Kapitel 3.2

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Mühselig schob Madame Pottine die glänzend goldene Kette mit ihren alten, knochigen Fingern wieder in das Türscharnier hinein, und kam mit langsamen und vorsichtigen Schritten in gebückter Haltung auf mich zu.

Das Alter sah man ihr deutlich an. Nicht nur, dass ihre Adern aus der Haut schossen wie eine kleine Hügellandschaft, sondern auch ihr eingefallenes, faltiges Gesicht, das sie versuchte, mit etwas Schminke zu kaschieren. Es schien sie noch älter zu machen, als sie ohnehin schon war.

Sie rückte ihre schwarze Halbkappe zurecht, die womöglich ihre zu dünn geratenen Haare verdecken sollte, und nahm in einem Sessel Platz. Dann zog sie sich ihre Brille, die an einem dünnen Goldkettchen um ihren Hals hing, an, und begutachtete erneut die Feder.

Irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass sie mich tatsächlich vergessen hatte, und so stand ich etwas unbeholfen mitten in der Wohnung. Ich räusperte mich, und sie blickte überrascht auf.

"Oh, mein liebes Kind, es tut mir leid. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass Sie noch hier sind."

Madame Pottine war mit einem Mal wie ausgewechselt. Sie deutete mit ihrer Hand auf einen Stuhl am Esszimmertisch.

"Bitte. Setzen Sie sich."

Es dauerte einige Minuten, bis sie sich aus dem Sessel befreit hatte, und ebenfalls, gegenüber von mir am Esszimmertisch, ihren Platz einnahm. Erneut fiel sie in ein tiefes Selbstgespräch, während sie die Feder in der Hand drehte. Die Minuten plätscherten dahin, und langsam wurde ich unruhig.

"Hören Sie ...", fing ich an.

Doch sie zeigte keine Reaktion.

Angewidert näherte ich mich mit meiner Hand ihrem viel zu dünnen Arm, und tippte auf ihre schlabberige Lederhaut. Sofort schlug sie ihre Augen auf und warf mir einen Blick zu, der den Wahnsinn nur ansatzweise beschrieb.

"Hören Sie ...", wiederholte ich mich ein weiteres Mal. "Ich habe nicht viel Zeit. Dennoch brauche ich dringend Ihre Hilfe, und Sie sehen so aus, als wüssten Sie ganz genau, wem diese Feder gehört."

Immer noch hielt sie die schwarze Kostbarkeit in der Hand und starrte auf sie, als könnte sie der Sache keinen Glauben schenken.

"Meine Großmutter erzählte mir einmal davon. Zuerst dachte ich, sie würde mir nur ein Märchen beschreiben, doch dann, als ich begriff, dass sie es ernst meinte, besuchte ich sie immer weniger. Wenn ich da war, erzählte sie nur noch von übersinnlichen Erlebnissen, die mich dazu brachten, irgendwann gar nicht mehr vorbeizukommen, und jetzt sehen Sie mich an, was aus mir geworden ist."

Sie deutete auf sich und lachte sarkastisch auf.

"Ich bin zu ihrem Ebenbild herangewachsen. Den selben Beruf, dieselbe Art, ich bin ihr in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich."

"Ist das schlecht", versuchte ich die Situation etwas aufzulockern, bevor sie völlig im Selbstmitleid versank.

"Nein, nein. Zumindest nicht immer, und gerade in diesem Moment ganz und gar nicht. Denn Sie haben mir hiermit bewiesen, dass mir meine Großmutter damals die Wahrheit erzählt hat."

"Und was hat sie Ihnen gesagt?"

"Sie war ebenfalls im Besitz einer Feder, allerdings einer Weißen."

Schlagartig fuhr sie zusammen, korrigierte ihre Sitzhaltung, und blickte im Zimmer umher, als würde sie etwas suchen.

"Was haben Sie denn?"

"Ist Ihnen jemand gefolgt?"

Ich zögerte.

"Ich glaube nicht."

Mit einem Ruck erhob sie sich vom Stuhl und stapfte aufgebracht in der Wohnung umher.

"Wurden Sie verfolgt?"

"Ja, aber ich habe es abgehängt."

"Es?"

"Sie würden mir eh nicht glauben, wenn ich Ihnen erzähle, was für eine Kreatur hinter mir her war."

Vollkommen zerstreut lief sie einige Runden um den Tisch herum.

"Bitte. Sie müssen mir helfen", lief ich ihr schon beinah hinterher.

Sie schüttelte den Kopf.

"Ich kann nicht."

"Aber wieso?"

"Weil ich mich selbst retten muss."

Ich verstand gar nichts mehr. Madame Pottine stoppte ab und blickte mir mit einem verstörenden Ausdruck entgegen.

"Denken Sie ernsthaft, dass es vorbei ist. Oh nein, meine Liebe, es hat gerade erst angefangen."

Ihr Lachen erklang aus den Tiefen ihres Kehlkopfes heraus und jagte mir einen gewaltigen Schrecken ein. Augenblicklich verstummte sie und ihr Gesicht schnellte in Richtung Fenster.

"Ich spüre eine geballte Ladung an Macht. Ich kann nicht zuordnen, ob sie nun gut oder schlecht ist, aber es dauert nicht mehr lange, bis diese Gestalt hier eintrifft."

"Dann geben Sie mir doch bitte einen kurzen Einblick darin, was hier vor sich geht. Gestern war noch alles in Ordnung, aber seit heute Nachmittag spielt alles verrückt. Ich begegne Menschen, oder sagen wir mal Monstern, und sehe Dinge, die nicht real sind. Ich glaube, ich werde verrückt."

Aufgelöst ließ ich mich auf den Stuhl fallen. Meine Hände umschlossen meinen Nacken, und zogen somit den Kopf hinunter zum Schoß. In gekrümmter Haltung saß ich dort, wippte hin und her, wie eine Frau, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Madame Pottine legte verständnisvoll ihre Hand auf meine Schulter.

"Sie sind nicht verrückt, das kann ich gara ..."

Ihre Aussage blieb in der Luft hängen. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zu, wie das Blut aus ihrem Munde lief. Irgendetwas hatte sie durch den Bauch hindurch aufgespießt.

Erneut spukte sie Blut.

Sie griff zu den kleinen drei silbernen Krallen, die aus ihrem Bauch hinausragten, und konnte gar nicht wirklich begreifen, was hier vor sich ging.

"Red Hunter. Red Hunter", flüsterte sie mir zu.

So schnell es sie gepackt hatte, so schnell zog es sie von mir fort, mit einem langen ähnlich aussehenden straffen Tentakelarm. Kurz darauf hörte ich einen ohrenbetäubenden Schrei, gefolgt von Schmatzlauten, und das Geräusch gebrochener Knochen.

BLACK FEATHER (Wird überarbeitet)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt