3.Kapitel

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"Steig sofort ins Auto, und spar dir dein Grinsen!", rief mir meine Mutter, Samira vorwurfsvoll entgegen und packte mich am Arm um mich hinter sich her zu ziehen. "Ich war krank vor Sorge, dein Vater war kurz davor die Polizei zu benachrichtigen. Immer wieder Yara. Immer wieder sagen wir dir, wie gefährlich es sein kann, wenn du alleine unterwegs bist. Aber das ist dir offensichtlich egal." Ich antwortete nicht. Was hätte ich auch schon sagen können? Immer die gleiche Leier. "Tut mir leid." oder "Kommt nicht wieder vor.", vielleicht auch mal zur Abwechslung " Ich versuche mich zu bessern, das verspreche ich.". Da ich meinen Eltern schon genug Sorgen bereitete, wollte ich nicht auch noch respektlos sein und ihnen meine Meinung sagen. Das würden sie sowieso nicht verstehen. Meine Mutter öffnete die Autotür und schubste mich auf die Rückbank. Mein Vater warf mir durch den Rückspiegel einen wütenden, enttäuschten Blick zu. Ein Kopfschütteln von ihm und ich wusste sofort was er dachte. "Was hast du nur wieder getan? Sag mal, schämst du dich garnicht, deinen Eltern solch großen Kummer zu bereiten? Ich bin zutiefst enttäuscht von deinem Verhalten." Ja, ich kannte diesen Blick nur zu genau. Und das wusste er, weshalb er es für sinnvoll erachtete nichts zu sagen und mich mit Schweigen zu bestrafen. Als meine Mutter sich wieder auf den Beifahrersitz gesetzt hatte, brachte mein Vater den Motor in Gang und trat auf das Gaspedal. Ich drückte meinen Kopf an die Fensterscheibe und schaute in den Himmel. Ich hoffte, dass diese Fahrt so schnell wie möglich ein Ende fand, denn ich hasste diese Stille. Ich spürte förmlich die Wut und Enttäuschung meiner Eltern und fühlte mich dadurch so unwohl wie schon lange nicht mehr. Wir fuhren an der Schule vorbei, durch die Innenstadt und am Rande eines Waldes entlang. Überall scheinbar zufriedene Gesichter. Glückliche unbeschwerte Menschen. Sie fühlten sich nicht gefangen. Eingesperrt. Wie ich.

Als wir zu Hause ankamen, stieg ich hastig aus dem Auto und rannte in mein Zimmer. Ich schloss die Tür und sank an ihr runter, auf den kalten Boden. "Das kann nicht ewig so weitergehen", flüsterte ich und zog meine Knie an mein Gesicht um sie mit den Armen zu umschließen. Nach einigen MInuten vibrierte mein Handy, das auf dem Schreibtisch lag und ich beschloss dranzugehen.

"YARA! Endlich gehst du mal dran. Ich versuche dich schon seit Stunden zu erreichen. Du warst während der Schulzeit auf einmal verschwunden. Hau raus! Was hast du angestellt?", rief mir mein bester Freund Luca am anderen Ende der Leitung aufgeregt entgegen. " Beruhig dich erstmal. Mir wurde das alles zuviel. Ich brauchte einfach mal ne Auszeit.", antwortete ich und fügte noch hinzu: "Bin jetzt aber wieder zu Hause, meine Eltern haben mich erwischt." Ich vernahm ein leises, dennoch hörbares Lachen am Hörer. "Luca, das ist nicht witzig." "Doch, das ist es. Wer kommt außer dir, auf solche Schnapsideen? Du hättest mal Frau Aden erleben müssen. Die war mal völlig von der Rolle, nachdem sie realisiert hat, dass du weg bist." Wieder ein Lachen, diesmal lauter. "Vor allem, weil sie bei jedem anderen Schüler einfach nichts gemacht hätte. Nur bei dir, weil du immerzu Schnapsideen hast." Ich konnte darüber garnicht lachen. Und das traurige daran war, dass es stimmte. Seitdem ich nicht mehr die fleißige, brave Bestschülerin meiner Lehrerin war, machte sie sich Sorgen um mich. Meine Eltern haben anfangs ihr die Schuld gegeben und sie unter Druck gesetzt, da ich immer nur während der Schulzeit abhaute. Doch was blieb mir anderes übrig, von zu Hause konnte ich nicht weglaufen, meine Eltern würden es sofort bemerken. Da sie mich überall persönlich hinbrachten und abholten, und immerzu ein Auge auf mich hatten, gab es nur noch die Schulzeit,  in der ich fliehen konnte. "Luca, ich halt das nicht mehr lange aus.", sagte ich mit ernstem Ton und betrachtete dabei mein Zimmer. Gitter vor meinen Fenstern und Bewegungsmelder an meiner Tür. "Hey Kleine, mach dir keinen Kopf. Wir schaffen das schon. Wenn du erstmal die Schule hinter dir hast und aus deinem Elternhaus raus bist, dann kannst du doch machen was du willst." Ich schüttelte lächelnd den Kopf und meinte: " Es sind nicht nur meine Eltern die mich einsperren, es ist das ganze hier." Sekundenlanges Schweigen. " Bitte fang nicht schon wieder damit an, Yara. Wir können nicht in der Nacht raus. Na und? Wen interessiert das? Du schläfst ein paar Stunden und dann ist alles wieder gut." Ich biss meine Zähne zusammen und ballte meine Hand zur Faust. Ich wusste, dass meine Eltern meine Anrufe abhörten, weshalb ich mich jetzt zusammenriss und einfach nichts sagte. " Ich meine, so schlecht haben wir es garnicht. Stell dir vor wir könnten nur in der Nacht raus und nie das Tageslicht sehen. Vitamin D-Mangel lässt grüßen!" Ich musste schmunzeln und konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. "Na siehst du. Schon lachst du wieder. Alles halb so schlimm. Was hälst du davon wenn ich morgen kurz bei dir vorbeischaue? Dann melde ich mich gleich schonmal bei deinen Eltern an." Ich zeichnete mit meinen Zeigefinger die eingeritzen Buchstaben auf meinem Schreibtisch nach und schaute ausdrucklos an die kahle Wand. "Geht klar. Bis dann", antwortete ich kühl und legte auf. Ich sah auf die Fläche meines Schreibtisches und erkannte das Wort "Kämpferin". Ich hatte es vor einigen Monaten dort eingeritzt, nachdem ich mich das erste Mal mit meinen Eltern gestritten hatte. Es sollte mir Mut für schlechte Tage geben. Als mein Vater das gesehen hat, ist er fast ausgerastet. Er meinte, wie man nur so dumm sein und das Mobiliar absichtlich verunstalten könne. Der Schreibtisch wäre doch so teuer gewesen und ich solle mich gefälligst schämen.  Ich sagte, dass es nur ein Stück Holz wäre und ob es ihm besser gefallen hätte, wenn ich es mir in die Haut geritzt hätte. Daraufhin sperrte er mich in mein Zimmer ein und sagte, ich solle über mein Fehlverhalten nachdenken.

Blood CrystalsWhere stories live. Discover now