35 - Der Anfang

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Ich saß im Schneidersitz vor meinem Kleiderschrank und überlegte angestrengt, was ich für den "großen Tag" nun anziehen sollte. Es würde zwar sowieso keiner sehen, da ich das Ende meines Lebens höchstwahrscheinlich in Wolfsgestalt verbringen würde, aber irgendwie beschäftigte es mich.

"Was ist los?"

Ich drehte meinen Kopf zur Tür und entdeckte Peeta, der im Türrahmen lehnte.

"Ich finde nichts zum Anziehen", nuschelte ich.

Peeta hob einen Zeigefinger und verschwand wieder.
Ich spielte an meinem goldenen Armband mit dem kleinen Wolfsanhänger herum. Meine Kette trug ich noch nicht, da ich mich im Schlaf nicht versehentlich damit erhängen wollte. Plötzlich spürte ich den Aufprall eines weichen Gegenstandes an meinem Kopf.

"Da haste", lachte Peeta. Ich nahm den Pullover von meinem Kopf und starrte Peeta gespielt böse an.

"Gehst du raus, damit ich mich umziehen kann?", fragte ich ihn, aber er schüttelte nur mit dem Kopf.

Ich rollte die Augen, stellte mich mit dem Rücken zu ihm und zog mein weißes T-Shirt aus. Danach zog ich mir den blauen Pullover über und ging die Treppe hinunter.
Peeta folgte mir und begann sich in der ein Müsli zu machen. Ich begnügte mich mit dem Kuchen, den Mari gestern gebacken hatte.

"Morgen", sagte ich und setzte mich an den vollen Tisch.

"Morgen", murmelte nun fast jeder aus der Runde.

"Wie lautet der Plan?", fragte ich und schaute Ben an, der am Kopfende saß.

"Ich würde sagen, dass wir einfach warten, bis sie kommen. Tom hat mir berichtet, dass sie um die Mittagszeit zuschlagen werde. Bevor sie uns jedoch angreifen, werde ich noch einmal versuchen, mit Rafael zu verhandeln", murmelte er und stocherte in seinem Kuchen herum.

"Hätten sie uns mehr Zeit gegeben, hätten wir uns auf einen Kampf vorbereiten können. Fast die Hälfte des Rudels war noch nie in einen Kampf verwickelt", sagte Simon und starrte in die Runde.

"Da hast du Recht, Simon. Aber jetzt können wir nichts mehr daran verändern."

"Wie viele sind es im anderen Rudel?", fragte nun Vincent.

"Achtzehn."

"Können wir nicht einfach fliehen?"

"Wenn du alles zurücklassen willst, natürlich. Ich möchte in dieser Sache kein Verbot aussprechen. Wenn es einem von euch zu gefährlich wird, kann er abhauen. Ich will nicht, dass einer von euch verletzt wird", antwortete Ben, stand auf, stellte seinen Teller in die Spülmaschine und verschwand.

Auch ich schlang meinen letzten Bissen hinunter und räumte auf. Danach ging ich zurück in mein Zimmer.  Es war 10:43 Uhr.
Also hatte ich noch 1 Stunde und 17 Minuten Zeit, bevor sich alles verändern würde.
Plötzlich klopfte es an der Tür.

"Komm rein."

Die Tür öffnete sich und Detlev betrat das Zimmer. Bei mir angekommen, schloss er mich in eine feste Umarmung. Ich lehnte meinen Kopf gegen seinen Brustkorb.

"Wir schaffen das schon, Kleines. Ich werde schon darauf aufpassen, dass dich keiner verletzt", sagte er und strich mir über den Rücken.

"Danke."

"Wir sollten die Zeit nutzen, die uns noch bleibt. Ich kann dir ein paar Strategien zeigen", lächelte er und löste sich aus unserer Umarmung. Er erklärte mir einiges und ich versuchte mich darauf zu konzentrieren und nicht daran zu denken, was mir bevorstand. 

'Sie kommen', schallte mir Bens Stimme wenig später durch den Kopf.

Sofort sprang ich auf. Alle meine Muskeln schienen sich anzuspannen. Mein Herz wummerte gegen meinen Brustkorb und meine Hände begannen zu zittern.
Die Zimmertür wurde geöffnet und Peeta erschien. Er streckte die Hand aus. Ich ging auf ihn zu und nahm sie. Mit Detlev im Schlepptau begaben wir uns ins Wohnzimmer, in welchem wir Ben fanden, der nervös durch den Raum tigerte.

"Ich gehe da raus und versuche das zu klären. Ihr bewegt euch nicht vom Fleck!", befahl Ben und verschwand zur Haustür. Wir tauschten ängstliche Blicke, schienen aber alle fokussiert.

"Wir schaffen das schon", flüsterte Sebastian und schaute uns alle noch einmal ermutigend an.

Ich versuchte, gespannt zu lauschen und vernahm Rafael Stimme vor unserem Haus:
"Du willst verhandeln! Dass ich nicht lache!"

"Wir gehen, wenn du uns das ganze Gebiet überlasst. Das ist die einzige Bedingung, auf die ich mich einlasse", fügte er noch hinzu.

"Nie im Leben", antwortete Ben.

"Dann war das mein letztes Angebot", knurrte Rafael und ich hörte das Knacken von Holz und das Rascheln der Blätter unter den Pfoten der fremden Wölfe.

'Flieht durch die Hintertür und lauft auf das offene Feld. Da haben wir mehr Chancen!'

Wir taten, wie Ben uns geheißen hatte. Als wir aus der Tür zur Veranda den Garten des Rudelhauses verlassen hatten, verwandelten wir uns und liefen so weit auf das offene Feld hinaus, wie wir konnten.

NighttimeOnde histórias criam vida. Descubra agora