Kapitel 27 - Sam

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Wie ich bereits sagte ist Mut eine zwielichtige Charaktereigenschaft. Zu dumm, dass ich das erst gemerkt habe als es schon zu spät war. Dies ist eines der weniger schönen Ereignisse meines Lebens, denn ab hier passierten Dinge, die anders hätten kommen sollen, die mein Leben veränderten. Dinge in meinem Leben, auf die ich liebend gerne verzichtet hätte. Aber ich will noch nicht zu viel verraten.

Seit Wochen war die ganze Stadt schon mit bunten Kränzen und glitzernden Schweifen dekoriert. In Schaufenstern flogen kleine Menschenfiguren mit Flügeln herum und überall waren kleine Miniaturhäuser mit winzigen Spielzeugmännchen aufgestellt.

Verwundert betrachteten wir Hunde immer die seltsamen Dekorationen in den Schaufenstern, wenn wir daran vorbei kamen. Ich verstehe bis heute nicht, was ein kleines Kind in einer Heukrippe für Nutztiere zu suchen hat, aber der Fantasie der Menschen sind auch hier keine Grenzen gesetzt. In letzter Zeit spielte man überall das Lied ‚Feliz Navidad' und alle waren fröhlich gestimmt. Nur ich lag krank in unserem Haus und mir war abwechselnd heiß und kalt. Dass ich an diesem Tag zuerst in einem brennenden Haus, dann von Regengüssen durchgespült worden war und dann neben Stella auf dem kalten Boden geschlafen hatte war definitiv zu viel für mich gewesen.

Jedoch erwies es sich weiterhin als Problem an Futter zu kommen. Ich zwang mich zurück auf die Pfoten um mit den anderen zu Tomtoms Hof zu gehen und ein paar Hühner zu holen. Egal wie krank ich auch war, ich würde die anderen nicht einfach im Stich lassen. Ich konnte es mir nie verzeihen, falls ihnen jetzt auch noch etwas passierte. Nicht heute. Am besten überhaupt nicht, aber heute noch weniger. Ich hätte mein Leben dafür gegeben, dass sie weiterleben konnten.

Es war bereits spät am Abend als wir in Richtung Tomtoms Hof aufbrachen. Es herrschte eisige Stille unter uns, seit Juan nicht mehr bei uns war. Während ich hinter den anderen her humpelte ließ ich mir die letzten Worte von Juan durch den Kopf gehen.

„Mut, Pah! Dass ich nicht lache! Du würdest wahren Mut nicht einmal erkennen, wenn man ihn dir auf einem Silbertablett serviert. Das einzige, was du wirklich bist ist dumm und naiv! Naiv, weil du geglaubt hast, dass ich das mit dem mutig sein ernst gemeint habe und dumm, weil du dich immer als besonders mutig beweisen willst. Du bist kein Held, Sam, du bist noch nicht einmal eines ehrenhaften Todes würdig!"

Hatte er das wirklich ernst gemeint? Hielt er mich wirklich für so dumm? Hatte er mir die ganze Zeit etwas vorgemacht? Meine Trauer darüber hielt sich in Grenzen. Es war mir zwar schon selbst aufgefallen, dass ich meinen Mut nur vortäuschte, doch es schmerzte schon sehr, wenn man es von seinem eigenen Bruder hörte. Er hielt mich nicht für mutig. Aber wenn ich nicht mutig war, was war ich dann?

„Stella, ich bin nicht wirklich mutig, oder?", fragte ich meine Schwester und hinkte langsam zu ihr nach vorne. Sie wartete kurz auf mich und sah mich dabei total verwirrt an.

„Welches Rattenhirn hat denn das behauptet?", fragte sie und ringelte ihren Schwanz wieder auf, der vom Regen schwer und durch das Gewicht nach unten gezogen worden war.

„Juan."

Sie sah nachdenklich aus, doch als sie mich ansah war in ihrem Blick wieder die gleiche Wärme wie zuvor.

„Sam, du bist ein Held! Du hast einer geliebten Person das Leben gerettet, ohne auch nur einmal daran zu denken, dass auch du hättest sterben können. Dann das gleiche nochmal, als du Juan aus dem Haus holen wolltest, obwohl du wusstest, was dich da drin erwartet. Das ist Mut!"

Ich sah meine Schwester erstaunt an. „Meinst du wirklich?"

„Hundertpro! Ich meine, schau dich doch mal an. Schon alleine was du jetzt tust ist unglaublich mutig. Du kommst mit, ohne dass du wegen dem blöden Fieber herum jammerst. Und das nur, weil du nicht willst, dass uns etwas passiert."

Courageous Sam - Die Memoiren eines StreunersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt