Kapitel 7

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Die Rückfahrt war gestern erstaunlicherweise ohne einen weiteren Streit vorübergegangen. Allgemein waren gestern Abend und heute auf dem Weg zur Schule und zurück gar keine bösen Bemerkungen von Dylan gekommen, sondern er hatte mir nur die kalte Schulter gezeigt und mich überwiegend ignoriert, womit ich jedoch deutlich besser klarkam. Ich konnte mir zwar nicht genau erklären, woran das lag, aber ich freute mich tatsächlich etwas über diese Entwicklung.


Gedankenverloren blickte ich aus meinem Fenster, als ich hörte, wie die Haustür unten mit Schwung aufgeschlagen wurde. »Mom! Dad!«, hörte ich Dylan von unten schreien. Er wusste anscheinend nicht, dass die beiden noch auf der Arbeit waren, aber da er nicht nach mir rief, hielt ich es nicht für nötig, ihm zu antworten.


»Verdammt, ist irgendjemand hier?!«, rief Dylan erneut. In seiner Stimme schwang dabei ein panischer Unterton mit, was mich stutzig werden ließ. Deshalb lief ich doch nach unten, um zu gucken, was los war.


Was ich dort sah, verschlug mir den Atem. Dylan stand dort, mit Berry im Arm. Sie war voller Blut und winselte leicht, während eines ihrer Beine in einem komischen Winkel seitlich von ihrem Körper abstand.


»Scheiße«, entfuhr es mir bestürzt.


Dylan drehte sich daraufhin zu mir um und ich konnte förmlich sehen, wie all seine Hoffnung aus seinem Gesicht entwich.


»Bist nur du hier?«, fragte er mich, wobei seine Stimme so kalt klang, dass ich eine Gänsehaut bekam.


Ich nickte. Dann begann ich langsam wieder aus meiner Schockstarre zu erwachen und Panik kroch in mir hoch.


»Wir müssen sofort zum Tierarzt!«


»Ach nee, ich wäre jetzt erst mal zu McDonald's gefahren«, entgegnete Dylan augenverdrehend. Offensichtlich hatte er seine unangebrachte, sarkastische Art doch nicht verloren. Dieses Mal ging ich jedoch nicht auf seinen blöden Kommentar ein, sondern überhörte ihn einfach. Hier ging es schließlich nicht um Dylan und mich, sondern um Berry.


»Gib mir den Hund, dann kannst du deinen Autoschlüssel, Geld und ihre Papiere holen. Ich gehe schon einmal vor«, forderte ich Dylan auf und hoffte inständig, dass er ausnahmsweise mal auf mich hörte. Wenigstens dieses eine Mal.


Und tatsächlich tat er es. Er übergab mir Berry, die eindeutig schwerer als gedacht war und lief los, während ich mich auf den Weg zum Auto machte. Auf Socken - aber um Schuhe anzuziehen hatte ich jetzt weder Zeit noch freie Hände. Es schien fast so, als wäre Dylan erleichtert, dass ich ihm Anweisungen gab, denn er war eindeutig überfordert mit der Situation. Als ich gerade am Auto angekommen war, kam Dylan auch schon hinterher gejoggt. Er öffnete mir die Tür, sodass ich mit dem Hund einsteigen konnte. Dann brauste er los.


»Was ist passiert?«, fragte ich nach einiger Zeit vorsichtig, während ich beruhigend Berrys Kopf streichelte. Sie sah echt schlimm aus, aber ich war mir sicher, dass der Tierarzt ihr helfen konnte.


Ich erhielt jedoch keine Antwort auf meine Frage und beschloss deshalb, meine Gesprächsversuche einfach einzustellen. Dylan war wahrscheinlich nervlich eh schon am Ende, da sollte ich ihn nicht zusätzlich strapazieren. Doch nach einiger Zeit räusperte sich Dylan.


»Ich war mit ihr joggen und so ein idiotisches Arschloch hat sie angefahren und dann Fahrerflucht begangen. Wenn ich den in die Finger kriege ...« Wütend schlug er mit der Faust auf das Lenkrad. Die Situation nahm ihn deutlich mehr mit, als ich gedacht hätte.


Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte, deshalb blieb ich still und streichelte weiterhin vorsichtig Berrys Kopf. Wie konnte ein Mensch nur so eiskalt und abgebrüht sein und nach so einem Unfall einfach Fahrerflucht begehen? Ich verstand das nicht.


Schließlich kamen wir bei der Tierarztpraxis an. Dieses Mal nahm Dylan Berry auf den Arm


»Soll ich mitkommen?«, fragte ich ihn. Ich war mir sicher ein Nein als Antwort zu bekommen, doch erstaunlicherweise nickte Dylan.


