5. Kapitel

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Ich stand auf einer Lichtung. Einige Sonnenstrahlen schienen sanft durch die grünen Blätter der dicht beieinanderstehenden Bäume. Als ich mich umsah, bemerkte ich, dass ich mich auf einem Pfad befand, der in die Dunkelheit führte. Angsteinflössende Geräusche hallten aus diesem Bereich des Waldes. Hier, wo ich mich gerade aufhielt, war alles ruhig. Niemand zu sehen, bis auf ein paar Vögel und einem Eichhörnchen, dass auf einem breiten Ast über mir, versuchte eine Nuss zu knacken. Es schien hier sehr schön und sicher zu sein, doch trotzdem fühlte ich mich unwohl und einsam. Deshalb beschloss auf einen Baum zu klettern um mich zu orientieren. Kurz bevor ich die Krone des Baumes erreicht hatte, brach ein Ast unter einem meiner Füße und ein Schrei zerstörte die Idylle. Ich fiel einige Meter tief und landete unerwartet auf einem weichen, nachgiebigen Untergrund. Augenblicklich verstummten die Geräusche am Ende des Pfades und auch die Tiere waren verschwunden. Ich stand auf und bemerkte, dass die Lichtung nun viel kleiner, als vorher wirkte. Es war ein beengendes, niederdrückendes Gefühl und ich bekam es mit der Angst zu tun. Diese unerträgliche Stille verleitete mich dazu, dem Pfad ins Ungewisse zu folgen. Je näher ich der Dunkelheit kam, umso mutiger wurde ich. Doch plötzlich packte mich irgendetwas an meiner Schulter und Adrenalin fuhr durch meinen Körper. Ich drehte mich um und erkannte eine menschenähnliche Gestalt vor mir. Sie fletschte ihre spitzen Zähne und knurrte mich skrupellos an. Die von Blut durchtränkte zerfetzte Kleidung bedeckte den Körper dieser Kreatur, doch konnte nicht verbergen, wie viel Kraft in ihr stecken musste. Dieses Wesen packte mich gewissenlos an die Kehle und schleuderte mich gegen einen Baum. Das Letzte was ich vernahm war ein grausames Lachen, welches meinem zerstörten Körper immer näher kam.

Ich riss erschrocken die Augen auf und fuhr schweißgebadet und um Luft ringend in die Höhe. Schweratmend tastete ich nach meinem Handy, welches in der Dunkelheit kaum zu erahnen war. Als ich es zu fassen bekam, drückte ich mit zittrigen Händen, irgendwelche Knöpfe um endlich etwas sehen zu können. "Verdammt", murmelte ich, als ich feststellte, dass ich mich immer noch in dem Baumhaus befand. Doch ich war erleichtert, dass ich hier zumindest alleine war. Ich wischte mir mit meinem Ärmel den Schweiß von der Stirn und lehnte mich kraftlos an die Wand zurück. Ich schaute mich noch einmal genauer im Baumhaus um, als mein Blick über die Verriegelung der Tür schweifte. Wieder bekam ich Schweißausbrüche und mein Herz began zu rasen. Die Tür, sie war nicht mehr verriegelt. "Nein", stotterte ich, "das kann nicht sein!" Ich war kurz davor eine Panikattacke zu bekommen, deshalb hielt ich mir den Mund zu und lauschte nach  ungewöhnlichen Geräuschen. Es wurde mir bewusst, dass hier irgendwer oder irgendetwas bei mir gewesen sein musste. Während ich geschlafen hatte. "Ich muss hier weg.", dachte ich. Die ganze Zeit, in der ich starr vor Angst dort saß, überlegte ich, wie das passiert sein konnte. Als ich mich dazu in der Lage fühlte zu flüchten, kniete ich mich vor meinen Rucksack und packte vorsichtig alles zusammen. Unkoordiniert kroch ich zur Tür und wollte sie gerade öffnen, als ich ein Rascheln, außerhalb des Raumes, vernahm. Ich hörte auf zu Atmen und horchte nach weiteren Geräuschen. Langsam glitten meine Finger zu der Verriegelung, um die Tür erneut zu verschließen. Ich konnte jetzt nicht fliehen, dort draußen war etwas.

Ich hatte mich gerade wieder beruhigt, als plötzlich ein dumpfer Knall über mir zu hören war. Etwas war auf das Dach des Baumhauses gesprungen. Um nicht zu schreien, hielt ich mir erneut den Mund zu und krabbelte an die Wand, gegenüber von der Tür. Ich schaltete das Handy aus, damit man das Licht von außen nicht sehen konnte und legte es neben mir nieder. Schritte. Dort waren Schritte über mir zu hören, die geradewegs Richtung Tür verliefen. Ich war noch nicht bereit zu sterben. Noch nicht jetzt. Mein Körper zitterte und bei jedem einzelnen Laut, fühlte es sich so an, als wenn mein Herz aussetzen würde. Wieder ein dumpfer Knall. Das Ding war nun direkt vor der Tür. Das erste Mal, seitdem ich von meinen Eltern weggelaufen war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als wieder bei ihnen zu sein. Vielleicht hatten sie Recht gehabt. Und vielleicht war es doch garnicht so übel, ständig von ihnen beschützt zu werden. Ich konnte zwar nichts sehen, doch trotzdem waren meine Augen weit aufgerissen und schauten in die Richtung der Tür. Dort rüttelte etwas und versuchte sich Zugang zu verschaffen. Erneut. Doch wieso hatte es mich nicht schon im Schlaf getötet? Gefiel es ihm, mit mir zu spielen? Ein Klopfen hallte zu mir durch den Raum. Die Tränen stiegen mir in die Augen und die Schreie, die ich verschluckte, waren kaum mehr  zu unterdrücken. Wieder ein Klopfen. Erwartete es etwa von mir, dass ich ihm aufmachte? Ich bemerkte, wie ich leise vor mich her wimmerte und vergeblich versuchte meine Angst zu kontrollieren. Ich zog meine Knie an meine Brust und versteckte mein Gesicht, um leise und stotternd weinen zu können. Wieder Geräusche, doch diesmal entfernten sie sich von mir. War es etwa gerade vom Baumhaus gesprungen? Ich nahm seltsame Laute von draußen wahr. Doch nicht in meiner Nähe. Es hörte sich eher so an, als wenn die Laute von einem anderen Teil des Waldes kamen. Das war meine Chance. Ich musste hier weg. Schnell packte ich mein Handy in den Rucksack und schnallte diesen auf meinen Rücken. Ich holte tief Luft bevor ich die Verriegelung aufhob und die Tür zur Seite schob. Frische kühle Nachtluft kam mir entgegen und fuhr durch meinen ganzen Körper, sodass ich eine Gänsehaut bekam. Noch einmal vergewisserte ich mich, dass niemand in meiner Nähe war, bevor ich den Baum hinunter kletterte. Als ich den letzten Meter vor dem Boden hinunter gesprungen war, schaute ich in den Himmel um noch einmal die beruhigende Wirkung des Mondes zu spüren. Es war soweit. Nun ging es abermals um mein Leben. Ich orientierte mich an den weit entfernten Geräuschen und lief in die entgegengesetzte Richtung. Hauptsache weg von diesen Monstern.

