EPILOG

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Ich sprinte durch den langen, weißen Gang. Ignoriere die Krankenschwester, die mich grüßt. Ignriere die Patienten, die mich anlächeln.

Ich fliege über den Gummiboden, denke kein einziges Mal an die grellen, weißen Lampen, die den Krankenhausflur beleuchten.

In meinem Kopf hallen immer wieder Macys Worte nach.

Er ist wach.

Er ist wach.

Ich biege links ab, sehe schon das Fenster, vor dem ich so oft gestanden bin. Sehe die großen Bäume und die verschneite Landschaft.

Er ist wach.

Meine Lunge schreit nach Luft, meine Beine zittern. Draußen dämmert es erst langsam, ich musste warten, bis meine Mutter von der Nachtschicht nach Hause kam, um sofort zu meinem Freund zu fahren.

Auf dem ganzen Weg bis hierher, bis zum Zimmer 8.09, musste ich zittern. Meine Hände zitterten, meine Knie zitterten. Mein Gehirn war wie benebelt.

Ich konnte nicht realisieren, dass er wirklich wach ist. Es fühlt sich unwirklich an, wie ein Traum. Ein Traum, der sich zu einem Albtraum entwickeln könnte.

Ich nahm zwei Autos die Vorfahrt, fuhr über dutzende rote Ampeln, ignorierte die Geschwindigkeitsbegrenzung. Ich atmete erst tief durch, als ich auf dem Parkplatz stand.

Während der ganzen Fahrt hierher war mein Körper angespannt, ich überlegte fieberhaft, was ich zu Caulder sagen soll, wenn ich ihm gegenübertrete.

Nichts, kein Wort und kein Satz, fühlte sich richtig an. Ich sprach so lange zu meinem Freund und jetzt habe ich nicht die richtigen Worte. Jetzt, da er sie wirklich hören kann. Mich sieht. Ich ihn sehen kann.

Ich bleibe atemlos vor seiner Tür stehen. Kneife mich zum dreizehnten Mal in meinen Arm, um mich wirklich zu versichern, dass dies kein verdammter Traum ist. Ich trage noch immer seine Pullover, noch immer meine Schlafshorts und auch meine Haare habe ich noch nicht gekämmt.

Nach Macys Anruf rannte ich die ganze Zeit auf und ab in meinem Zimmer. Ich wusste nicht, ob ich vor Freude lachen oder weinen sollte. Mein Herz pochte so schnell, dass ich mir sicher war, dass es nicht mehr gesund war.

Ich versuchte etwas zu essen, doch mir wurde beim Anblick des Müslis, welches ich mir zubereitet hätte, übel.

Ich wollte mir einen Film ansehen, schaltete aber nach zehn Minuten wieder aus, weil ich mich sowieso nicht auf die Handlung konzentrieren konnte.

Irgendwann wachte mein Dad auf und setzte sich zu mir. Gemeinsam warteten wir auf meine Mutter, der ich sofort den Schlüssel aus der Hand riss und zum Auto raste.

Dad erklärte ihr derweil, was passiert war.

Und jetzt traue ich mich nicht, in das Zimmer zu gehen. Ich weiß, dass mein Freund in diesem Zimmer liegt. Mit hoffentlich geöffneten Augen.

Mein Herz pocht unkontrolliert, ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen. Wieder wische ich meine zitternden Händen an seinem Pullover ab.

Ich halte die Luft an und hebe meine Hand. Meine Knöchel berühren leicht das kalte Holz der Tür, ein dumpfer Ton ertönt.

Ich verkrampfe mich, grabe meine Fingernägel in meine Handinnenflächen. Beiße mir auf meine Unterlippe und presse meine Augen fest zusammen. Hoffe, dass ich nicht gleich wieder aufwache.

Ich atme tief ein und aus, starre zur Decke und konzentriere mich auf das Summen der Lampen über mir. Die schlurfenden Schritte der Pfleger.

Und dann öffnet sich die Tür.

Vor mir steht Macy, ihre Augen sind rot, als sie mich sieht, lächelt sie.

"Mein Gott, Jules", flüstert sie und umarmt mich stürmisch. Ich vergrabe mein Gesicht in ihren Haaren. Meine Hände zittern, mein Herz pocht.

Sie schluchzt leise auf, während ich ihr über den Rücken streichle. Für mich als Freundin von Caulder war der letzte Monat verdammt schwer. Wie es für Macy als Mutter war, kann ich mir nicht vorstellen.

Ich rieche ihren Duft, sie riecht ein kleines bisschen nach Caulder. Sie drückt mich noch einmal fest, bevor sie mich loslässt und mich anlächelt.

Ihre Augen sind noch immer feucht und trotzdem sieht sie verdammt glücklich aus.

"Ich lasse euch beide lieber alleine", flüstert sie, drückt mich noch einmal fest und schiebt mich in den Raum, im die Tür hinter ihr zu schließen.

Noch sehe ich nur die Beine meines Freundes. Ich halte die Luft an, während ich mit steifen Füßen zu dem Bettgestell hingehe.

Meine Hände zittern, mein Gehirn ist leer. Ich würde am liebsten laut schreien, weinen und lachen. Meine Gefühle sind ein einziges Durcheinander.

Ich sehe seine blasse Hand. Die vielen Schläuche. Die Infusionsflasche. Die vielen Geräte, die inzwischen ausgeschaltet wurden.

Ich atme tief durch, bevor ich mich über ihn beuge. Strahlende Augen blicken mich regungslos an.

Ich keuche auf, bevor ich seine Hand fest umklammere. Seine Augen durchbohren mich und für einen Moment steht die Zeit still.

"Caulder", flüstere ich, fassungslos vor Freude. Ich stehe vor meinem lebendigen Freund, starre in sei lebendigen Augen.

Mein Herz pocht schnell, mein Gehirn ist überfordert.

Bis sich sein Gesicht zu dem Lächeln verzieht, in das ich mich verliebt habe.

Wenn du bleibstWhere stories live. Discover now