Kapitel 2.2

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Victorias Stimme drang wie ein Echo zu mir hinüber. Die Erkenntnis traf mich wie ein massiver Fausthieb ins Gesicht. Ich kannte Grace bereits seit meiner Kindheit, ohne es auch nur in gewisser Weise registriert zu haben. Wie war das möglich?

Diese neue Information lastete schwer auf meinem Gemütszustand. Langsam kam ich wieder zu Besinnung, als ich einen festen Griff um meine Schultern spürte, und Hände, die mich heftig zu schütteln begannen. Schließlich wurde meine Sicht etwas klarer und ich bemerkte eine hysterische Victoria, die in einer schrillen Tonlage mich zu erreichen versuchte.

"Sherin! Sherin! Du blutest! Hörst du mich! Komm zu dir!"

Ich spürte einen harten Schlag auf meiner Wange, der mich schlagartig wieder ins Hier und Jetzt beförderte. Ich fand mich kniend am Fußboden wieder und beobachtete, wie sich eine Menge Blut aus meiner Nase befreite. Gewaltige Kopfschmerzen machten sich bemerkbar, als mir schließlich auffiel, dass meine rechte Hand noch immer krampfhaft die Feder in meiner Ledertasche umklammerte. Ich ließ von ihr ab und der angestaute Druck in meinem Kopf verblasste. Ich holte das Taschentuch aus meiner Tasche, welches ich zuvor um die Feder gewickelt hatte, und tupfte mir das Blut von der Nase. Die Blutung ließ schlagartig nach.

Victoria wischte die rote Pfütze vor mir mit einem Zewa auf, während Jose' mir langsam wieder auf die wackligen Beine half.

"Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Was um alles in der Welt ist denn geschehen?", kam es in Jose's spanischem Temperament, während er mir besorgt über den Rücken fuhr.

Doch ich ignorierte seine Frage, als mir Alan's unangebrachtes Verhalten auffiel. Kerzengerade stand er dort, seine Augen weit aufgerissen, mit dem Blick nach draußen zum Fenster.

"Alan. Was ist los?", lenkte ich das Thema auf die Person, die derzeit nicht in der Lage war zu sprechen. Wortlos streckte er seinen Arm aus und zeigte mit dem Finger auf das Fenster. Dort stand sie. Grace.

"Nein. Wie hat sie uns gefunden?", stieß Victoria gellend von sich. Sie stürzte zur Tür und schien irgendeine Sicherheitsverrieglung zu aktivieren.

"Ihr kennt sie?"

Jose' drehte sich zu mir hinüber.

"Woher kennst du sie? Es ist ausgeschlossen, dass du dich wieder daran erinnern kannst."

Die Bestürzung stand Jose' ins Gesicht geschrieben und ich wusste, mit solch einer Reaktion hatte er nicht gerechnet. Ich wusste, irgendetwas schienen sie vor mir zu verheimlichen, doch die Zeit war viel zu knapp, als dass ich sie hier nun zur Rede stellen konnte.

"Ich kenne sie als Grace, sie reinigt im Zoo die Vogelkäfige. Wir kennen uns seit ungefähr einem Jahr."

Ich überlegte kurz, wie ich ihnen beibringen konnte, was mir vor wenigen Minuten widerfahren war, und beschloss, ihnen das letzte und wichtigste Erlebnis zu berichten. Vielleicht konnten sie mir eine Antwort darauf liefern.

"Ich hatte eben eine Vision von dieser Frau. Fragt mich bitte nicht, wie ich dazu imstande sein kann, denn das weiß noch nicht einmal ich. Ich bin damit heute zum ersten Mal konfrontiert worden, und der Auslöser war hierbei nur eine einzige Feder."

Ich legte die Feder in dem Papiertaschentuch auf den Tisch und versuchte sie etwas genauer zu inspizieren. Schlagartig schoss mir das Bild des mysteriösen Mannes wieder in den Kopf. Die Selbstsicherheit, mit der er sich präsentiert hatte, war bemerkenswert, und ließ mein Herz ein wenig höherschlagen. Sorgfältig verstaute ich die Feder in meiner Hosentasche, um eine erneute Hitzewallung meines Organismus, zu solch einem unpassenden Zeitpunkt, zu vermeiden.

Victoria tippelte nervös im Wohnbereich umher. Grace war nun nicht mehr vor dem Fenster zu sehen, das machte uns alle nervös.

"Gut. Hier also die Kurzfassung, denn viel Zeit haben wir nicht mehr. Sie wird sich einen Weg ins Haus suchen, egal wie."

BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt