Der Napoleon-Komplex

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Ich habe der 'Wohngruppe Fromm' eine Woche Zeit gegeben, um sich von unserer verkorksten Fachberatung zu erholen und dann angerufen, um einen Termin zu vereinbaren, damit ich Kiran kennenlernen kann.

Der Gruppenleiter nahm das Gespräch entgegen und zeigte sich so wortkarg, wie bei unserem letzten Treffen.

„Wohngruppe Fromm", murrte er nur in den Hörer, als ob es schon zu viel verlangt wäre das Telefon in die Hand zu nehmen.

„Ja, hallo, hier ist Herr Fassbender. Ich wollte fragen, wann es Ihnen passt, dass ich mich mit Kiran treffe.", trällerte ich betont fröhlich.

Als Antwort stöhnte er genervt und im Hintergrund hörte ich es rascheln, als ob er etwas suchte.

„Ich schau mal im Kalender nach.", bestätigte er meine Vermutung.

Geduldig hatte ich abgewartet und seinen fetten Arsch auf einen Schmierzettel gemalt. Nichts gegen füllige Menschen, dass macht für mich überhaupt keinen Unterschied. Aber der Typ toppt echt alles. Keine Ahnung ob die Konfektionsgröße die er trägt schon erfunden wurde oder er sich einfach Familienzelte kauft und diese dann trägt. Die heißen dann übrigens Mu-Mu's. Schon verrückt.

„Also, in einer Woche, sähe es Freitag bei uns gut aus."

„Das geht nicht. Da bin ich schon verplant.", hatte ich ablehnen müssen.

Erneut stöhnte er genervt.

„Wie sieht es denn die Woche darauf, am Mittwoch oder am 01.12. aus? Obwohl, da hat Theresa Dienst. Ich weiß nicht, ob das so eine gute..."

„Der erste Dezember ist super.", hatte ich ihn schnell unterbrochen. Dabei stimmte das nicht mal. Ich hatte wirklich viele Termine für diesen Tag im Kalender stehen gehabt, sie aber schlussendlich verschoben. So eine Chance würde sich wahrscheinlich nicht so schnell wieder ergeben.

Wir hatten dann noch eine Uhrzeit abgemacht und ich hatte erleichtert das Gespräch beendet.

Nun war ich auf dem Weg zu Theresa. Oder eher zur Wohngruppe in der sie arbeitet. Und ich fahre natürlich vordergründig wegen Kiran dorthin. Nicht wegen Theresa.

Ich erreiche das große Einfamilienhaus in dem sich die Wohngruppe befindet. Als ich auf die Haustür zu gehe, höre ich laute Musik die offensichtlich aus der Wohngruppe kommt. Es ist Ed Sheeran. Ich verdrehe die Augen. Über Musikgeschmack lässt sich mit mir nicht streiten. Man kann es versuchen, aber ich bin da echt unnachgiebig.

Fragend ziehe ich meine Augenbraue in die Höhe. Es ist kurz vor zehn Uhr am Morgen und die Kinder müssten normalerweise alle in der Schule sein. Wir haben speziell einen Termin am Vormittag vereinbart, damit ich genug Zeit und Ruhe habe um Kiran zu begutachten.

Noch verwundeter bin ich, dass die Haustür sperrangelweit auf steht. Kein Wunder, dass die ganze Nachbarschaft von der Musik beschallt wird.

Ich klingele und warte auf eine Reaktion. Als nichts passiert versuche ich es erneut. Und nochmal. Ich tippe unruhig mit einem Fuß auf dem Boden.

Dann endlich höre ich jemanden aus dem Haus rufen.

„Legen Sie die Päckchen einfach schon mal ab. Ich bin sofort da um zu unterschreiben."

Ich glaube, dass es Theresa ist und werde unwillkürlich nervös. Völlig unnötig, wie ich mir selbst versichere. Ich kann unfassbar charmant sein und das soll sie heute auch zu spüren kriegen.

Keine Ahnung wer sie denkt, wer ich bin, aber Päckchen habe ich auf jeden Fall nicht dabei.

Plötzlich kommt Theresa strahlend lächelnd um eine Ecke gebogen. Als sie mich erkennt, erstirbt ihr Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde bis sie sich wieder fängt und eine freundliche Maske aufsetzt.

Point of no returnWhere stories live. Discover now