. Bitte lass mich in Ruhe. Ich weiß, du magst mich. Du magst mich sehr. Aber wenn es noch einmal passiert, könnte ich es nicht ertragen. Ich muss meine Gefühle verschließen. Ich darf keine Gefühle zeigen. Ich muss sie wieder hinter die dichte Dornenhecke in meinen Gedanken sperren. So wie damals, als ich seinen Körper auf dem Donnerweg erblickt habe.

Hechtkralle sah sie fragend an, doch Terra wollte nichts erklären. Sie beschleunigte ihren Schritt, bis sie gleichauf mit Seelenpfote ging. Die weiße Kätzin nickte ihr freundlich zu. In dem Fell an der Innenseite einer ihrer Vorderpfoten schien sie für einen kurzen Moment etwas zu entdecken. Etwas, dass ihr bekannt vorkam. Doch dann war es wieder verschwunden.

Warrior Cats - Dunkle SterneWhere stories live. Discover now