"Eine Chance war immer das, was du verpsst hast, wenn du es merkst." - Erhard Blanck
Das letzte, was ich zu spüren bekam, war der Tod und starke rettende Arme um mich. Wobei letzteres vermutlich eine Einbildung meines Gehirns war. Vermutlich spürten Menschen vor ihrem Tod noch komische Dinge.
Meine Augenlider wollten sich öffnen, doch fühlten sie sich so unheimlich schwer an, nebenbei drohte mein Schädel zu platzen und auch an meinen Handgelenken war ein ziehender Schmerz spürbar. Was hatte das alles zu bedeuten?
Ich strengte mein Gehirn an, als ich draufkam, öffneten sich meine Augenlider in Millisekunden. Ich hatte versucht zu ihnen zu gelangen, um endlich wieder glücklich sein zu können. War mein Versuch etwa fehlgeschlagen?
Das was ich sah, war eine weiße Wand. War ich vielleicht doch gestorben?
Als ich meine Blicke nach links wandte, war da wieder nur eine weiße Wand. Hatte es etwa geklappt? War Gott wirklich so gnädig mit meiner Seele, dass er mich mit meinen Großeltern vereinte?
Als ich meine Blicke diesmal nach rechts drehte, wurden all meine Hoffnungen zunichte gemacht. Es wäre auch viel zu einfach und schön gewesen. Vor mir saß ein im Sessel schlafender Ali. Seine Brauen waren zusammengezogen, weswegen sich eine Falte zwischen ihnen gebildet hatte. Sein Gesicht wirkte blass. Wer wusste schon, wie lange ich hier lag? Und er somit auch. Als meine Blicke in dem Zimmer umherschweiften, fiel mir auf, dass es kein Krankenhaus war, trotz der Infusion an meiner Hand und dem picksenden Schmerz durch die Infusion.
Doch auch war es nicht das Anwesen meiner Eltern. Auch nicht das Zuhause von Ali. Oder zumindest kannte ich dieses Zimmer hier nicht. Doch ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass dieses Zimmer in ihrem Haus war. Es passte nicht zu dem restlichen Haus. Dieses Zimmer hier war sehr modern und ohne jegliche unnötige Dekoration eingerichtet worden. Ziemlich schlicht. Während das Zuhause der Kayas einen orientalischen Touche hatte. Von unten hörte ich Stimmengemurmel. Also wo zur Hölle hatte mich Ali nur hingebracht?
Als ich mich versuchte aufzurichten, zog es an meinen Handgelenken, weswegen ich ein kurzes Zischen nicht unterdrücken konnte. So kurz und leise es auch war, so ausreichend war es gewesen, um Ali zu wecken.
"Du bist wach. Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?" "Wo sind wir?", entgegnete ich mit einer Frage. Ich war wütend auf ihn, wütend, weil er mich von meiner Erlösung abgehalten hatte.
"Bei meiner Tante. Die Schwester meiner Mutter und die Mutter von İshak und İlyas, sie ist Ärztin, vielleicht erinnerst du dich noch an sie." Ich versuchte mich gar nicht zu erinnern, denn mein Schädel brummte dafür zu sehr.
"Wieso hast du das getan, Ali?", hakte ich nur müde nach. Müde vom Leben. Alis Lippen zogen sich zu einem Lächeln zusammen. Kein ernst gemeintes Lächeln, eher ein ironisches, bitteres.
"Stimmt, ich hätte dich sterben lassen sollen. Wie konnte ich das nur vergessen und dich retten? Tut mir leid, dass wird beim nächsten Mal nicht vorkommen!" "Genau das hättest du tun sollen!", zischte ich wütend. Er spannte sein Kiefer an und ballte seine Hände zu Fäusten, so stark, dass innerhalb weniger Sekunden das ganze Blut aus ihnen gewichen war. Seine großen Hände wirkten jetzt bleich.
"Dieses Gespräch", er hielt inne. "Es ist noch nicht beendet Hira, doch ich werde erstmal schweigen, dir zuliebe. Denn wenn ich jetzt spreche, werde ich dir das Herz brechen, auch wenn es dir scheiß egal ist, was mit meinem Herzen passieren würde, wenn du dir dein Leben nehmen würdest, ist es mir kein bisschen egal, was mit dir ist. Wenn man dir ein Haar krümmen sollte, wäre das Grund genug, um diese Welt niederzubrennen und wenn ich dich mit meinen Worten verletzen würde, würde ich mir das niemals verzeihen. Doch welch eine Ironie, dass ausgerechnet du dir dein eigenes Leben nehmen wolltest." Seine Worte fühlten sich an wie ein Schlag in die Magengrube oder direkt in die Fresse. Sauber und treffsicher. Er kehrte mir den Rücken, doch hielt vor der Tür inne.
"Ich werde meine Tante holen, falls du etwas brauchst, kannst du es ihr ruhig sagen, wenn du dich jedoch schämen solltest, dann kannst du auch nach mir verlangen. Ich werde bis zu deiner Genesung hier bleiben." Ohne meine Antwort abzuwarten, ließ er mich im Zimmer allein.
Eins war klar; ich verdiente Ali keinen Meter, geschweige denn Millimeter. Er war zu gut für mich, viel zu gut. Und es war fast schon eine unerträgliche Strafe so einen wundervollen Menschen, um mich zu haben, denn ich hatte es einfach nicht verdient. Ich hatte Ali nicht verdient. Genau deswegen steht auch ein anderes Mädchen an seiner Seite und nicht du, erinnerte mich mein Verstand an die bittere Wahrheit, die ich immer wieder versuchte zu unterdrücken. Ein erbittertes Lächeln zierte sich auf meinen Lippen.
"Du bist viel zu gut für mich, Ali Kaya. Ich weiß gar nicht, wie du es mit mir aushältst, wie du es schaffst mich zu ertragen, wobei ich das selber kaum kann. Ich werde vermutlich nie verstehen, wie du es neben mir aushältst ohne verrückt zu werden, wie du mich erträgst, wie du es schaffst mir immer wieder den Schmerz zu nehmen und mich zu therapieren, wie du mir immer wieder neue Luft zum Atmen schenkst. Wie schaffst du all das? Wie schaffst du es, dass ich nie aufgebe, sondern kurz davor immer wieder durch dich neues Leben und neue Kraft schöpfe, sag mir; wie?"Nach meinen Worten lehnte ich meinen Oberkörper an das Bettgestell und meinen Kopf an die Wand.
Eine Weile sah ich der Infusion dabei zu, wie sie langsam tropfte, bis es an meiner Tür klopfte. Meine Blicke wandten sich zur Tür, wo Alis Tante mit einem warmen Lächeln stand.
"Wie geht es dir, Hira? Wie fühlst du dich?" Das Einzige was ich tat, war es zu nicken. Mit einem Mal kam mir meine Tat nicht mehr so richtig vor, ganz im Gegenteil sie fühlte sich so unheimlich falsch an. Und ich schämte mich zutiefst dafür. Sie hantierte kurz an meiner Infusion, so dass sie nun langsamer floss.
"Du kriegst Schmerzmittel." Erneut nickte ich.
"Als Ali dich zu mir ins Krankenhaus gefahren hat, hattest du sehr viel Blut verloren. Es wäre unmöglich dich, ohne eine Bluttransfusion, am Leben zu halten." "Ich war im Krankenhaus?", fragte ich erschrocken. Wenn die Presse oder sonst wer davon mitbekam, dann würde das kein gutes Ende nehmen.
"Keine Sorge, niemand hat und wird von deinem Aufenthalt mitbekommen. Deswegen bist du jetzt auch hier, obwohl du eigentlich im Krankenhaus sein solltest. Aber hier bist du unter meiner Aufsicht, deswegen konnte ich das Risiko auf mich nehmen." Ihr Worte ließen mich schlecht fühlen. Es war wirklich ein Risiko, welches sie wegen mir einging. Wenn mir etwas zustoßen sollte, könnte sie sogar die Zulassung als Ärztin verlieren. Das alles ließ mich noch schlechter fühlen. Diese Familie tat so viel für mich und ich? Ich startete einfach Selbstmordversuch, wie selbstsüchtig von mir!
