V I E R

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Er stürmte aus seinem Zimmer,
ignorierte seine Mutter, die versuchte,
ihn zurückzuhalten.
Auf dem Flur sprach er die Erste Person an,
die er sah.
Es war eine Ärztin in weißem Kittel.

,,Entschuldigen sie, können Sie mir sagen,
wo meine Freundin ist?"

,,Wie heißt ihre Freundin denn?"

,,Sandy. Sandy Sedgewick.
Sie wurde mit mir zusammen eingeliefert."

,,Ach, dann sind sie das Pärchen mit dem Autounfall?"

,,Ja."

Die Frau musterte ihn kritisch.

,,Vielleicht sollten sie sich besser etwas ausruhen.
Auch sie sind verletzt. Legen sie sich wieder hin und..."

,,Nein! Ich muss zu ihr!"

Also gut, auf eigene Verantwortung."

Die Ärztin blätterte in der Mappe,
die sie auf dem Arm hatte.

,,Sie ist auf der Intensivstation, Zimmer 112."

,,Danke!"

Er rannte durch die Flure,
den Blick immer nach vorn gerichtet.
Seine Kopfschmerzen wurden schlimmer und
schließlich hielt er an.
Lehnte sich keuchend an die Wand und verschnaufte.

,,Ich darf nicht stehenbleiben.
Sandy braucht mich."

Er murmelte es leise vor sich hin,
wie eine Beschwörungsformel.

,,Sandy braucht mich, Sandy braucht mich."
,,Sie braucht mich."

Er lief weiter, wenn auch etwas langsamer.
Bei ihrem Zimmer angekommen,
stürzte er sofort hinein.

Da war sie.
Sie lag blass und schmal in einem Krankenhausbett,
die Rollläden waren heruntergefahren
und tauchten den Raum ins Halbdunkel.
Überall waren seltsame Apparate und Maschinen,
die sie am Leben hielten.

Ein Schlauch steckte in ihrem Mund,
eine komische Maschine beatmete sie.
Mehrere Kanülen ragten aus ihren Handrücken,
verbunden mit Schläuchen,
die zu weiteren fremdartigen Apparaturen führten.

Er trat an ihr Bett und betrachtete sie.
Ihre Augen waren geschlossen.

,,Es tut mir Leid."

Er flüsterte es.
Dann wiederholte er es, immer wieder,
bis er die Worte laut zur Decke schrie.

,,ES TUT MIR LEID!"

Er sank auf einen Stuhl neben dem Bett.
Vorsichtig nahm er ihre Hand, hielt sie wie etwas sehr zerbrechliches.

,,Womit hast du das verdient?"

Eine Träne bahnte sich ihren Weg durch sein Gesicht.

,,Eben gerade warst du noch da,
hast geredet, gelacht und geweint, und jetzt..."
,,Vorhin habe ich mir gewünscht,
dass du schweigst, aber jetzt wünsche ich mir,
dass du wieder da bist und redest,
auch wenn das bedeutet, dass du mich anschreist."

Er schwieg lange.

,,Es tut mir so Leid."
,,Und bitte, wenn du mich hörst,
komm zu mir zurück. Bitte, Sandy."

Er ließ seinen Kopf auf ihren Unterarm sinken,
spürte ihre Nähe, ihre weiche Haut.
Erst leise, dann etwas lauter begann er zu schluchzen.
Weinte um Sandy,
um all die Fehler, die er gemacht hatte,
um alles, was sie gemeinsam erlebt hatten.

Wenn Niemand mehr Hoffnung hätte,
würden wir dann noch um die Toten weinen?

Somewhere else (✔️)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt