Chapter Sixteen - 17th December 2016

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Es war eiskalt, als ich aus dem Restaurant auf die Straße trat. Die kalte Luft kämpfte sich durch meinen Regenmantel. Ich bekam eine Gänsehaut und zog den Kragen noch ein Stückchen höher. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich noch zwölf Minuten hatte, bevor die Tube nach Hause kam. Meine Eltern würden mich umbringen, wenn sie wüssten, dass ich um diese Uhrzeit noch in den Tube Stationen rumlief.

Mom war der festen Überzeugung, dass um Punkt Elf Uhr in London alle Geschäfte auf einen Schlag illegal und kriminell wurden und für jemanden in meinem Alter (insbesondere, wenn es sich um einen weiblichen Jemand handelte) nicht mal ein Zentimeter auf dem Bürgersteig auch nur ansatzweise als ungefährlich bezeichnen werden konnte.

Da ich aber schlecht im Restaurant schlafen konnte und irgendwie nach Hause musste, ließ ich mir jedes Jahr an meinem Geburtstag eine neue Dose Pfefferspray in die Hand drücken, lächelte brav und hatte sogar ein anständig schlechtes Gewissen, wenn ich schlussendlich doch mit der Tube fuhr und kein Taxi nahm.

Aber das Geld konnte ich an anderen Stellen eben besser gebrauchen.

Ich klammerte mich an meine Handtasche, vergrub das Gesicht bis zur Nasenspitze in der Jacke und wandte mich nach rechts.
Die dunkle Gestalt bemerkte ich erst, als ich nur noch wenige Meter entfernt war. An einem schwarzen Wagen gelehnt, nur schwach von der Straßenlaterne beleuchtet und die Hände in der Jackentasche vergraben, stand Harry. Natürlich.

Er lächelte, als ich näher kam und auch meine Mundwinkel zuckten gegen meinen Willen. Dann schüttelte ich den Kopf. „Was machst du hier?" Er hatte am Morgen erst gemeint, dass er heute Nachmittag verabredet war und danach wahrscheinlich zu ein paar Freunden fahren würde, nachdem ich ihm leider absagen musste. Auch wenn es wirklich verführerisch gewesen war, den Samstagabend bei ihm zu verbringen, hatte ich einen Job, dem ich nachkommen musste. Und er verstand das – dachte ich zumindest.

„Ich hole dich ab. Wonach sieht es denn aus?", er tat, als wäre das etwas ganz selbstverständliches. Ich warf einen Blick über die Schulter, als ein junges Pärchen an uns vorbeigingen, doch in ihrer Diskussion beachteten sie uns nicht. Wie lange war er jetzt schon in dieser Pause? Hatte er wirklich schon vergessen, wie leichtsinnig es sein konnte, wenn er auf den Straßen von London herumgeisterte? Um diese Uhrzeit? Und dann auch noch ohne Begleitung?

Als würde er nicht genau wissen, was ich ihm stumm vorwarf, trat er mit einem Schritt vor und zupfte lächelnd an meiner Mütze. „Süß", war sein Kommentar zu den angenähten Katzenohren, die mich vor zwei Jahren dazu gebracht hatten, diese Mütze auf der Stelle in meinen Kleiderschrank aufnehmen zu wollen. Unwillkürlich rümpfte ich die Nase, hoffte jedoch, dass er es durch den Kragen nicht sehen konnte.

Süß war nicht gerade ein Adjektiv, mit dem ich gerne von ihm beschrieben werden wollte. Es hörte sich kindlich und verniedlichend an, was bei meiner geringen Körpergröße eigentlich nicht verwunderlich sein sollte.

Aber es war ein Begriff, mit dem man Freunde beschrieb, oder nicht? Und wir waren Freunde. Ich nannte Jojo immerhin auch manchmal süß, wenn sie sich über kleine Dinge so unfassbar engagiert aufregen konnte.

Deswegen verbesserte ich ihn auch nicht und biss mir lieber fast die Zunge ab, als meine Unzufriedenheit offen zu zeigen. Wahrscheinlich war ich jedoch nicht sonderlich gut darin, denn seine Mundwinkel zuckten dennoch amüsiert, als er sich umdrehte und auf seinen Wagen deutete. „Steig ein."

Ich war verloren.

Selbst wenn es nicht so kalt gewesen wäre und die Tube nachts nicht wirklich eine leicht gruselige Atmosphäre hatte (was ich vor Mom niemals laut zugeben würde), wäre ich ohne zu zögern eingestiegen.

Remember Me - h.s [beendet]Donde viven las historias. Descúbrelo ahora