Also hielt ich ihm sämtliche Türen auf, bis wir endlich drinnen waren. Dort nahm der Tierarzt Berry sofort mit in den OP-Saal, während Dylan und ich uns ins Wartezimmer setzten und dort angespannt abwarteten. Mein Gastbruder saß mit hängenden Schultern neben mir und schaute ins Leere - er machte sich wirklich Sorgen um seinen Hund. In diesem Moment tat er mir echt leid und ich würde gerne etwas zu ihm sagen, um ihn zu beruhigen, wenn ich nur wüsste was.


»Das wird schon wieder. Die Tierärzte sind heutzutage echt gut, die kriegen Berry schon wieder zusammengeflickt«, brach ich dann das Schweigen und versuchte Dylan ein aufmunterndes Lächeln zuzuwerfen.


Dylan hob seinen Kopf und funkelte mich böse an.


»Und was, wenn nicht?«, fuhr er mich an. »Sei bitte einfach ruhig, ich kann jetzt nicht auch noch dein nerviges Gelaber ertragen.«


Ich spürte wie sich mein Brustraum schmerzhaft zusammenzog - seine Worte trafen mich stärker, als ich es zugeben wollte. Auch wenn Dylan gerade emotional aufgewühlt war, hatte er kein Recht, so mit mir zu sprechen.


»Und ich kann es nicht ertragen, dass du dich durchgehend wie ein Arschloch mir gegenüber verhältst! Ich blamiere mich hier, indem ich nur auf Socken durch die Gegend laufe, um dir zu helfen und das ist der Dank. Ganz ehrlich, du kannst mich mal!«


Wütend stand ich auf und verließ das Wartezimmer, ohne mich nochmal umzudrehen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich jetzt hingehen sollte, also lief ich nach draußen, ich brauchte jetzt etwas frische Luft und vor allem Abstand von Dylan. Dieser Junge raubte mir noch den letzten Nerv. Seine täglichen Beleidigungen, mich einfach beim Supermarkt stehen zu lassen und jetzt auch noch das hier - das war einfach zu viel für mich. Ich war mir echt nicht sicher, wie lange ich das noch so weiterhin ertragen könnte.


Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, ging ich zurück nach drinnen und bekam mit, wie Berry gerade entlassen wurde. Ihre Verletzungen waren nicht so schlimm, wie gedacht und wir durften sie sogar wieder mit nach Hause nehmen, obwohl sie noch leicht unter Narkose stand. Deshalb sollten wir sie auch die nächsten zwölf Stunden beobachten. Also fuhren wir wieder zurück, im Auto herrschte dabei die ganze Fahrt über eiskaltes Schweigen.


Zu Hause angekommen, hielt ich Dylan und Berry wieder die Türen auf, jedoch ohne Dylan auch nur das kleinste bisschen Beachtung zu schenken. Wahrscheinlich bemerkte er aber noch nicht mal, dass ich wütend auf ihn war.


Im Flur trafen wir auf Kate, die mittlerweile wieder von der Arbeit zurück war und Dylan erklärte ihr, was vorgefallen war und was der Tierarzt gesagt hatte.


»Dylan, du kannst aber nicht die ganze Nacht auf sie aufpassen, du schreibst morgen deine Matheklausur. Vielleicht hättet ihr sie doch beim Tierarzt lassen sollen«, warf Kate ihm vor.


Ich merkte, wie Dylan sich daraufhin anspannte. »Mathe ist mir scheißegal, ich kümmere mich um meinen Hund!«, knurrte er.


In der Ahnung, dass die Situation gleich wieder eskalieren würde, trat ich ein paar Schritte zurück.


»Ich weiß, wie wichtig dir Berry ist, ich kann ja sonst auch auf sie aufpassen«, versuchte Kate ihn etwas zu beschwichtigen.


Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, aber ich wusste, dass Kate morgen früh zur Arbeit musste und bestimmt noch viele Sachen für den Fall in New York vorbereiten musste, deshalb sagte ich: »Ich kann auch auf Berry aufpassen, ich habe morgen erst zur fünften Stunde, weil mehrere meiner Lehrer auf Fortbildung sind und schreibe auch keine Arbeit.«


Die Blicke der beiden landeten überrascht auf mir - anscheinend hatten sie ganz vergessen, dass ich auch noch im Raum war.


»Das würdest du machen? Vielen Dank!« Kate schien total erleichtert über meinen Vorschlag zu sein, doch Dylan sah mich nur skeptisch an. Wahrscheinlich zweifelte er daran, dass ich durchhalten würde. Aber ich würde es diesem arroganten Kotzbrocken schon beweisen!


Schließlich nickte auch Dylan und damit war die Sache besiegelt. Bevor er die Küche verließ, rempelte er mich jedoch noch an der Schulter an. »Wehe, du schläfst ein«, raunte er mir dabei ins Ohr, dann verließ er die Küche.




The American Mistake (LESEPROBE!!!)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt