Quälende Gnade und verborgene Ziele

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Moira hatte ihnen einen Schlafplatz nahe der Schlucht der verlorenen Echos zugewiesen, der aus einigen übereinander gestapelten, platten Böden bestand, die leicht nach Holz rochen. Sie waren auch braun, doch bei dem Regen, der unaufhörlich vom Himmel fiel, weichten sie auf und verwandelten sich in eine pappige Masse.

Während die meisten der Katzen vom Stamm der tanzenden Knochen unter Dächern kleinerer Zweibeinernester oder in seltsamen Kisten Schutz suchten und trocken blieben, wurden Terra, Hechtkralle und Fremdschatten bis auf die Knochen durchnässt. Nachts, wenn auch noch ein unbarmherziger Wind durch die Gassen des Zweibeinerortes wehte, froren die drei WindClan- Katzen erbärmlich.

»SternenClan hilf uns«, flüsterte Terra immer wieder leise und sah hoffnungsvoll zu Fremdschatten. Ihr Schicksal hing davon ab, wann ihr alter Freund endlich aufwachte. Sie war sich sicher, dass Schattenstern ihr Versprechen halten und einfach weiterziehen würde, wenn sie nach drei Tagen des Wartens immer noch nicht zu ihr gestoßen waren. Die Zeit wurde knapp.

Tagsüber stolperten sie und Hechtkralle durch das Lager des Stammes, mit Tod und Moira immer dicht hinter ihnen. Dass diese brutalen Krieger den kalten Regen auf sich nahmen, um Bluts Befehl zu befolgen, zeugte von selbstloser Treue ihrem Anführer gegenüber. Einen einzigen Tag gab es, an dem der Himmel nicht weinte. Die Stammeskatzen krochen aus ihren Verstecken. Die hellgrau-schwarze Kätzin bemerkte jedoch, dass es zwei muskulöse Kater gab, die sich nicht von der Stelle rührten. Sie schienen eine völlig unscheinbare Ecke des Lagers zu bewachen.

»Du fragst dich, was es da so besonderes gibt.« Moiras Stimme ließ Terra zusammenzucken. Ihre Worte waren eine Feststellung, keine Frage. Die vernarbte Kätzin stieß sie mit der Schulter in Richtung der beiden Wächter. »Spinne, Ratte, ein Besucher für den Gefangenen.«

Der eher langgliedrige Kater mit einer schwarzen Maske über den dunkelblauen Augen starrte Terra misstrauisch an. »Sie sieht nicht so aus, als könnte sie die Befragung durchziehen.« Auch der andere, ein Kater, dessen Fell nur noch aus übrig gebliebenen Fetzen zu bestehen schien, zögerte. Sein Kiefer war leicht verschoben, sodass ein gelber Zahn hervorragte.

»Wir kriegen das schon hin. Zusammen«, entgegnete Moira entschlossen und drängte sich einfach an den zwei Wächtern vorbei. Terra folgte ihr zögerlich. Beim Weggehen warf sie Hechtkralle noch einen beruhigenden Blick zu, denn der blaugraue Kater versuchte vergeblich, an Tod vorbeizukommen, um ihr zu folgen.

In dieser Ecke des Lagers war es so dunkel, dass die WindClan- Kätzin einige Zeit brauchte, bis ihre Augen sich an die neuen Lichtverhältnisse angepasst hatten. Schließlich sah sie genug, um an Moiras Seite treten zu können. Die dunkelbraune Kätzin beugte sich mit verächtlich zusammengekniffenen Augen über eine seltsame Gestalt. Sie schien keiner lebenden Kreatur angehören zu wollen. Überall standen Gliedmaßen wie Zweige in einer Baumkrone ab. Terra zuckte zurück, als sie in eine Pfütze trat. Sie senkte ihren Blick und schluckte. Blut. Viel Blut. Zu viel.

»Sieh ihn an«, zischte Moira. »So erbärmlich. Ich fürchte, die Befrager waren zu hart mit ihm. Aber was soll man tun, wenn er nur wirres Zeug von sich gibt. Irgendwas über einen starken Zahn und eine Verräterin. Aber was uns interessiert, ist der derzeitige Aufenthaltsort der Schlitzschwestern. Blut sucht sie schon eine lange Zeit, um ihnen den Tod zu geben, den sie verdienen.«

Beim dem Wort ›Verräterin‹ horchte Terra auf. Kann es sein... Aber es ist unmöglich! Der Zufall wäre zu groß. Und wie ist er überhaupt in den Zweibeinerort reingekommen? Der Kampf auf der Lichtung... Meine Begegnung mit Fluss und Rußpelz oder Schneeauge... Was ist mit ihm passiert?

»Warum guckst du so erschrocken?«, spottete die narbige Stammeskätzin. »Kennst du ihn etwa? Wir nennen ihn den einsamen Wolfsläufer. Er hat Unglück über die gesamte Stadt gebracht. Schon seit unzähligen Blattwechseln war unser Territorium wolffrei, doch er ist schuld daran, dass jetzt doch einer sein Unwesen hier treibt. Findest du nicht, er sollte bestraft werden?«

Warrior Cats - Dunkle SterneWhere stories live. Discover now