|1| Das Erbe

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Eigentlich hätte ich große Lust gehabt, mich umzudrehen und einfach wegzulaufen, nie wieder hierher zu kommen

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Eigentlich hätte ich große Lust gehabt, mich umzudrehen und einfach wegzulaufen, nie wieder hierher zu kommen. Aber so funktionierte das leider nicht.
Ich sah die ausladende, weiße Fassade des Gebäudes hoch, das vor mir in den Himmel ragte, und wusste jetzt schon, was dabei auf mich zukam: Eine Menge Arbeit. Um ehrlich zu sein, hatte ich es nicht haben wollen. Was sollte ich auch mit einem großen Haus mitten in Berlin, wo ich doch zum einen arm wie eine Kirchenmaus war - womit ich es mir nicht leisten konnte, jemanden anzustellen, der sich darum kümmerte - und zum anderen nicht einmal in Deutschland lebte? Dennoch konnte ich mich nicht dem Testament meiner Großmutter verweigern, die es sich wohl nicht nehmen ließ, mir ihr Haus, das man vielmehr als Villa bezeichnen musste, zu vermachen.

Warum, war mir immer noch ein Rätsel. Ehrlich gesagt, hatte ich in den letzten Jahren kaum etwas mit ihr zu tun gehabt. Vor allem seit ich nach Italien gezogen war, schien uns mehr zu trennen als bloß die räumliche Entfernung. Und nun stand ich vor diesem beängstigend großen, altmodischen Gebäude mit dem wuchtigen Erker zur linken Seite, der auf eine angenehme Art mit der sonst herrschenden Symmetrie brach, und begann jetzt schon zu bezweifeln, dass ich das Richtige tat. 

Bereits als ich die von Blumen flankierten Stufen hochstieg, die massive, kunstvoll gearbeitete Eingangstür aufschloss und dann die ersten Schritte ins Innere wagte, sah ich mich in meiner Annahme bestätigt. Die Zeichen der Vernachlässigung waren kaum zu übersehen, denn mittlerweile war hier alles von einer dicken Staubschicht bedeckt. Zusammen mit der eher altmodischen, dunklen Einrichtung verlieh es dem Haus fast etwas Gespenstisches, wäre es nicht durch die großen Fenster von hellem Sonnenlicht durchflutet worden, in dem die einzelnen Staubpartikel tanzten.
Der Eingangsbereich wirkte nicht mehr einladend und warm, so wie ich ihn im Gedächtnis hatte, sondern kalt und düster. Mir war noch lebhaft in Erinnerung, wie es hier früher ausgesehen hatte: Die hellen mit goldenem Stuck verzierten Wände hatten im Licht des kleinen, zierlichen Kronleuchters in derselben Farbe warm geleuchtet, während der schwarz-weiße Marmorboden, der mich als Kind so begeistert hatte, meine Schritte auf eine ganz bestimmte Art durch den Raum hatte hallen lassen. Damals, als ich noch klein war, hatte ich dieses Haus als meinen Palast empfunden.

Die Erinnerungen, die mich überkamen, zurückdrängend, durchquerte ich das Haus, um mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Links gelangte man direkt ins Wohnzimmer, in dem ich nicht wie damals von frischen Blumen begrüßt wurde, sondern von weiteren Schichten Staub überall an dem dunklen Mobiliar, das einen schönen Kontrast zu den hellen Farben der Wände und des Bodens bildete, und dem Licht, das durch die großen Fenster fiel, etwas Intensität raubte. Das Esszimmer, in das der Raum fast nahtlos, bloß durch einen großen Holzrahmen getrennt, anschloss, und die dahinter liegende Küche befanden sich im selben Zustand.
Erneut durchquerte ich den Eingangsbereich, diesmal führte mich mein Weg zu den rechts gelegenen Räumen, die neben Garderobe, als Salon oder ähnliches gedient hatten, sogar ein Musikzimmer mit Blick auf den Garten und eine Bibliothek befanden sich hier. Ich erkundete jeden davon, um mir eine bessere Vorstellung von der Arbeit, die mir bevorstand, verschaffen zu können. Bei der Menge an Büchern, die sich in den hohen Regalen stapelten, stockte mir für einige Augenblicke der Atem.

Blut und TinteWhere stories live. Discover now