[ FIVE ] | 29.01.2014

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"I'm lost without you"

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Zum fünften Mal besuche ich meinen Freund im Krankenhaus und zum fünften Mal fällt es mir schwer, sein Zimmer zu betreten.

Auf seinem Bett sitzt eine kleine, zierliche Gestalt, seine kleine Schwester. Leise, um sie nicht zu stören, ziehe ich die Tür hinter ihr zu und gehe zu ihr.

Sie besitzt die gleichen schwarzen Haare wie er, die sie zu zwei kleinen Zöpfen geflochten hat. Außerdem trägt sie das Kleid, welches mein Freund ihr letztes Jahr zum Geburtstag schenkte.

Hannah sitzt neben ihrem großen Bruder, mit der linken Hand hält sie seine Hand, in der rechten Hand hält sie einen roten Stift, mit dem sie etwas auf ein Papier malt, das auf seinen Beinen liegt.

"Hallo", sage ich leise, um sie nicht zu erschrecken.

Sie hebt ihren Kopf und starrt mich mit den gleichen blauen Augen an, wie die, die der Person gehören, die ich liebe.

"Hallo Jules", erwidert sie, wendet den Blick von mir ab und schreibt weiter auf ihrem Papier.

Ich gehe auf die andere Seite des Krankenbettes, setze mich ebenfalls auf die Matraze und nehme die andere Hand von meinem Freund.

Seine Haut ist noch immer rau, aber die blauen Flecken verschwinden langsam. Die letzten, sichtbaren Überbleibsel, bis auf seine geschlossene Augen, von der Nacht.

Ich beiße mir auf meine Lippe und merke, wie mein Herz schneller zu klopfen beginnt. Am liebsten würde ich mich jetzt neben ihn kuscheln, seine Haare an meiner Wange spüren und einfach nur seine Nähe fühlen.

Trotzdem reiße ich mich zusammen und starre zu seiner Schwester, die noch immer auf dem Blatt malt. So viel ich erkennen kann, malt sie vier Personen, eine Kleine und drei Große.

Sie beißt sich auf ihre Zunge, als sie ihr Werk betrachtet, es zufrieden zusammenfaltet und unter die Hand von Caulder schiebt, die sie hält.

Ich presse meine Zähne aufeinander und unterdrücke den Zwang, sie zu fragen, was sie auf das Bild malt, da ich jetzt weiß, dass es nur für ihn ist.

Es wäre also nichts anderes, als wenn sie fragen würde, was ich ihm erzähle.

"Glaubst du, er wird sterben?"

Sie dreht sich zu mir, in ihren Augen sehe ich Tränen schimmern, ihre Unterlippe bebt leicht.

Unsicher überlege ich, wie ich meine Antwort formulieren soll. Ich weiß, dass er kämpft, dass er zurück ins Leben will. Ich weiß, dass er noch nicht aufgegeben hat, ansonsten würden wir nicht neben ihm sitzen und seine Hand halten.

Trotzdem weiß ich nicht, ob er wirklich überleben wird.

"Ich weiß es nicht", sage ich leise.

Ich wende meinen Blick ab und stsrre auf seine Platzwunde über der linken Augenbraue, welche inzwischen langsam wieder verheilt. Neben mir höre ich sie leise aufschluchzen.

"Ich will nicht dass er stirbt", flüstert sie, "er ist mein Bruder."

Sie legt ihren Kopf auf seine Brust und schluchzt weiter. Ihr zierlicher Körper bebt bei jedem Atemzug, den sie nimmt, ich spüre, wie eine Träne aus meinem Augenwinkel kullert.

Er nahm es sich zur Aufgabe, immer für seine kleinen Schwester da zu sein und ihr bei allem zu helfen. Ich bin mir sicher, dass er in diesem Moment alles liegen und stehen lassen würde, nur um ihr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

"Mama sagt immer, dass ich nicht zu viel hoffen darf", murmelt sie kaum hörbar.

Ich nehme mitfühlend ihre Hand und presse sie leicht, sodass sie weiß, dass ich für sie da bin, wenn es ihr Bruder nicht sein kann.

"Er kämpft, siehst du nicht?", frage ich sie leise und hoffe, sie durch meine Worte irgendwie beruhigen zu können, "er wird nicht aufgeben, ich verspreche es dir, Hannah.

Dein Bruder wird so lange kämpfen, bis er seine Augen öffnet und dich wieder sehen kann. Weil ich weiß, dass er dich noch einmal zum Lachen bringen möchte."

Sie dreht ihr Gesicht zu mir und starrt mich an. Ihre Haare sind leicht zerzaust, ihre Augen rot angeschwollen. Und trotzdem sind seine Augen nach wie vor geschlossen.

"Ich glaube, dass er viel mehr darum kämpft, dich wieder zu sehen", sagt sie leise, "als es passiert ist, hat er nur deinen Namen geflüstert, bis er eingeschlafen ist."

Ich starre sie an, unfähig etwas zu sagen.

Mein Herz pocht schneller als zuvor, meine Hände werden nass.

Er hat an mich gedacht, bevor er ins Koma fiel. Er hat meinen Namen vor sich hin gesagt, bevor er seine Augen schloss.

Ich starre ihn an, seine geschlossenen Augen, seine aufgeplatzten Lippen, seine schwarzen Haare, seine kantigen Wangen.

Zitternd strecke ich meine Hand aus, um ihn über die Wange zu streichen. Seine kleine Schwester folgt meiner Bewegung.

Meine Finger berühren nur sanft seine Haut und trotzdem ist es für mich ein Impuls, die Tränenblockade zu lösen. Stumm rollen die Tränen über meine Wange.

Ich kann mir nicht vorstellen, was Hannah durchgemacht hat, was er gerade durchmacht. Ich weiß nur, wie schlimm es ist, zu hoffen.

"Ich liebe dich", flüstere ich leise, bevor ich meine Augen zusammenpresse und mich den Tränen hingebe.

Mir ist es in dem Moment egal, dass mich seine Schwester beim Weinen sieht. Ich möchte nur noch einmal meinen Namen aus seinem Mund hören.

Aber das geht nur, wenn er bleibt.

Wenn du bleibstWhere stories live. Discover now