"Tut mir leid für all die Unannehmlichkeiten", nuschelte ich.
"Ach was, mach du dir da mal keine Sorgen darum, es ist alles gut. Du darfst aufstehen, aber solltest sehr vorsichtig sein und deine Hände und Handgelenke möglichst wenig bewegen, damit die Nähte nicht aufgehen." Sie stand auf und lief zur Tür. Dann drehte sie sich erneut um.
"Eigentlich wollte ich mich zurücknehmen, aber du hattest echt verdammtes Glück, Hira, da du nicht tief genug geschnitten und deine Pulsadern getroffen hast. Das hätte echt daneben gehen können, auch wenn das dein Ziel gewesen ist. Du hast eine zweite Chance bekommen und die solltest du nutzen." Nach ihren Worten schenkte sie mir noch ein aufrichtiges Lächeln, um mir zu zeigen, dass ihre Worte nicht böse gemeint waren und verließ das Zimmer. Meinen Kopf an die Wand lehnend schloss ich meine Augen. So viel hatte ich falsch gemacht, so viel, was ich hätte richtig tun sollen.
Musa! Mit einem Mal musste ich an meinen Bruder denken. Ob er Bescheid wusste? Und was war mit meinem Onkel?
Ich merkte, wie es schwer um mein Herz wurde, rutschte langsam das Bett runter, so dass mein Kopf auf dem Kissen lag und gab mich dem Schlaf hin.
Durch das Stimmengemurmel wurde ich wach. Ali und İshak waren am Reden.
"Na ja, du hast mir damit nur bestätigt, dass du dumm bist", sprach İshak mit einem Blick, der wohl besagen sollte, dass ihm alles egal war.
Bevor Ali etwas erwidern konnte, sah İshak zu mir und sprach: "Na? Ist Dornröschen auch wach?" Meine Blicke senkte ich auf seine Worte.
"Geht's dir gut?", fragte Ali mich direkt. Er war aufgestanden und zu mir gelaufen. Um ihn anzuschauen richtete ich meine Blicke auf, doch achtete ich darauf İshak nicht anzuschauen. Seine Blicke waren fast schon verächtlich, da fiel mir auf, dass er auch Ali gerade mit demselben Blick gemustert hatte. Es war kein mir-ist-alles-egal-Blick, es war Verachtung. Doch wieso?
Als mir einfiel, dass Ali auf eine Antwort wartete, nickte ich ihm zu.
"İshak çık dışarı! (İshak, geh raus!)", befahl ihm Ali, der wohl gemerkt haben musste, dass ich mich unter İshaks Blicken unwohl fühlte. Wobei unwohl noch sehr nett ausgedrückt wäre. Ich fühlte mich gepeinigt, erniedrigt.
"Çıkacağım ama size ne kadar aptal olduğunuzu söyledikten sonra çıkacağım. Aptalsınız hattâ sizin kadar aptallara ben hayatımda rastlamadım. (Ich werde rausgehen, aber erst werde ich euch sagen, wie dumm ihr seid und werde danach rausgehen. Ihr seid dumm, ihr seid so dumm, dass ich sowas noch nie zuvor in meinem Leben begegnet bin.)" Nach diesen Worten hatte er das Zimmer mit einem Kopfschütteln verlassen. Verwirrt blickte ich zu Ali.
"Er weiß nicht, was er redet, vergiss es einfach."Überraschung!🎉
Hoffentlich hattet ihr viel Spaß beim Lesen meine lieben Zuckermenschen! ❤Eure Verâ ♡

YOU ARE READING
Zum Scheitern verurteilt
General Fiction"Sie waren gemeinsam in den Strömen dieser Welt und stürzten einsam von den Klippen dieser Welt." Da stand er nun vor mir. Schmerz spiegelte sich in unseren Augen wider. Wir hatten verloren. Wir hatten uns selbst verloren. Wann war das nur geschehe...