[ SEVEN ] | 08.02.2014

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You're my friend, my lover, my one and only, forever


〰️💫〰️

In den folgenden Tagen, nachdem sein Finger zuckte, durfte ich nicht zu ihm. Die Ärzte führten verschiedene Tests durch, welche aber kein genaues Ergebnis hervorbrachten und warteten auf ein weiteres Zeichen von ihm.

Vergeblich.

Ich saß jeden Nachmittag im Wartezimmer, trank mindestens fünf von diesen pyramidenförmigen Trinkbechern aus und hoffte, dass man es mir endlich erlauben würde, zu ihm zu gehen.

Erst am achten Tag, nachdem ich mir die neue Vogue zum dritten Mal durchlas, kam eine der Krankenschwestern und holte mich, um micht zu meinem Freund zu bringen.

Und jetzt, jetzt sitze ich vor ihm und warte ebenfalls auf ein Zeichen. Auf ein Zucken. Eine klitzekleine Bewegung. Irgendetwas, das mir zeigt, dass er noch lebt.

Sein blauer Fleck ist inzwischen verschwunden und auch seine Platzwunde über dem Auge ist fast verheilt. Selbst seine sonst so spröde Lippe sieht wieder halbwegs gesund aus und nicht mehr so blutig wie bei meinem letzten Besuch.

Vorsichtig, um wirklich nichts falsch zu machen und womöglich den Genesungsprozess von meinem Freund durcheinander zu bringen, streiche ich über seinen Handrücken und präge mir jedes einzelne Detail seiner Haut ein.

Sie ist rau, an manchen Stellen jedoch auch ein kleines bisschen weich. Gerade perfekt. So wie die Haut, die mich einmal vor einem betrunkenen Typen beschützt hat und  ihn eine verpasst hat, weil er mich angrapschen wollte.

Sein kantiges Gesicht gleicht sich langsam den weißen Kissenbezug unter sich an, auf seinem Kinn wächst langsam der Bart, den er hasste. Ich finde, ihm stehen die Stoppel, er aber, er findet, er sieht damit aus, wie ein Holzfäller.

Und ja, ich benutze extra das Präsens, weil ich nach wie vor hoffe, dass er nach wie vor am Leben ist. Erst dann, wenn er in einem Holzkasten tief unter der Erde liegt, werde ich die Vergangenheit benutzen.

Trotzdem hoffe ich, dass ich nie das Präteritum benutzen muss.

"Hey", flüstere ich leise. Caulders Haare stehen wirr vom Kopf an, lächelnd fahre ich mit meinen Fingern durch die einzelne Strähnen. Sie sind weich wie auch am Abend vor der Nacht.

So wie immer.

So wie in dem Augenblick, als er mich das letzte Mal küsste und mit seiner Schwester meine Ausfahrt verließ.

Mein Herz beginnt zu klopfen, als ich daran denke, wie ich auf den vereisten Pflastersteinen stand und meinem Freund sagte, dass er vorsichtig nach Hause fahren sollte.

Mach dir keine Sorgen, Jules, sagte er, ich schreib dir, wenn ich zu Hause angekommen bin.

Nur dass er mir nie geschrieben hat. Das Einzige was ich bekam, war ein Anruf von seiner Mutter, die mir berichtete, was geschehen war.

Ich nehme seine Hand und halte sie fest in meiner. Tränen strömen aus meinen Augen, als ich daran denke, wie ich zu zittern anfing, als mir seine Mutter erzählte, dass mein Freund einen Unfall hatte und jetzt im Koma liegt.

Mein Körper bebt immer mehr, ich presse meine Lippen aufeinander und weine stumm vor mich hin. Ich bin unfähig etwas zu sagen, mein Herz pocht wie verrückt und auch meine Finger zittern wieder.

In meinem Brustkorb entsteht ein Knoten, der immer größer zu werden scheint. Ich spüre förmlich, wie das harte Seil immer dicker wird und gegen meine Rippenknochen drückt. Meine Lungen lechzen nach Luft und  trotzdem schaffe ich es nicht, tief genug ein- und auszuatmen.

Meine Lippen beginnen zu beben, bis mir schließlich ein lautes Schluchzen entweicht.

Ich sehne mich so sehr nach meinem Freund, wie noch nie.

Ich vermisse seine raue Stimme, seine warmen Hände, sein ruhiges Lachen, sein Geruch und einfach alle Eigenschaften von ihm, die ich mit den guten Momenten verbinde.

Aber halt, auch die schlechten Momente verbinde ich jetzt auf einmal mit einem guten Gefühl. Weil er dort am Leben war.

"Ich brauche ich", schluchze ich, lege meine Stirn auf seinen Unterarm und weine noch mehr Tränen als zuvor schon, "ich kann nicht mehr ohne dich."

Wenn er jetzt neben mir auf dem Stuhl sitzen würde, würde er mich vielleicht umarmen und flüstern, dass alles gut werden wird. Dass wir es zusammen schaffen können.

"Bitte komm zurück", heule ich, während ich seine Hand immer fester umklammere, als wäre sie der letzte Anker, um nicht im Atlantik zu ertrinken.

Der Schmerz, welcher sich in meinem Brustkorb aufbraut, droht mein Herz zu zerreisen. Und mit ihm die vielen Erinnerungen an meinen Freund.

"Bitte bleib", schniefe ich und versuche, mich an seinen Kuss zu klammern, an die letzten Berührungen von ihm, bevor er mich, nein, bevor ich ihn losließ.

"Du kannst alles machen, alles was du willst. Wenn du bleibst."

Wenn du bleibstWhere stories live. Discover now