Prolog

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Leise prasselt der Regen gegen die Fensterscheibe. Ich öffne die Augen. Seit Stunden liege ich nun hier. Vielleicht bin ich aufgeregt... Nein. Ich habe nichts zu befürchten. Ich werde es nicht. Mein Blick fällt aus dem Fenster. Der Himmel ist wolkenbedeckt, kein Sternenlicht schafft es durch diese Wand die uns hier vom Rest abtrennt. Ja, oft stelle ich mir vor, dass die Wolken einfach eine Mauer sind, damit wir nicht abhauen können. Um hier auf der Erde zu bleiben.

Als Warnung.
Von der anderen Seite des Raumes höre ich ein Seufzen, das meinem kleinen Bruder gehört. Er ist erst sieben. Vorsichtig stehe ich auf und obwohl mir kalt ist, gehe ich nach draussen. Irgendetwas zieht mich dorthin. Die Dunkelheit. Die Einsamkeit. Ich weiß es nicht. Ich habe nur ein kurzes Hemd an, es geht mir knapp unter den Po. Die Tür öffnet sich knarrend. In der Ferne kann ich die Lichter der Akademie aus Distrikt zwei sehen. Dort verbringe ich die Woche. Am Wochenende bin ich hier, Zuhause. Mutig mache ich einen Schritt nach vorne, in den Regen. Nach kurzer Zeit ist mein Hemd durchgeweicht und meine Haare hängen mir in Strähnen ins Gesicht. Es ist sehr kalt, doch mich stört es nicht. Im Gegenteil. Es fühlt sich gut an, befreiend. Ich lasse meine Gedanken schweifen. Morgen ist es soweit.
Ich bin jetzt siebzehn Jahre alt, die Chancen, dass ich gezogen werde sind hoch. Doch trotzdem glaube ich nicht daran. Generell ist es egal. Nächstes Jahr ist mein letztes, ich würde versuchen mich freiwillig zu melden. Dann liegt es nicht mehr bei mir, ob ich es werde. Ich werde es nicht. Das ist das Einzige, was ich denke. Und selbst wenn, ich habe gute Chancen. Habe ich Angst? Vielleicht. Eigentlich glaube ich nicht an sowas wie Angst. Als kleines Kind, vor der Akademie, da schon. Da hatte ich vor vielem Angst. Ich hatte Angst vor dem Älterwerden. Denn damit kamen auch die Hungerspiele immer näher. Je älter ich wurde, desto greifbarer war ich für das Kapitol. Desto verletztlicher wurde ich. Es müsste genau umgekehrt sein. Früher hatte ich immer bei meiner Mutter Schutz gesucht. Sie wollte nie das wir die Hungerspiele schauen. Und auch die Akademie mochte sie nicht. Vater konnte sie nur dadurch überreden, indem er sagte, dass wir, wenn wir gezogen werden, kämpfen können und gute Vorraussetzungen für den Sieg haben.
Mein Vater freut sich schon. Für ihn sind die Hungerspiele eine Attraktion. Unser Distrikt gewinnt oft. Genauso wie Distrikt eins. Und vier. Wir sind die Karrieros. Wir sind am stärksten. Und am gefährlichsten. Wir könnten einen Freund so schnell umbringen wie einen Feind. Doch so sind nicht alle von uns. Die, die nicht auf die Akademie gehen, deren Eltern zu wenig Geld haben, sie sterben in der Arena zuerst. Sie werden in den Distrikten, in den Schulen ausgeschlossen, haben keine Freunde. Nur sich selbst. Wohl oder übel muss ich mir eingestehen, dass auch ich solche Leute meide. Sie sind anders. Und für uns kommt alles, was anders ist, nicht in Frage. Niemals würde man sich im Kampf ums Überleben den Schwächsten schnappen und sich mit ihm verbünden. Man sucht die Stärksten. Und das sind nunmal wir.

Die Tribute von Panem- Die 25. HungerspieleWhere stories live. Discover now