Allmählich kam mir der Weg auf dem ich mich befand, wieder bekannt vor. Ich war nicht sicher, ob ich mich vielleicht doch nur irrte, dennoch setzte ich alles auf eine Karte. Es gab keine Zeit für große Überlegungen. Außerdem hatte ich ein seltsam ungutes Gefühl. Als ob mich etwas beobachten würde. Das ließ mich noch schneller rennen, selbst als ich so außer Atem war, dass ich hätte umfallen können. Ich redete mir ein, bloß nicht zur Seite, geschweige denn nach hinten zu schauen. Die Angst etwas Unerwartetes zu sehen, war viel zu groß. Die Zeit, in der ich rannte, kam mir vor wie eine Ewigkeit. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer wurde ich mir, dass ich mich auf den richtigen Weg befand. Dort vorne musste es sein. Ich konnte schon fast den Pfad erkennen, der mich in den Wald geführt hatte. "Ich habe es geschafft!", flüsterte ich und blieb kurz stehen um mich zu erholen. Ich war so erschöpft, dass ich schon Blut in meiner Kehle schmeckte und kaum mehr gerade stehen konnte. Mit einem Stöhnen, riss ich mich ein letztes Mal zusammen und sprintete erneut durch die kalte Nachtluft. Ich bog um die letzte Kurve mit der Erwartung meine Straße zu sehen, als ich abrupt anhielt. Ich hatte tatsächlich den Weg aus dem Wald gefunden und befand mich nun auf dem erhofften Pfad, direkt an meiner Straße. Doch dort vorne stand jemand. Dort, wo der Pfad am schmalsten war, konnte ich eine Silhouette erkennen, die unbewegt im Schatten eines großen Baumes stand. "Ein Mensch.", vermutete ich und ging ein paar Schritte auf die Gestalt zu.  Es gab auf dieser Seite nur diesen einen Weg aus dem Wald hinaus, deshalb beschloss ich an der Person vorbei zu gehen. Es war auf keinen Fall ein Blood Crystel. In Büchern und Dokumentationen wurden sie immer ganz anders dargestellt. Wer auch immer das sein mochte, ich hoffte inständig, dass er mich vorbei lassen würde. Nun trennten uns nur noch wenige Meter und das erste Mal dachte ich über die Installation von Straßenlaternen nach. Unser kleines Städtchen hatte diesen Luxus nicht. Wobei wir das Geld dafür hätten, doch da Nachts sowieso nichts los war, erschien diese Investition als überflüssig. Der Körperbau, wie auch die Haltung wies darauf hin, das dort ein Mann vor mir stand. Jedoch konnte ich weder Gesicht noch andere Merkmale erkennen. War er aus denselben Beweggründen um diese Zeit unterwegs, wie ich? Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun, doch was blieb mir den anderes übrig? Nichts schaffte es jetzt noch, mich in den Wald zurück zu drängen. Je näher ich dem seltsamen Mann kam, umso mehr löste sich meine Vermutung in Luft auf, dass es sich hierbei wirklich um einen Menschen handelte. Er sagte nichts. Er bewegte sich nicht. Er stand einfach nur da. Und wartete. Das Mondlicht schimmerte zart durch die Äste der Bäume und ermöglichte es mir zumindest ein wenig einzuschätzen, wer dort vor mir stand. Sein Gesicht verdeckte er mit einer Kapuze, während seine Arme leicht angespannt an den Seiten runterhingen. Gerade als ich an ihm vorbei gehen wollte, ertönte ein dunkles, beängstigendes Knurren aus dem Hals des jungen Mannes. Schockiert über die Erkenntnis, dass das kein normaler Mensch sein konnte schnellte ich ein paar Schritte zurück und bereitete mich darauf vor, wegzulaufen. Als er seinen Kopf hob, schien das Mondlicht zunächst auf seinen Mund. Er grinste und zog den rechten Mundwinkel besonders nach oben, sodass man die Spitze eines Zahnes erkennen konnte. Seine Gesichtszüge waren einerseits fein und zugleich sehr maskulin. Als ich nun sein ganzes Gesicht erkennen konnte, gefror mir das Blut in den Adern und ich hatte das Gefühl mich nicht mehr bewegen zu können. Eine eiskalt aussehende, kristallähnliche Iris in Verbindung mit einer beinahe tiefschwarzen Cornea blickten mir in die Seele. Solche angsteinflößenden Augen hatte ich in meinem gesamten Leben noch nicht gesehen. Von seiner rechten Stirnhälfte verlief über eines seiner Augen eine markante Narbe und fand über dem linken Wangenknochen ein Ende. Erschrocken über diesen unvorhergesehenen Anblick hielt ich beide Hände vor mein Gesicht und versuchte vergeblich, die Tränen zu unterdrücken. Das war mein Ende. Es gab keinen Zweifel. Vor mir stand ein Blood Crystel. 

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⏰ Last updated: Mar 22, 2014 ⏰

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