2.Kapitel

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Irgendwann kommt man in seinem Leben einfach an einem Punkt, an dem man etwas ändern muss. Mein ganzes Leben wurde mir immer vorgeschrieben, was ich zu tun habe und was ich unter keinen Umständen tun darf. Durchbrennen mit dem besten Freund? Unmöglich, wenn man von morgens bis abends von Kameras rund ums Haus beobachtet wird. Nachts das Fenster öffnen, um nur ein einziges mal die unbarmherzig erfrischende Nachtluft einatmen zu können, während das warm scheinende Mondlicht das düstere Städtchen erhellt? Schöner Gedanke, doch der Alarm geht an, sobald man nur in Berührung mit dem Fenster kommt.

Ich habe wirklich stets versucht eine möglichst unkomplizierte, gehorsame Tochter für meine Eltern zu sein. Doch ich fühle mich gefangen in ihrer übertriebenen Angst, mir könnte etwas geschehen. Und ich kann es ihnen noch nicht einmal übel nehmen, schließlich sind hier alle so. Jedes Kind wird an einer extrem kurzen Leine gehalten, damit man als Elternteil umgehend handeln kann, falls das Wort "Blood Crystel" fällt, oder die Sirene erklingt, wenn der Himmel sich der Nacht anpasst. Das ist ein trostloses Leben. Man sieht es den Menschen nicht an, doch sie alle leben in Furcht. Die tief sitzende Angst vor diesen Kreaturen dort draußen, lässt viele nicht schlafen. Das was mich am meistens schockiert ist jedoch, dass wirklich niemand versucht etwas daran zu ändern. Alle sagen ständig, man könne es mit dieser Spezies nicht aufnehmen, sie seien einfach zu stark. Doch ich frage mich, wann wurde es das letzte Mal versucht? Vor tausenden von Jahren? Gibt es überhaupt jemanden der schonmal versucht hat mit ihnen vernünftig zu kommunizieren? Vielleicht bin ich zu naiv, das gebe ich zu, schließlich kenne ich selber Menschen, deren Liebsten den Blood Crytels zum Opfer gefallen sind. Es ist wirklich deprimierend, so wissbegierig und neugierig zu sein. So viele Fragen und so enttäuschend wenige Antworten.

Warum erscheinen sie nur des Nachts?

Und warum greifen sie uns an?

Sind es nur mordlustige Tiere vom Teufel ausgesandt um der Menschheit das Leben schwer zu machen?

Schwer vorstellbar.

Vielleicht würden sie mit sich reden lassen, doch dazu müsste es erstmal jemand versuchen.

Es ist für Unbeteiligte vielleicht schwer vorstellbar, doch dieses Leben ist nicht im entferntesten lebenswert, da es von dem System in solch einem unfassbaren Maße eingeschränkt wird, dass sich  der Alltag immer nur um die goldene Regel dreht. Es heißt immer nur: "Wie viel Zeit haben wir noch?", oder "Ich glaube heute wird es früher dunkel, lass uns lieber jetzt schon nach Hause gehen". Im Sommer ist es vielleicht noch erträglich, doch im Winter wird es spät hell und sehr früh dunkel, deswegen kommt man zu dieser Jahreszeit kaum raus und muss fast den ganzen Tag im Haus verbringen. Man kann nicht einfach mal in ein anderes Land reisen oder sich mit Freunden ein schönes Plätzchen in der Natur suchen um zu Campen. Ich persönlich durfte noch nicht einmal bei Freunden übernachten, da meine Eltern es nicht ertragen konnten, mich nicht komplett kontrollieren zu können. Sie sagten immer: "Wir wissen doch noch nicht mal ob deren Haus standartmäßig gesichert ist, das ist ein zu großes Risiko. Bleib lieber zu Hause, hier bist du sicher."

Meine größte Angst ist, dass ich später genauso werde wie meine Eltern, oder wie der Rest der Gesellschaft. Was hätte das Leben noch für einen Sinn, wenn man jeglichen Kampfgeist für ein vollkommen unbeschwertes Dasein aufgegeben hat?

Das hier soll die Geschichte meiner Rebellion werden und sie beginnt an einem wunderschönen Sommertag:

Das Gras war kühl und duftete wundervoll herrlich nach Natur. Einfach nur entspannen und die Sonnenstrahlen auf meiner Haut genießen. Spüren wie sie meine Seele auftanken und mich stark für den nächsten Streit mit meinen Eltern machten. Ich hörte den Wind um mich, das Rauschen der Bäume und in weiter Ferne einen kleinen Wasserfall. Ich konzentrierte mich mit all meinen Sinnen, damit mir auch ja nichts entging von diesem Erlebnis. Neben mir bemerkte ich summende Bienen, auf der Suche nach Nektar, das Gold der Blumen. Diese Idylle schien so unreal, wie die Ruhe vor dem Sturm. Und der Sturm würde nicht lange auf sich warten lassen, wahrscheinlich waren meine Eltern schon auf der Suche nach mir. Eigentlich wollte ich gar nicht während des Unterrichts abhauen. Doch als ich auf dem Weg zur Toilette war, schien mir durch das Fenster die Sonne entgegen und verzauberte mich. Wahrscheinlich hat meine Lehrerin unverzüglich meine Eltern benachrichtigt, als sie bemerkte, dass ich nicht wieder in die Klasse zurück kam. Und jetzt lag ich hier, auf einer Wiese voller Blumen und kleinem Getier, umgeben von großen Bäumen und kleinen Wäldern. So ließ es sich leben. Natürlich verbot mir meine Mutter nicht den Sommer zu genießen, doch es musste immer eine Person an meiner Seite sein, der Sie vertrauen konnte. Und davon gab es wirklich nicht viele.

Ich öffnete meine Augen und sah Äste mit Blättern eines Baumes über mir schweben. Sachte wog sie der Wind hin und her, als wenn er mich zum schlafen animieren wollte. Durch die Äste konnte ich den strahlend blauen Himmel sehen mit lauter unterschiedlich großer Wolken. Ich versuchte Motive und Muster aus ihnen zu erkennen, doch irgendwie wollte mir das heute nicht gelingen. Als ich meinen Kopf nach hinten beugte, erkannte ich den Baumstamm. Einige Ameisen krabbelten in den Fugen der Rinde entlang, auf der Suche nach Nahrung. Ich drehte mich auf den Bauch und legte meinen Kopf seitlich mit der Wange auf dem saftig grünem Gras nieder. Mit meinen Händen durchforstete ich den Rasen und vergrub meine Finger in der Erde, während ich wieder die Augen schloss um die Geräusche der Natur auf mich wirken zu lassen. Nach einer Weile vernahm ich das Geräusch eines Wagens. "Es ist soweit.", flüsterte ich vor mir hin und versuchte, noch leicht benommen, aufzustehen. Ich sah am Ende der Wiese das Auto meiner Eltern auf mich zurollen. Am Rande der unbefahrenen Landstraße kam es zum Stehen und eine Person stieg hastig aus. Es war Mutter. Sie knallte die Beifahrertür hinter sich und stampfte wütend über die Wieso direkt auf mich zu.  Ein letztes Mal an diesem Tag ließ ich das Bild dieser Landschaft auf mich wirken, bevor ich beschloss mit einem Lächeln im Gesicht meiner Mutter entgegen zukommen.

Blood CrystalsWhere stories live. Discover now