Z E H N

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Als er aufgehört hatte zu singen,
schloss er die Augen.
Nahm ihre Hand und gab sich ganz seinen
Gedanken hin.

Wie schön es wäre,
wenn sie wieder aufwachen würde.
Niemals wieder würde er
so einen dummen Fehler begehen.
Er merkte nicht, wie das Piepsen
des Gerätes, das ihren Herzschlag
abhörte, langsamer wurde.
Er merkte gar nichts.

Bis plötzlich eine Meute
von Ärzten in das Zimmer stürzte.
Sie rissen ihn von ihr weg und
scharten sich um sie.

,,Was ist los?"

,,Ihr Herz hat aufgehört zu schlagen."

Es war eine junge Ärztin,
kaum älter als er - und sie -
die diese Wörter sprach.
Aber es klang, als würde eine alte Frau das sagen.
Diese Ärztin begegnete dem Tod
nicht zum ersten Mal.

,,Was passiert jetzt?"

,,Wir werden versuchen, sie zu reanimieren."

,,Und? Wie stehen die Chancen?"

,,Nicht gut, fürchte ich."
,,Bitte warten sie draußen."

,,Aber..."

Sie sah ihn nur an.
Und er verstand. Er ging.
Setzte sich auf dem Flur einfach
auf den Boden,
den Rücken an die Wand gelehnt.
Und hoffte.

Aber er wusste, dass er dumm war.
Sie würde es nicht schaffen.
Es war zu spät.
Und er war schuld.
Er ganz allein.
Und doch, stirbt die Hoffnung bekanntlich
zuletzt.

Nach 20 Minuten kam die Ärztin aus dem Zimmer.
Sie entdeckte ihn.
Und schüttelte nur den Kopf.
Er zog die Knie an,
verbarg sein Gesicht in den Händen
und ließ die Tränen laufen.

Sie hatte so etwas nicht verdient.
Sie war zu gut für so ein
schlimmes Ende.
Ach, wäre er doch nur einsichtiger gewesen.
Nicht so dumm.
Nicht so egoistisch.
Nicht so selbstsüchtig,
Nicht so blind.
Nicht so, wie er gewesen war.

Hätte er jetzt noch Hoffnung gehabt,
hätte er sich vorgenommen,
es beim nächsten Mal besser zu machen.
Aber er hatte keine.
Er wusste, es würde kein
nächstes Mal geben.

Zumindest nicht für ihn.

Für die Kranken ist der Tod befreiend,
für die Verbleibenden einengend.

Somewhere else (✔️)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt