Gesetze und Verbote

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Aschenhaar sah von Waldrand aus zu. Spitzfell und Luchsohr, der Sieger des ErdClans, führten Traumschweif und Seelenpfote auf Holzglut und Krallenmond zu. Der graue Kater sog tief die Luft ein und bleckte die Zähne. Starker Zahn hinter ihm knurrte laut.

»Die Gerüche der alten Clans haben sich schon so sehr verflüchtigt, dass die WindClan- Katzen alle gleich riechen«, fauchte Aschenhaar verärgert. Er wandte sich an seinen Wolf. »Feuerstern wird einen neuen zweiten Anführer ernannt haben. Wahrscheinlich ist es Holzglut. Krallenmond wird eine zu große Bedrohung für ihn gewesen sein.«

Der Wolf sah ihn aus schwarzen, hasserfüllten Augen an. Seltsamerweise hatte er das Gefühl, ihn schon immer gekannt zu haben. Dabei hatte er Starker Zahn noch nie getroffen. Trotzdem schien er alles zu verstehen, was er sagte, auch wenn er eher schweigsam war. Aschenhaar hatte ihm von seiner Lebensgeschichte und den Clans erzählt. Von Schattensterns Verrat und dass sie schuld an Leuchtflügels Tod war. Von seinen Träumen, in denen er wahre Stärke erlangt hatte. Von Krallenstern, den er von irgendwoher kannte, jedoch nicht darauf kam, von wo.

»Wir müssen Schattenstern in den Zweibeinerort folgen. Ich muss nur noch wissen, wie die Markierung aussieht, mit der man gefahrlos hindurchkommt. Und dort werde ich sie überwältigen und töten«, erklärte Aschenhaar.

»Tod«, knurrte der Wolf und leckte sich über seinen hervorstehenden Fangzahn, der ihm wohl auch seinen Namen gegeben hatte.

»Ja, ihr Tod ist nah.« Der graue Kater ließ seine Krallen ein- und ausfahren und blickte dann wieder zu den sechs Katzen, die sich am Waldrand eingefunden hatten. Voller Genugtuung bemerkte er, dass die FeuerClan- Katzen die Gefangenen nicht mitgebracht hatten. Er spitzte die Ohren, konnte jedoch nichts hören.

Schließlich kehrte Krallenmond den Versammelten den Rücken zu und Aschenhaar sah verwundert, wie der dunkelbraune Kater doch noch Todesfeder, Eulenpfote und den Geschichtenerzähler aus den Schatten des Waldes zu den WindClan- Katzen führte.

Aschenhaar leckte sich übers Maul. Wie gerne wäre er es gewesen, der Eulenpfote gequält hatte, indem er Todesfeder missbrauchte. Er wusste, seine Schwester würde sagen, dass Leuchtflügel das nicht gutheißen würde. Doch was war Leuchtflügel schon? Nur noch eine verstorbene Katze in seinem Gedächtnis.

Der schwarze Pelz des Schülers war zerfetzt als wären Feuerstern und Holzglut gleichzeitig über ihn hergefallen. Todesfeder hatten sie beide Ohren abgerissen und der Geschichtenerzähler war nur noch ein Haufen Elend.

»Tod«, knurrte Starker Zahn erneut und schob sich etwas an dem grauen Kater vorbei. Seine lange Schnauze hielt er in die Luft und witterte. »Tod.«

»Wir sind der Tod«, miaute Aschenhaar und drängte den Wolf wieder zurück in die Schatten des Waldes. »Aber nicht jetzt. Wir brauchen Geduld.«

Traumschweif und Seelenpfote wechselten die Seite und sogleich warf Holzglut sich auf die weiße Schülerin. Sie riss ihre eisblauen Augen entsetzt auf und schrie. Aschenhaar sah nicht weg. Auch nicht, als der sandfarbene FeuerClan- Kämpfer seine Krallen in ihren Rücken grub und sie auf den Bauch drehte. Ihr Kreischen hallte über die Ebene, während Blut das Gras unter ihr rot färbte.

Ihre Schwester versuchte, Holzglut fortzuzerren, doch Krallenmond stieß sie brutal zu Boden, wo sie regungslos liegen blieb. Eine rote Pfütze bildete sich um ihren Kopf. Der dunkelbraune Kater packte sie am Nackenfell und schleifte sie in den Wald hinein. Eine rote Spur bildete sich im Gras. Schließlich ließ auch Holzglut von Seelenpfote ab und stieß sie grob vor sich her.

»Hellgraue Katze tot?«, fragte Stärker Zahn neugierig.

»Ich weiß es nicht.« Aschenhaar beobachtete, wie Spitzfell und der andere Kater die drei Gefangenen zurück zum WindClan führten. Der Geschichtenerzähler stolperte mehrmals und musste von Luchsohr gestützt werden.

Die fünf Gestalten mischten sich unter die Katzenmenge. Aschenhaar erhaschte einen Blick auf seine Feindin. Ihr schwarzes Fell war unverkennbar und ihre blauen Augen wanderten besorgt über ihre Katzen. Für einen kurzen Moment meinte er, dass ihre Blicke sich trafen, doch er war sich nicht sicher. Fauchend stand er auf und wandte sich an seinen Wolf.

»Wir gehen zum Zweibeinerort.«

»Ohneschnauzen werden jagen ich.« Starker Zahn sagte das ruhig, aber eine gewisse Sorge war dennoch herauszuhören.

»Wir bleiben hinter der Grenze. Vorerst«, miaute Aschenhaar und deutete zu den silbernen Flechten, die wie normale Bäume aus der Erde wuchsen und so hoch waren wie ein Fuchs. »Zweibeiner werden sich nicht um uns kümmern, wenn wir immer noch im Wald bleiben. Das ist genauso wie bei den Clans. Glaube ich.«

Als Antwort knurrte Starker Zahn nur leise.

***

Trotz der strahlenden Sterne war es dunkel in der Höhle. Am Rand des Sees saß einsam ein silberner Kater. Seine grünen Augen beobachteten einen grauen Kater und einen Wolf, die nebeneinander herliefen. Er murmelte leise Worte, die nur er selbst hören konnte. Auf einmal trat eine schildpattfarbene Kätzin hinter einem der unzähligen Felsen hervor. Ihre goldgelben Augen schauten ihn sanft an.

»Worüber bist du in Gedanken versunken, Fluss?«, fragte sie mit einer angenehm ruhigen Stimme. Ihre Schritte waren kaum zu hören und so setzte sie sich leise neben Fluss. Erst jetzt sah der silberne Kater auf.

»Getupfter Pelz, meine Geliebte«, flüsterte er und sah sie voller Zuneigung an. Es lag eine Wärme in seinem Blick, die er normalerweise nie zeigte. »Tüpfelblatt, sieh, was mit unserem Jungen geschieht...«

»Aschenhaar ist nicht unser Junges«, miaute sie besänftigend. »Nur seine Seele...«

»Seelen«, murmelte Fluss nachdenklich. »Nie können wir uns sicher sein, wem welche Seele gehört.«

»Natürlich können wir das.« Getupfter Pelz lehnte sich schnurrend an ihn. »Es ist die Aufgabe des SternenClan die Wiedergeburt unserer Seelen zu sichern.«

Stille legte sich über die Höhle.

»Wolflauf ist schon mit fünf Monden gestorben«, flüsterte Getupfter Pelz schließlich voller Trauer. »Wir kannten ihn nicht genug, um zu wissen, dass er in Aschenhaar wiedergeboren werden kann.«

»Wir wissen nicht einmal, ob seine Seele dem Wald der Finsternis oder dem SternenClan angehört.«

»Es scheint, als wären Aschenhaar und Schattenstern verflucht. Doch auch Ahornschattens Seele hat sich zum Guten bekehrt. Mit Wolflauf wird das sicher auch passieren.«

»Er ist der Gegenspieler zu Schattenstern«, sagte Fluss. »Er hat vor, in diesem Leben seine eigene Schwester zu töten! Es verstößt eindeutig gegen das Gesetz der Krieger!«

»Auch wir haben gegen das Gesetz der Krieger verstoßen.« Getupfter Pelz richtete sich auf und streckte sich. »Ich bin die erste Heilerin des FlussClans. Heilern ist es verboten, Junge zu bekommen.«

»Damals gab es das Gesetz der Krieger noch nicht.«

»Es freut mich, dass du nicht bereust, was du getan hast. Aber jetzt ist es zu spät, um ihn zu erziehen. Wir haben diese Gelegenheit verpasst.« Sie wandte sich zum Gehen, hielt dann jedoch inne. »Ich vermisse unsere gemeinsame Zeit, Fluss. Wenn ich die Königinnen des WindClans sehe, freue ich mich für sie, denn ich weiß, wie es sich anfühlt, Junge zu haben. Und wie sehr es schmerzt, sie zu verlieren.«

»Es tut mir leid«, sagte Fluss ohne sie anzusehen. »Ich habe damals nicht gut genug auf Wolflauf aufgepasst. Es tut mir leid.«

»Ich verzeihe dir«, antwortete Getupfter Pelz.

Fluss schwieg eine Weile, bevor er leise sagte: »Der WindClan wächst.«

»Und der FeuerClan vergeht«, fügte die schildpattfarbene Kätzin hinzu. »Sonnenblume wird keine Junge mehr bekommen. Genauso wenig wie Taupfote und Eispfote.«

»Das Ende der alten Clans ist nah.«

»Und sie werden ganz vergehen, wenn sie in ihre letzte Schlacht ziehen.«

»Wann wird das sein?«

»Um Mitternacht. Beim alten Stein.«

Warrior Cats - Dunkle SterneWhere stories live. Discover now